"Auf Bio ist sowieso kein Verlass!"

Moderation: Dieter Kassel · 25.02.2013
Der Etikettenschwindel bei Eiern aus Niedersachsen erschüttert das Vertrauen der Verbraucher. Worauf sollten Konsumenten jetzt achten? Am besten wäre es, vollständig auf tierische Produkte zu verzichten, sagt die Journalistin Hilal Sezgin - auch auf solche mit Bio-Siegel.
Dieter Kassel: In Niedersachsen sollen ungefähr 150 Firmen in einen groß angelegten Lebensmittelbetrug verwickelt sein. Millionen von Eiern sollen mindestens als Eier von freilaufenden Hühnern, teilweise aber sogar als echte Bio-Eier verkauft worden sein, obwohl die Eier in Wirklichkeit von Tieren stammten, die in Massenanlagen auf engstem Raum ganz konventionell gehalten wurden. Egal, was die jetzt laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Oldenburg am Ende ergeben: Das Vertrauen der Verbraucher, vor allem derjenigen, die bereit sind, für Bio-Eier besonders viel Geld zu zahlen, ist wieder mal nachhaltig erschüttert.

Ob zu Recht oder nicht, darüber reden wir jetzt mit Hilal Sezgin. Die Journalistin lebt seit 2007 auf dem flachen Land in der Nähe von Lüneburg, schreibt von da aus für viele deutsche Tageszeitungen, unter anderem aber auch für die Wochenzeitung "Die Zeit", und sie schreibt immer wieder zu den Themenbereichen Tierethik und nachhaltiger Konsum. Schönen guten Tag, Frau Sezgin!

Hilal Sezgin: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Hat es Sie überrascht, dass ein Etikettenschwindel in diesem Ausmaß überhaupt möglich ist?

Sezgin: Nein, dass er rausgekommen ist, endlich mal, das schon! Aber dass er möglich ist, nicht. Weil mir das in den letzten Jahren immer wieder Leute berichtet haben! Also nicht nur Tierschützer, auch Veterinäre, Agrarwissenschaftler, manchmal auch Leute, die irgendwie mit Landwirten zu tun haben oder da arbeiten. Also, dass es Überbelegung in Ställen gibt, ist ganz normal. Das wird teilweise als so eine Art Kulanz gehandhabt, also, dass die Firmen schon mehr anliefern. Es sterben ja in dem ersten Jahr dann viele Legehennen weg, am Ende sind es dann manchmal so viele, wie rein dürfen, aber am Anfang sind das natürlich deutlich mehr. Und das kommt auch nicht nur im Bio-Bereich vor, das kommt auch im konventionellen Eierbereich vor. Wir haben es natürlich auch, bei den Schweinen oder so kennen wir das auch, also: Wo man nicht kontrolliert, besteht immer die Gefahr, dass einige Betreiber so viel Tiere reinstopfen, wie geht. Und die Tiere an sich sind ja nichts wert, also, die Hühner sind nichts wert. Man versucht, möglichst viele Eier herauszuholen. Das ist sehr weit verbreitet!

Kassel: Das heißt aber auch, hier haben einfach die Kontrollen versagt!

Sezgin: Ja, unsere Kontrollsysteme sind leider sehr ungenügend. Wiederum nicht nur im Bio-Bereich, überhaupt! Die Veterinärämter sind chronisch überlastet, gerade mit so Tierschutzkontrollen, aber unsere Kontrollsysteme sind sowieso nicht so, wie sich das ein Verbraucher vorstellt. Wir denken, es wird da immer nachgemessen und da guckt einer schön drauf, dass es jedem Tier gut geht. Das ist nicht so! Die meisten Kontrollen sind zum Beispiel einmal im Jahr, nach Anmeldung! Man müsste viel mehr zufällige Stichproben machen. Dann, wie gesagt, die Veterinärämter müssten viel besser ausgestattet sein und dem stärker nachgehen. Dann habe ich aber auch, ehrlich gesagt, schon gesehen, dass Tiere, die zum Schlachter transportiert wurden – also zum Beispiel Hühner oder so –, da ist dann ein Veterinär dabei, der die sozusagen freigibt, abnimmt, der dann seine Unterschrift daruntertut, dass die in Ordnung sind. Die Tiere sahen teilweise so elend aus, zum Beispiel bei Legehennen, dass man wirklich sagen muss, wie kann ein Veterinär da guten Gewissens schreiben, diese Tiere sind okay? Also, eigentlich sieht man an den Tieren schon, dass an der Haltung was nicht in Ordnung ist! Also, an allen Scharnieren sozusagen müsste irgendwie was verbessert werden, weil, dieses Kontrollsystem ist viel zu lax, viel zu kulant gegenüber dem Betreiber. Und die Kosten tragen die Tiere!

Kassel: Liegt das denn wirklich an den Vorschriften und Gesetzen oder liegt das daran, wie sie ausgeführt werden?

Sezgin: Ja, an beidem. Also, das, was ich eben gesagt habe, ist ja eher, wie sie ausgeführt werden. Wir haben natürlich in Niedersachsen, muss man auch sagen, auch eine starke Agrarlobby. Also, da gibt es so viele Verflechtungen, das ist dann nicht unbedingt Bestechung oder so, das will ich nicht unterstellen, aber es gibt eine sehr ungesunde Nähe, will ich mal sagen, oft, zumindest bisher, zwischen Politik und Landwirtschaft. Die Gesetze natürlich sind auch schon nicht so, wie wir Verbraucher uns das vorstellen. Beziehungsweise seien wir ehrlich: Wir täuschen uns auch ganz gern selbst! Also, ich würde zum Beispiel ein bisschen zugespitzt sagen: Auf Bio ist sowieso kein Verlass! Aber nicht erst dann, wenn die Bestimmungen nicht eingehalten werden, sondern weil Bio auch das nicht halten kann, was wir uns gern so vorstellen, so ein paar Hühner, die unter einem Baum rumlaufen, dann picken die angeblich Würmer und so.

Nein, das Allerallermeiste von Bio ist Massentierhaltung! Zum Beispiel 3000 Tiere in einem Stall sind erlaubt, natürlich ist das Massentierhaltung! Es geht auch nicht anders, weil wir Konsumenten so unglaublich viele Eier essen wollen. Die müssen ja irgendwo herkommen, wir können ja nicht ganz Deutschland für die Hühner räumen, also werden die Hühner eingepfercht! 3000 Hühner … Hühner können zum Beispiel stabile Gruppen nur ausbilden bis 50 Mithühner sozusagen. Das ist für die permanenter Sozialstress, das ist ein ganz schlimmes Leben für die. Und natürlich, die Flächen, die die dann haben, sind auch ganz schnell abgeweidet, die sind dann leer und kahl. Und ich meine, mit Würmern und Scharren und Bäumen ist da sowieso nichts.

Kassel: Entschuldigung, Frau Sezgin, aber kann man dann als Verbraucher noch irgendwas machen? Ich habe das vorhin leicht ironisch formuliert, man kann es auch ohne Ironie sagen: Es gibt ja ganz viele Gründe, Bio-Produkte zu kaufen. Der Geschmack mag es sein, aber viele verbinden damit ja auch eine Weltanschauung! Kann man aber sagen, dieses gute Gewissen, das ich habe, wenn da ein Bioland-Siegel drauf ist auf den Eiern oder sonst wo, das habe ich grundsätzlich zu Unrecht, das ist alles nur Einbildung?

Sezgin: Ja, ehrlich gesagt würde ich das schon sagen. Wir stellen uns das eben so viel besser vor, aber jede Reform kommt in verschieden großen Schritten. Und Bio ist im Vergleich zu Konventionell sicher ein bisschen besser. Ich finde, man sollte das auch unterstützen, wenn man unterstützen will, dass sich die Landwirtschaft in eine andere Richtung entwickelt. Also, deswegen gleich konventionell zu kaufen, wäre ja auch irgendwie albern, da kann man ja erst recht kein gutes Gewissen haben. Aber man muss sich klarmachen, Massentierhaltung ist das trotzdem, die Tiere leiden trotzdem, das ist kein normales Leben, das die haben. Die männlichen Küken werden auch bei Bio am ersten Tag nach dem Schlupf, ja, geschreddert oder begast. Also, das ist eben trotzdem auch eine Industrie.

Bio ist nicht kuschelig die Bauersfrau, die aus der Schürze irgendwie die Körner streut. Und ich finde, als Konsument kann man natürlich Verschiedenes machen, man kann immer wieder nachfragen, wie ist ihre Haltung, man muss auch das Kleingedruckte lesen. Und ehrlich gesagt, was ich vorschlagen würde, man isst einfach keine Eier mehr! Es zwingt uns keiner, Eier zu produzieren, und schon gar nicht in diesem Umfang. Wir haben in diesem Sinne doch die Wahl! Wir können einfach auch die Eier weglassen oder zumindest den Konsum drastisch einschränken!

Kassel: Wir reden heute Nachmittag hier im "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur mit der Journalistin Hilal Sezgin über den Falschetikettierungseierskandal – schon das Wort ist so lang und umständlich – in Niedersachsen, nehmen das zum Anlass, darüber hinauszuschauen, was Sie ja gerade sehr hart getan haben, Frau Sezgin. Weil, das kann man ja vermutlich nicht nur über Eier sagen, was Sie gerade gesagt haben, sondern das heißt ja wahrscheinlich auch, esst auch nicht das Fleisch der Hühner und auch gar kein anderes! Das heißt, nur ein Vegetarier ist ein guter Verbraucher?

Sezgin: Ich würde sogar sagen, nur ein Veganer ist ein guter Verbraucher, und sogar wir machen noch unheimlich viele Fehler! Weil, man kann ja auch die falschen Klamotten kaufen und so weiter und so fort! Nein, mal ehrlich: Wir können nicht heilig werden. Wir leben in einer verstrickten Welt, globalisierte Wirtschaft, alles Mögliche ist da falsch. Aber was man tatsächlich machen kann in diesem Bereich, wenn man tierische Produkte weglässt, kann man natürlich viel Leid vermeiden. Ich wundere mich manchmal, wie soll ich sagen … Ich zeige manchmal Leuten so Bilder von Schweineställen oder von Hühnerställen, dann sagen die, oh Gott, jetzt sag mir, welcher Betrieb das ist, dann kaufe ich von dem nichts mehr! So stellen sich die Leute Konsumboykott vor. Und dann versuche ich immer zu sagen, das ist nicht … Das ist natürlich ein bestimmter Betrieb, aber ich könnte dir jetzt Bilder aus einem anderen zeigen, es wäre genau so! Das ist das System! Das ist nicht der Fehler im System, sondern das System selber ist so grausam.

Und die meisten von uns mögen das ja auch nicht. Also, Massentierhaltung hat einen schlechten Klang. Wir wissen, dass das eigentlich den Tieren keine Gerechtigkeit widerfahren lässt. Und dann stellen wir uns das so vor, mit bestimmten Sigeln könnten wir da rausschlüpfen und trotzdem weiter konsumieren wir verrückt, wie bisher, und das geht eben nicht! Wir haben aber in der Tat die Wahl zu sagen: Nein, ich möchte mein Geld nicht mehr in dieses System stecken! Wir müssen uns wirklich denken: Wenn man einen Euro dem Tierschutzverband gibt, dann ist das eine Spende. Aber wenn man einen Euro für Wurst oder Eier oder Milch, auch Milch auf den Tisch legt, dann ist das sozusagen eine Spende in die falsche Richtung! Das geht wirklich zu Lasten der Tiere! Das sind Systeme, die industriell die Tiere stark ausbeuten, und die leiden auf jeder Ebene. Sozial, körperlich, die sind total verzüchtet, sie haben kein normales Sozialleben, sie können auch nichts tun, sie sind ja eingesperrt, sie haben ein sehr eingeschränktes Leben. Und ich glaube, die meisten von uns wollen das eigentlich nicht. Wenn wir uns vorstellen, wie die Tiere leben, denken wir: Lieber nicht!

Kassel: Dann ist dann natürlich bei manch einem, der gerne Fleisch isst oder auch gerne andere tierische Produkte – Käse wäre dann ja auch betroffen – die Frage: Guck ich da lieber weg oder lebe ich damit, mein Lieblingslebensmittel nicht mehr zu haben? – Was glauben Sie denn, Frau Sezgin, was jetzt nach dem Skandal in Niedersachsen passieren wird? Also gut, die Staatsanwaltschaft ermittelt, die ein oder andere Geldstrafe wird es geben. Aber glauben Sie, es wird sich wirklich was verändern, auch bei den Verbrauchern?

Sezgin: Ja, also, wir haben ja zum Glück auch noch die Politik. Also, ich finde, nicht nur wir Verbraucher müssen was machen, wir haben ja auch jetzt einen Regierungswechsel in Niedersachsen, da setze ich schon gewisse Hoffnungen rein, dass die zum Beispiel Subventionen für diese großen Anlagen und Neubauten und Schlachthöfe zurückfahren. Bei den Konsumenten … Na ja, wir Menschen sind ja sehr trickreich und denken, okay, dann kaufe ich nicht mehr von der Marke, sondern von einer anderen. Das macht man dann ein paar Jahre lang. Und ich denke aber, so langsam könnte man doch mal das Ende der Fahnenstange erreichen und sagen, okay, ich habe mich jetzt von einer Marke zur nächsten gehangelt und von einem Etikett zum nächsten, vielleicht gibt es ja einfach nicht so das optimale Etikett und den optimalen Betrieb und ich versuche es mal ohne!

Ich finde ja, man stellt so Veganismus und so immer sehr stark als Verzicht dar. Natürlich ist es ein Verzicht erst mal, es ist eine Entscheidung, aber man darf nicht unterschätzen, wie wohl man sich fühlt, wenn man es einmal hinter sich gelassen hat! Natürlich freue ich mich auch nicht, wenn ich vom Pferdefleischskandal höre und ich sehe dann Bilder von geschlachteten Pferden und Schweinen. Und ich meine, eins ist schlimmer als das andere, ich meine, die Grausamkeiten bleiben natürlich. Aber mich berührt es jetzt in dem Sinne nicht mehr so, ich weiß, mit meinem Kühlschrank hat das nichts zu tun! Und das ist irgendwie schon ein gutes Gefühl! Ich weiß wenigstens, dass ich nicht mehr in diese komische Ambivalenz … Man hat ja auch so vage Schuldgefühle und so. Da bin ich einfach nicht mehr direkt verstrickt und das ist einfach schon ein ziemlich gutes Gefühl! Ich kann mich auf andere Sachen konzentrieren, diesen Teil habe ich jedenfalls schon mal hinter mir!

Kassel: Sagt die Journalistin Hilal Sezgin, die in der Nähe von Lüneburg auf dem Land lebt. Das ist mitten in Niedersachsen und doch ganz weit weg vom Eierskandal! Frau Sezgin, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch!

Sezgin: Ich danke Ihnen!

Kassel: Tschüss! Wir werden über die Frage, das, was gerade aufgeworfen wurde – ist die einzige Lösung zum Beispiel aus Sicht eines Verbrauchers, zum Veganer zu werden, oder kann man sagen, ich glaube doch noch an Bio und wähle noch sorgfältiger aus –, darüber werden wir in einer guten halben Stunde reden, nämlich in unserer "Debatte".


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema