"Auch Männer haben mal blutige Füße"

Bianca Hache und Ingrid Lietzow im Gespräch mit Katrin Heise · 11.01.2010
Vor zehn Jahren markierte ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes einen Wendepunkt in der Geschichte der Bundeswehr und ebnete Frauen den Weg in alle militärischen Laufbahnen. Die Gleichstellungsbeauftragten Bianca Hache und Ingrid Lietzow blickten nun auf ihre Erfahrungen mit Frauen in der Truppe zurück.
Katrin Heise: Heute vor zehn Jahren hat der Europäische Gerichtshof gleiches Waffenrecht geschaffen für beide Geschlechter. Eine junge Frau hatte damals den Dienst an der Waffe für sich einklagen wollen. Die Öffnung aller Bereiche der Bundeswehr für Frauen war die Folge dieses Urteils. Bis zu dem Zeitpunkt konnten Frauen im Sanitätsbereich und in der Militärmusik Dienst tun, die Waffe hatten sie allerdings nur zur Selbstverteidigung. Nun stand dem regulären Dienst an der Waffe nichts mehr entgegen, und im Januar 2001 dann kamen die ersten Frauen.

Die Zeit vor zehn Jahren hat meine Gesprächspartnerin Ingrid Lietzow noch gut in Erinnerung, sie ist zivile Gleichstellungsbeauftragte, und zwar am Bundeswehrstandort Kiel. Und ebenfalls von dort zugeschaltet ist Hauptfeldwebel Bianca Hache, sie ist militärische Gleichstellungsbeauftragte, und seit 2003 gehört sie der Bundeswehr an. Schönen guten Tag, Ihnen beiden!

Ingrid Lietzow: Guten Tag, Frau Heise!

Bianca Hache: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: Nur kurz zur Erklärung, Frau Hache ist für die Soldatinnen zuständig und Frau Lietzow ist für die zivilen Frauen zuständig, die beispielsweise in der Verwaltung dort arbeiten. In dieser Funktion waren Sie, Frau Lietzow, auch damals, also vor zehn Jahren, haben die Diskussionen miterlebt, die das Urteil damals auslösten, beziehungsweise auch schon die Zeit davor, denn seit den Sechzigern wird ja dieses Thema eigentlich schon diskutiert, Frauen in der Bundeswehr, also Soldatinnen. Fangen wir doch eigentlich mal mit der Zeit eben davor an, Frau Lietzow. Wurde der Wunsch von Frauen, Soldatin, also mit Waffe, sein zu wollen, eigentlich ernst genommen?

Lietzow: Nein. Das Grundgesetz stand dem ja damals entgegen, und von daher wurde es, wenn dann mal die Diskussion kam, doch eher belächelt, nicht ernst genommen. Nein, das kann ich so nicht bestätigen.

Heise: Welche Reaktionen haben Sie denn damals erlebt, also von Männern nehme ich jetzt mal an vor allem, auch in der Truppe?

Lietzow: Also in der Truppe war es wie im wirklichen Leben, das heißt also, es gab immer wieder die Stammtischparolen, also Frauen gehören an den Herd und Frauen sind zu Hause und Frauen sind viel zu weich, und diese Art Dienst leisten können sie nicht. Da ich aber schon immer eine Verfechterin der allgemeinen Dienstpflicht sowohl für Jungen als auch für Mädchen war, war das für mich immer wieder ein Streitpunkt und ein Diskussionspunkt, auch mit Kollegen und mit Vorgesetzten.

Heise: Wie liefen diese Streitigkeiten ab, hat man sich da richtig, ja, beharkt oder war das eine sachliche Ebene. Ich meine, weil da geht es ja dann um wirklich, also ja, Geschlechterkampf?

Lietzow: Ja, aber es war immer, es war natürlich emotional, anders geht es mit mir auch gar nicht, aber es war schon sachlich. Also das heißt, wir haben uns dann immer gegenseitig die Memos zugespielt, wenn irgendwo ein Bericht war in ausländischen Einheiten, wo dann etwas sehr gut mit den Frauen lief oder negativ. Dementsprechend habe ich dann immer mit meinen Vorgesetzten darüber diskutiert. Das war eine spannende, eigentlich auch sehr positive Geschichte.

Heise: Na ja, man lernt dann Leute ja vielleicht auch näher kennen und …

Lietzow: Ja, klar.

Heise: Welche genauen Vorbehalte hatten die Männer? Sie sagen, sie hielten die Frauen für zu weich.

Lietzow: Ja.

Heise: Hatten sie auch Angst vor dem Miteinander in der Truppe zwischen Mann und Frau?

Lietzow: Na ja, sie hatten Angst davor, dass der Ton sich verändert, dass sie sich mehr zusammennehmen müssen. Ich kann es natürlich hauptsächlich aus dem Marinebereich sagen, weil ich zu dem Zeitpunkt in der Marine selber auch tätig war im zivilen Bereich.

Und da war natürlich schon, das Bordleben mit Frauen, das geht gar nicht, ist überhaupt nicht möglich. Und die Frauen waren ja dann auch in den 80er-Jahren kaum mal irgendwo an Bord zu finden. Das war höchstens mal für eine ganz kurze Einschiffung, aber ansonsten war es nicht erlaubt.

Heise: Hatte man Angst, dass es da zu Verwicklungen kam …

Lietzow: Ja, natürlich, klar.

Heise: … dass sich die Leute verliebten oder was?

Lietzow: Natürlich, weil …

Heise: Dass die Moral sinkt.

Lietzow: … Die Männer waren dann ja auch immer sehr testosterongesteuert, also von daher waren da schon die Schwierigkeiten, ja, also wurden die Schwierigkeiten befürchtet.

Heise: So, jetzt vor zehn Jahren ist dieses Urteil gefallen, da kann ja - Sie sagen, wurde befürchtet, das kann ja nicht einfach mit dem Urteil Schluss gewesen sein. Ich meine, die Einstellung der Herren, die wird sich ja nicht in Luft aufgelöst haben.

Als die ersten Soldatinnen anfingen, für die Sie dann ja auch mit zuständig waren, im militärischen Bereich gab es ja noch gar keine Gleichstellungsbeauftragte, wie sind sich die Männer und Frauen da begegnet?

Lietzow: Also dadurch, dass das ein Topdown-Thema war …

Heise: Also von oben nach unten befehligt wurde?

Lietzow: Ja, ja, genau … und die Vorgesetzten da sehr früh sehr sachlich auch mit umgegangen sind und sehr klare Anweisungen auch gegeben haben, war das eigentlich - sie versuchten das alles auf der sachlichen Schiene zu handhaben.

Ich glaube, die Probleme kamen erst später. Die ersten Soldaten, weiblichen Soldaten, die einrückten, das war noch so ein Abtasten, so ein Vorsichtig-miteinander-Umgehen, die Angst, irgendetwas falsch zu machen, auch von männlicher Seite irgendetwas falsch zu machen.

Heise: Warum sagen Sie eigentlich weibliche Soldaten und nicht Soldatin?

Lietzow: Hach, warum sage ich das?

Heise: Ja, ist das üblich? Ich weiß es nicht.

Lietzow: Ja, ja, klar. Soldaten sind Soldaten, und dann gibt es männliche und weibliche.

Heise: Ah, okay. Also Sie sagen, die Probleme fingen erst später an. Welche denn?

Lietzow: Na ja, als sich das Ganze mehr verfestigte, als da die Strukturen sich auch verfestigten, als es nicht mehr dieser vorsichtige Umgang war, sondern als es selbstverständlicher wurde, da waren auch dann, kamen wieder die Emotionen auch wesentlich mehr ins Spiel.

Also die Emotionen, Frauen an Bord ist schon problematisch, und wie soll es laufen – also es lief nicht rund mehr. Aber das war wirklich dann weniger eine Sache von Vorgesetzten mit Untergebenen, sondern es war mehr auf gleicher Ebene.

Heise: Mit welchen Problemen kamen denn die Soldatinnen, die weiblichen Soldaten zu Ihnen?

Lietzow: Die Frauen kamen zunehmend mit Problemen, ja, dieses rüden Umgangstones, dieser dummen Witze, die immer wieder gemacht wurden, nicht, was Soldaten anging, einfach nur, was Mann/Frau anging. Damit waren sie zunehmend konfrontiert.

Einige konnten das lächelnd wegstecken, konnten dementsprechend auch austeilen, aber es waren nicht alle, die das konnten. Und nachdem diese Diskussion dann doch mehr und mehr auch in der Truppe Einzug hielt, wurde es dann schon schwieriger. Also das war anfangs nicht der Fall.

Heise: Heute vor zehn Jahren machte der Europäische Gerichtshof den Weg frei für Frauen im Dienst an der Waffe. Erfahrungen hörten wir bisher von Ingrid Lietzow, sie ist Gleichstellungsbeauftragte im zivilen Bereich.

Jetzt kommt noch Frau Hauptfeldwebel Bianca Hache dazu, ebenfalls Gleichstellungsbeauftragte am Bundeswehrstandort Kiel, allerdings für den militärischen Bereich. Frau Hache, wenn Sie das jetzt so gehört haben, was Frau Lietzow auch erzählt hat aus der Zeit vor dem Urteil noch, mit der Situation heute verglichen, wie geht es den weiblichen Soldaten in der Bundeswehr?

Hache: Ich denke, den weiblichen Soldaten oder den Soldatinnen geht es so weit ganz gut. Ich denke, sie sind so weit mit den Jahren immer mehr und mehr integriert in die Bundeswehr, in die Institution Bundeswehr. Man versucht schon ein kameradschaftliches Miteinander zwischen Frauen und Männern zu organisieren und aufrechtzuerhalten.

Ich denke, es ist immer die Frage des Umganges, des Tones auch untereinander, und ich denke, das ist, ich sag mal, wie draußen auch, da hat man auch unter Männern und Frauen so seine Problemchen. Aber ich denke, die dürfte man auch regeln können und …

Heise: Sie haben gerade den Ton angesprochen, und Frau Lietzow hat ihn auch angesprochen – der rüde Ton machte den Frauen zu schaffen. Hat sich da was geändert?

Hache: Ich sage mal, man sollte sich immer drüber im Klaren sein, dass man in eine Männerdomäne eindringt, und da herrscht schon ab und an ein rauer Ton. Aber das muss man sich vorher überlegen.

Und man ist ja doch so ein bisschen drauf eingestellt und weiß, ah, da könnte mir nicht jede Aussage so gefallen, und man muss versuchen, damit klarzumachen. Und es gibt durchaus Situationen, die gehen schon mal an die Nieren, aber das ist schon okay.

Heise: Man lebt da auf engem Raum miteinander. Kommt es da nicht zu Spannungen? Frau Lietzow hat das Testosteron angesprochen, schwierige Situation, Übergriffe kann ich mir vorstellen.

Hache: Ja, die Spannung eher unter den Frauen, also Frauen auf engem Raum miteinander, das ist schon eher die schwierigere Situation, die ich so aus meiner Erfahrung vorbringen kann. Aber so der Umgang mit den Männern, ich denke, also da hat es nicht so Probleme gegeben, gar nicht.

Heise: Auf den Internetseiten der Bundeswehr wirbt die Bundeswehr mit totaler Gleichbehandlung, und ich meine, wenn man sich vorstellt, also vielleicht sind die Frauen ja dann doch nicht ganz so kräftig wie die Männer, vielleicht nicht ganz so ausdauernd, ich weiß es nicht – ist das möglich, totale Gleichbehandlung? Die Frage auch an Sie beide gestellt?

Hache: Ich denke schon, dass man gleichgestellt ist, und gut, wir als Frauen, wir geraten in gewissen Situationen natürlich auch an unsere körperlichen Grenzen aufgrund unserer Physis, aufgrund unserer physischen Gegebenheiten, aber ich denke, auch Männer haben in gewissen Situationen ihre Defizite, wo sie dran zu kämpfen haben, zu nagen haben. Jeder Marsch macht wunde Füße und tut den Männern genauso weh, und auch Männer haben eine Blase am Fuß, geben es nur nicht so leicht zu. Aber auch Männer haben mal blutige Füße und …

Heise: Von der Politik vorgegeben ist eine Quote von 15 Prozent weiblicher Soldaten in der Bundeswehr, die muss man ja erst mal erreichen. Das heißt, wenn so die Karriereleiter jetzt mal sich vorgestellt wird, da sind Frauen mit ziemlich großen Schritten unterwegs, einfach weil da auch die Positionen besetzt werden müssen. Gibt es da nicht manchmal Reibereien so nach dem Motto, jetzt werden die Frauen bevorzugt?

Lietzow: Also ich denke schon, dass es da die Reibereien gibt und dass hinterm Rücken solche Argumente auch kommen, aber die gibt es auch bei Männern untereinander, und die gibt es auch bei Frauen untereinander. Also ich denke nicht, dass das jetzt unbedingt eine große Rolle spielt, Frauen werden bevorzugt. Frauen bringen zum Teil die besseren Leistungen, und aufgrund dieser besseren Leistungen bekommen sie bessere Beurteilungen, und wenn sie bessere Beurteilungen bekommen, werden sie schneller befördert.

Ich wollte aber noch mal ganz kurz was zum Ton sagen: Die größten Gegner habe ich im Laufe der Jahre immer mal wieder gesprochen, und die haben mir dann versichert, der Ton hat sich verbessert in der Truppe, der Umgang untereinander ist zivilisierter geworden, es hat auch im Rückblick sehr viel positive Resonanz gegeben, und ich denke mal, das ist auch wichtig festzuhalten: Frauen haben die Bundeswehr positiv beeinflusst.

Heise: Fühlen sich nicht die Männer manchmal jetzt ein bisschen fast ungleich behandelt? Ich habe gelesen, dass Frauen lange Haare erlaubt sind, wenn sie sie im Zopf zusammenfassen, Männern aber nicht. Ich meine, wenn man was erlebt hat, wenn Jungs zur Bundeswehr eingezogen werden und diese Frisur dann da irgendwie hatten, da hat das … Sie lachen!

Lietzow: Ja, da Männer heute ihre Haare bis zur Unkenntlichkeit kürzen, sodass man kaum noch die Haarfarbe erkennen kann, denke ich mal, ist das überhaupt gar kein Problem. Also ich habe da noch nie irgendwie gehört, dass da ein Mann nun unbedingt lange Haare haben wollte, die wollen sie heute so kurz wie nur irgend möglich haben.

Heise: Einen Punkt möchte ich noch kurz ansprechen: Wie lässt sich eigentlich Familie, Kinder mit Soldatin im Alltag vereinbaren?

Lietzow: Das ist ein Problem. Es gibt da eine Arbeitsgruppe im BMVG, und es gibt von oben ganz viele gute Ansätze, die Vereinbarkeit von Familie und Dienst herzustellen. Wir in Kiel haben hier ein Pilotprojekt, da sind wir ganz besonders stolz drauf: Wir haben die erste Kindertageseinrichtung mit zehn Kindern, wir haben schon über 50 Anmeldungen inzwischen für diese Krippenbetreuung, die ja ungeheuer notwendig ist auch.

Also da sind wir auf einem guten Weg, ich hoffe, dass wir das hier in Kiel noch intensivieren können und weiter ausbauen können. Das ist auch dringendst erforderlich.

Heise: Dankeschön! Frauen in den Streitkräften - vor zehn Jahren ebnete ein Urteil den Weg zum Dienst an der Waffe auch für Frauen. Ich bedanke mich bei meinen Gesprächsteilnehmerinnen, Ingrid Lietzow und Bianca Hache, beide vom Bundeswehreinsatzort Kiel. Dankeschön, meine Damen!

Lietzow: Dankeschön, tschüss!

Heise: Danke!