Attentat von Sarajevo

Dramaturgie eines historischen Moments

Das österreichische Thronfolgerpaar wenige Augenblicke vor dem tödlichen Attentat im offenen Wagen. Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie wurden während eines Besuchs in Sarajevo erschossen.
Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie wenige Augenblicke vor dem tödlichen Attentat im offenen Wagen. © dpa-Bildarchiv
Von Malte Herwig · 16.08.2014
Drei Bücher zeichnen ein Bild von der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers Franz Ferdinands am 28. Juni 1914 in Sarajevo, die den Ersten Weltkrieg auslöste. Dabei erscheinen die Protagonisten des Attentats - Mörder und Opfer - als unbedeutsam für den Verlauf der Weltgeschichte.
Beliebt war er eigentlich nirgendwo, der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este. Er war ein Reaktionär in politischen Dingen, privat ein cholerischer Biedermann und brachte so das Kunststück fertig, sich sowohl bei Hofe als auch im Volk unbeliebt zu machen.
Der österreichische Politiker Josef Redlich, ein Zeitgenosse Franz Ferdinands, beschrieb den Thronfolger so:
"Gegen den Erzherzog bestehen tiefe, in breite Volksschichten herabreichende Antipathien, sein herrisches Wesen, seine Bigotterie, seine in Geldsachen ganz unglaublich kleinliche und unwürdige Art, seine geschmacklose Kunstsammlerei, mit der er schon längst zum Schrecken aller Antiquitätenhändler geworden ist,
die krankhafte Tötungssucht, die er am Wilde ausließ, seine jeden edleren Menschen verletzende Gewohnheit schimpflichen Misstrauens, die ihn jeder Denunziation zugänglich machte; dies und die beschränkt-bigotte, intolerante, hochmütige, alles perturbierende Art seiner Gemahlin haben ihn in Österreich und vollends in Ungarn höchst unbeliebt gemacht".
Sogar von der eigenen Familie gefürchtet
Besonders die Jagdlust des Thronfolgers war legendär. Im Laufe seines kurzen Lebens erschoss er insgesamt 274.899 Tiere und war dadurch sogar der eigenen Familie unheimlich, wie Frank Gerbert notiert:
"Franz Ferdinand war ein besonders umtriebiger, manischer, vielleicht sogar psychopathischer Jägersmann, der einen erheblichen Teil seiner Zeit auf Erden damit verbrachte, Tiere tot zu schießen. Sogar seinem Onkel, dem Kaiser, der selber gern jagte, wurde er dadurch ein bisschen unheimlich. Als der Neffe einmal im Lainzer Tiergarten, einem eingezäunten Wildpark bei Wien, mehrere hundert Abschüsse tätigte, soll Franz Joseph gesagt haben: 'Unbegreiflich, das sind doch Haustiere!'"
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Cover: "Endstation Sarajevo" von Frank Gerbert© Verlag Kremayr&Scheriau/Orac
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der gewaltsame Tod dieses bei Freund und Feind so unbeliebten Menschen zum Anlass des vierjährigen Massenschlachtens wurde, an dessen Ende 17 Millionen Tote zu beklagen und drei Kaiserreiche untergegangen waren.
Ferdinand hielt nichts von einem Präventivkrieg gegen Serbien
Wie es dazu kam, damit beschäftigen sich die Sachbücher von Gregor Mayer ("Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip") und Frank Gerbert ("Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand") sowie der Roman von Janko Ferk ("Der Kaiser schickt Soldaten aus"). Die Autoren beleuchten die politische Großwetterlage nur am Rande und richten stattdessen ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Zündfunken, der das Pulverfass Europa explodieren ließ: das Attentat von Sarajevo und die unmittelbar Beteiligten.
Alle erscheinen sie als Getriebene. Franz Ferdinand war zwar ein reaktionärer Militarist, aber im Gegensatz zur einflussreichen Kriegsfraktion in Wien nicht für einen Präventivkrieg gegen Serbien. Er fürchtete die Folgen eines solchen Feldzugs, wie er in einem Brief an Außenminister Graf Berchtold schrieb:
"Erstens fällt ganz Europa über uns her und betrachtet uns als Friedensstörer, und Gott behüte uns, dass wir Serbien annectiren; ein total verschuldetes Land, gepfropft mit Königsmördern und Spitzbuben."
Dennoch ließ er sich auf den Besuch in Sarajevo ein – angesichts der angespannten politischen Lage und der kaum vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen ein Himmelfahrtskommando. Der Thronfolger aber wollte Stärke beweisen.
Der gekränkte Mörder
Sein Mörder, der junge Student Gavrilo Princip, hatte sich schon früh für den serbischen Nationalismus begeistert. Als er sich 1912 freiwillig für den bevorstehenden Balkankrieg mustern ließ, wurde er jedoch als "zu schwach" abgelehnt. Gregor Mayer sieht darin die eigentliche Motivation für seine Tat:
"Diese Demütigung bestärkte den damals 17-jährigen in seinem Entschluss etwas wirklich Großes zu vollbringen: ein Attentat gegen einen hohen Repräsentanten des österreichischen Regimes."
Princip brannte darauf, sich beweisen zu können. Am 28. Juni 1914 standen er und seine Mitverschwörer an der Allee, die Franz Ferdinands Konvoi entlang fahren sollte. Nachdem ein Gefährte Princips bereits eine Bombe auf den Konvoi geschleudert hatte, die den Wagen des Thronfolgers nur knapp verfehlt hatte, ließ Franz Ferdinand beim Rathaus Halt machen, um sich beim Bürgermeister über den unfreundlichen Empfang zu beschweren:
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Cover: "Verschwörung in Sarajevo" von Gregor Mayer© Residenz Verlag
"Herr Bürgermeister, da kommt man nach Sarajevo, um der Stadt einen Besuch zu machen, und man schleudert Bomben! Das ist empörend!"
Beim anschließenden Empfang witzelte seine Hoheit im kleinen Kreis:
"Der Attentäter bekommt bei unseren Verhältnissen sicher noch das Goldene Verdienstkreuz. Ganz bestimmt wird er jedoch Hofrat werden."
Direkt vor die Pistole des Attentäters
Der berühmteste von Franz Ferdinand überlieferte Satz fiel, als er die Stufen des Rathauses hinab wieder zu seinem Wagen ging, um die Fahrt durch die Menge fortzusetzen:
"Mir scheint, wir werden heut' noch ein paar Kugerln bekommen."
Nach der Weiterfahrt kam sein Wagen durch ein ungeschicktes Wendemanöver nur wenige Meter entfernt direkt vor dem Attentäter zum Stehen, der die Gelegenheit nutzte, um den Thronfolger und seine Gattin mit drei Schüssen zu töten.
So schlampig die Sicherheitsvorkehrungen waren, die die österreichischen Behörden für den Besuch des Thronfolgerpaars in Sarajevo getroffen hatten, so hart griffen sie nach dem erfolgreichen Attentat mit Massenverhaftungen und Schnellverfahren durch – sicher auch, um so von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Princip und seine Mitverschwörer wurden in der Festung Theresienstadt interniert, dem Guantanamo Bay der KuK-Monarchie.
Die Motive: Rache und Liebe
Mithilfe der Aufzeichnungen des Wiener Psychiaters Martin Pappenheim, der den Attentäter zwei Jahre nach Kriegsausbruch in der Haft besuchte, rekonstruiert Mayer Princips Motive:
"'Warum haben Sie's denn getan?' – 'Hab' mein Volk geliebt, wollt' es rächen.' Reine Abstraktion, denkt der Psychiater, zwischen Abscheu und Bewunderung schwankend, dieser Mensch hat in sich nichts Materielles. 'War ein idealer Mensch', schreibt der Arzt in sein Notizbuch. Die Motive Rache und Liebe. Ganze Jugend in solcher revolutionärer Stimmung. Sprachen von anarchistischen Flugschriften, die zu Attentaten aufgereizt haben."
Gavrilo Princip erinnert in seinem mörderischen Idealismus an die Terroristen von heute: jung und fanatisiert werden sie zu Marionetten einer verbrecherischen Politik und dienen noch im Tod der Propaganda. Die Autoren Gerbert und Mayer, die sich auf die Spuren von Opfer und Täter gemacht haben, zeigen, wie lang der Schatten des Attentats von 1914 ist.
In Titos Jugoslawien goss man Fußstapfen in den Asphalt an der Stelle, von der aus der Thronfolger erschossen wurde. Sie verschwanden gleich zu Anfang des jugoslawischen Bürgerkriegs 1992. Die Gavrilo-Princip-Brücke wurde wieder in Lateinerbrücke umbenannt, während serbische Truppen die Stadt Sarajevo in Stücke schossen. Ihr Befehlshaber war der bosnisch-serbische Nationalist Radovan Karadzic, der Princip in seinen Gedichten als Helden feierte.
Die tödliche Begegnung – ein willkommener Kriegsanlass
Das erstaunliche Ergebnis dieser literarischen Spurensuchen ist: den unmittelbar am Attentat Beteiligten kam keine Bedeutung für den Lauf der Geschichte zu.
Kaiser Franz Joseph richtete seinem ungeliebten Thronfolger ein Begräbnis Dritter Klasse aus und ließ sich dann von den Falken in seinem Kabinett in den Weltkrieg treiben. Gavrilo Princip starb noch im letzten Kriegsjahr an den Folgen seiner Haft. Janko Ferk legt dem Sterbenden die letzten Worte in den Mund:
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Cover: "Der Kaiser schickt Soldaten aus" von Janko Ferk© Styria Verlag
"Ich weiß nicht, ob es meine Kugeln waren".
Tatsächlich spielte der Täter überhaupt keine Rolle. Die tödliche Begegnung zwischen einem naiven Terroristen und einem unbeherrschten Herrscher war bloß ein willkommener Anlass für die friedensmüden Großmächte, langgehegte Kriegspläne in die Tat umzusetzen.
Ein Attentat kann jeder verüben. Es kommt darauf an, was daraus gemacht wird.
Man schaudert, wenn man Parallelen zum Terroranschlag vom 11. September 2001 zieht, der zum Auslöser eines nun schon zwölf Jahre dauernden weltweiten "Krieges gegen den Terror" gemacht wurde.

Frank Gerbert: Endstation Sarajevo. Die letzten sieben Tage des Thronfolgers Franz Ferdinand. Eine Spurensuche von Böhmen bis Mähren
Verlag Kremayr & Scheriau / Orac, Wien Februar 2014
208 Seiten, 22,00 Euro, auch als E-Book

Gregor Mayer: Verschwörung in Sarajevo. Triumph und Tod des Attentäters Gavrilo Princip
Residenz Verlag, St. Pölten Februar 2014
160 Seiten, 19,90 Euro, auch als E-Book

Janko Ferk: Der Kaiser schickt Soldaten aus. Ein Sarajevo-Roman
Styria Verlag, Wien Januar 2014
160 Seiten, 19,99 Euro

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