Atommüllendlager im Wendland

Der Kampf geht weiter

Atomkraftgegner im Kreis Lüchow-Dannenberg bereiten sich im Oktober 2010 auf einen Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben vor.
Atomkraftgegner im Kreis Lüchow-Dannenberg bereiten sich im Oktober 2010 auf einen Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben vor. © picture alliance / dpa / Foto: Philipp Schulze
Von Axel Schröder · 21.08.2015
Jahrzehnte bestimmte rund um Gorleben der Kampf gegen ein Atommüllendlager das Leben der Menschen. Fest steht, es wird in Zukunft wohl keine Castor-Transporte mehr geben und auch die Erkundungsarbeiten im Salzstock wurden eingestellt. Viele trauen der Ruhe aber nicht.
840 Meter tief unter der Erde herrscht Ernüchterung. Bei der letzten Besucherfahrt ins umstrittenste Bergwerk der Republik, in den Salzstock Gorleben war Peter Ward, der Betriebsrat der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern, der DBE, tief enttäuscht.
"Der Erkundungsbereich 1 wird außer Betrieb genommen. Und es werden viele Sachen zurückgebaut. Kabel, Belüftungsanlagen und so weiter werden alle ausgebaut. Finde ich schade. Ich finde auch schade, dass die Langzeitmessungen nicht weitergeführt werden. Die brauchen wir später einmal, wenn es denn doch mal zu einer Aussage kommen sollte…"
Aber genau diese Aussage – eignet sich der Salzstock Gorleben als Endlager für hochradioaktiven Müll oder nicht – diese Aussage wird in den nächsten zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren nicht getroffen werden. Das Bergwerk wird eingemottet. Die Erkundung auf unabsehbare Zeit unterbrochen, vielleicht nie wieder aufgenommen. Und auch in das oberirdische Atommüll-Zwischenlager sollen keine weiteren Castorbehälter transportiert werden. 113 dieser Behälter lagern dort schon. 26 sollten noch dazukommen. Aber Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat versprochen, diese Castoren an anderen Standorten unterzubringen.
Die Menschen im Wendland könnten also aufatmen: kein zusätzlicher Atommüll. Keine weitere Erkundung des Salzstocks, sondern ein weitgehender Rückbau des Bergwerks, in das eigentlich schon Ende der 90er-Jahre der erste Müll eingelagert werden sollte. Und in Berlin tagt seit anderthalb Jahren die sogenannte Endlagerkommission des Bundestages, um über das Prozedere einer neuen Suche auch an anderen Standorten in der Republik zu beraten. Ist der Widerstand, ist die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg also am Ziel? In Feierlaune? Marianne Fritzen war 1973 Mitbegründerin der BI:
"Nach 40 Jahren kann ich mir die Frage stellen: was haben wir erreicht? Wir haben sehr, sehr viel erreicht! Ganz einfach! – Ich persönlich bin kein Feiertyp. Das wäre schon mal für solche Sachen ein Handicap. Da müssen andere Leute als ich kommen. Die Stimmung machen. Ich bin ein Arbeitstier."
Die 91-jährige Marianne Fritzen sitzt in ihrem tiefen Sessel, direkt am Fenster. Üppige Topfpflanzen auf der Fensterbank. Sie beugt sich nach vorn, zeigt das Schwarz-Weiß-Foto, auf dem die Anfänge ihres Widerstands gegen die Atomanlagen im Landkreis Lüchow-Dannenberg festgehalten sind:
"Da hinten sitze ich. Und im Vordergrund sitzt mein Mann. Und da oben sitzen die Betreiber. 13.12.1973, Langendorf. Öffentliche Ratssitzung zum Thema: Kernkraftwerk in Langendorf. Mit OKD Paasche und Vertretern der Atomlobby. Frantzen und andere."
So hat es Marianne Fritzen auf der Rückseite notiert. Im Winter 1973 wurde der Konflikt um die Atomenergie in eine der entlegensten Regionen der alten Bundesrepublik getragen. In Langendorf an der Elbe sollte ein Atomkraftwerk entstehen, im so genannten ´"Zonenrandgebiet", im östlichsten Zipfel Niedersachsens, im Wendland. Damals begannen die Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht. Mit der Bundes- und Landespolitik, mit der Polizei, dem Verfassungsschutz.
"Unser erster Einsatz – Langendorf, als das Bild gemacht wurde – stand in dem Saal so ein Bauernklavier. Da sind sie reingegangen – die Polizei oder was-weiß-ich-was, damals: der Bundesgrenzschutz vor allen Dingen noch – haben oben den Kastendeckel aufgemacht: ob da nicht eine Bombe versteckt ist. Da sage ich: ´Wir würden uns doch nicht in den Saal hineinsetzen, wenn wir wüssten, dass da eine Bombe drin ist.` Da wurde schon alles durch gesucht. Ist genau wie heute. Da wird auch alles abgesperrt. Dass ich verfolgt wurde, wusste ich – nicht ´verfolgt` in dem Sinn! – sondern von den Leuten vom Verfassungsschutz oder von der Polizei."
Die Pläne für das Atomkraftwerk an der Elbe wurden damals fallengelassen. Doch die Ruhe währte nicht lange: Im Februar 1977 verkündete Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht die Idee eines "Nuklearen Entsorgungszentrums" in Gorleben, die die alten Pläne in den Schatten stellte. Geplant war: eine Wiederaufbereitungsanlage für hochradioaktiven Müll, eine Brennelementefabrik, ein Zwischenlager für schwach-, mittel- und hochradioaktiven Nuklearabfälle. Dazu eine so genannte Pilotkonditionierungsanlage, um den Müll in Endlagerbehälter zu verpacken und – als Herzstück – ein unterirdisches Atommüllendlager im Salzstock unter einem 1200 Hektar großen Betriebsgelände. Den Widerstand im Wendland glaubte die CDU-geführte Landesregierung unter Ernst Albrecht in den Griff bekommen zu können. Zum Beispiel durch die Observation der Aktivisten:
"Ich weiß noch: morgens früh um sieben war ein Bauer aus dem Dorf da. Ein Jungbauer. Und der sagte: ´Hast Du schon gesehen, wie gut Du bewacht wirst heute Morgen? Hast drei Autos um Dich rumstehen! Kannst nicht raus…` Ich sage: ´Oh, das ist ja nett!` ´Ja`, sagt er, ´Eins steht oben am Berg, eins steht am Friedhof und das andere da.` Ist vielleicht auch nur ein Ausspionieren. Ich weiß, dass Albrecht, darauf angesprochen, mal gesagt hat: ´Lüchow-Dannenberg? Da brauchen wir uns nicht drum kümmern. Da sind wir bestens orientiert!` Ja, von wem?"
Tiefe Gräben in den Dorfgemeinschaften
Mitte der 80er-Jahre wurde eine eigene Datenbank für 2000 verdächtige Aktivisten angelegt. Ihre Wohnorte wurden ausgekundschaftet, Bewegungsprofile erstellt, Telefone abgehört. Nach dem Bekanntwerden dieser Aktion und einer Klage dagegen musste die Datenbank gelöscht werden. Andere Gorleben-Gegner sollten durch Geld umgestimmt werden. Bauern wurden vor die Wahl gestellt, entweder für viel Geld ihr Land und damit die Salzabbaurechte zu verkaufen oder enteignet zu werden. Dem größten Landbesitzer in der Region, dem damals noch jungen Andreas Graf Bernstorff wurden über 30 Millionen D-Mark geboten. Im Gartower Schloss, auf dem breiten Sofa im Kaminzimmer sitzt er neben seinem Sohn Fried. Erzählt er von den tiefen Gräben, die die Atompläne im Wendland aufrissen.
"Für mich war die Lage ja sehr speziell wegen des Besitzes hier. Ich hatte ja große Teile der notwenigen Grundstück und der Salzabbaugerechtigkeiten unter meinem Boden. Und dass ich mich dann verweigert habe – ich habe weder Land verkauft noch die Salzrechte – wurde mir zum Teil auch übelgenommen. Erst mal wurde es mir nicht geglaubt. Die haben gesagt: ´Naja, der Graf, der wartet ab, bis er noch mehr Geld kriegt!` Und das hat eigentlich sehr lange gedauert, bis das Vertrauen da war, dass ich bei meiner Haltung bleibe. Und andere Kreise hier im Lande, in unserer Samtgemeinde vor allem, die haben mir sehr übelgenommen, dass ich sozusagen den Fortschritt behindere. Das war für mich sehr schmerzlich. Aber diese Art Riss ging ja durch die ganze Gesellschaft. Auch innerhalb von Familien: die Eltern waren dafür, hatten ihre Grundstücke gut verkauft. Und die Kinder waren zum Teil damit gar nicht einverstanden. Das war schon eine sehr, sehr harte Auseinandersetzung!"
Atomkraftgegner 1980 in der "Republik Freies Wendland".
Atomkraftgegner 1980 in der "Republik Freies Wendland".© Imago / Sven Simon
Eine Auseinandersetzung, die alle Teile der Gesellschaft erfasste: Kegel- und Schützenvereine, Dorfgemeinschaften und Fußballmannschaften, Kirchengemeinden und Skatrunden. Keine Haltung zu Gorleben? Das gab es nicht. Die Menschen mussten Position beziehen. Zu den vielen Ungereimtheiten und dem politischen Druck beim Thema Gorleben. Dazu, dass der Standort aus geologischer Sicht gar nicht erste Wahl war. Dazu, dass die Bundesregierung unter Helmut Kohl Einfluss nahm auf die Gutachten der am Endlagerprojekt beteiligten Wissenschaftler. Dass Grenzwerte für radioaktive Strahlung rund um das Zwischenlager überschritten wurden. Dass Spitzel des Verfassungsschutzes im Wendland unterwegs waren. Einigkeit in dieser Frage herrscht bei den Bernstorffs. Vor zwei Jahren hat Fried Graf Bernstorff die Verantwortung für den Besitz der Familie von seinem Vater übernommen.
"Natürlich ist es eine Bürde. Aber es ist eine Verantwortung, mit der ich aufgewachsen bin. Und das werden wir hier auch nie außer Acht lassen. ´Was passiert mit Gorleben?` – diese Frage wird immer da sein. Aber ich finde es sehr erfrischend, dass man den Kopf mal ein bisschen freier kriegt, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Ich finde immer die Frage wichtig, was aus den ländlichen Räumen in Deutschland wird. Und wenn wir uns nicht aktiv da reinknien und gute Vorschläge machen, dann wird das ein Museum. Das, finde ich, ist eine grauenhafte Vorstellung. Deswegen fände ich es total spannend, wenn wir uns Konzepte einfallen lassen, wie man kreative junge Leute aufs Land kriegt. Umso besser, wenn man dafür kein Gorleben braucht!"
Jährlich kommt Geld
Auf Gelder aus dem Samtgemeindehaushalt dürfen aber weder die Bernstorffs noch andere Gorleben-kritische Initiativen hoffen. Zwar zahlt die Gesellschaft für Nuklearservice, die Betreiberin des Castorlagers in Gorleben jedes Jahr 850.000 Euro an Ausgleichsgeldern an die Gemeinde Gartow-Gorleben. Aber diese Gelder dürfen, das ist vertraglich vereinbart, nicht in Projekte fließen, die von Gegnern der Endlagerpläne betrieben werden. Es gilt die so genannte Wohlverhaltensklausel des Vertrags:
"Das ist, würde ich sagen, eigentlich nach geltendem Recht so nicht mehr hinnehmbar. Das ist eigentlich eine Bestechung. Das ist meiner Ansicht nach der Hauptgrund für das Anhalten dieses Spaltes. Vielleicht hätte man irgendwann auch mal sagen können: ´Jetzt ist auch mal gut! Das ist alles lange her!` Aber weil jedes Jahr diese Gelder wieder kommen, die verteilt werden, ist das wie so eine Injektion von etwas Schlechtem, was immer wieder sich so langsam verteilt."
Aber diese Wohlverhaltensklausel im bis 2034 laufenden Vertrag über die Gorleben-Gelder wird bestehen bleiben. Christian Järnecke, CDU-Mitglied und Bürgermeister der Samtgemeinde Gartow-Gorleben, hält die Kritik an der Klausel für überzogen. In der Praxis hätte sie kaum eine Bedeutung, so Järnecke:
"Ich habe da kein Interesse daran, sie zu ändern. Und werde die Verträge damit insgesamt auch nicht in Gefahr bringen. Ich sehe schon die Gefahr, dass, wenn wir darüber diskutieren würden, möglicherweise die Klausel kippen wollen, dass ich den ganzen Vertrag damit in Gefahr bringe und damit auch das Geld. Und das möchte ich einfach nicht!"
Christian Järnecke freut sich über die neu gewonnene Ruhe im Landkreis, in der Gemeinde. Seit keine Castoren mehr rollen, seit nicht noch mehr Fakten geschaffen werden, würden die Ratssitzungen friedlicher verlaufen.
"Und ich glaube, dass wir da jetzt auf einem guten Weg sind, dass es nicht mehr die Bevölkerung so spaltet."
An diesen guten Weg wollen die Gorleben-Gegner aber nicht glauben. Wolfgang Ehmke, langjähriger Sprecher der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg sitzt bei einem Cappuccino auf dem Dannenberger Marktplatz. Baskenmütze auf dem fast kahlgeschorenen Kopf.
"Auf der Oberfläche werden die Anlagen zurückgebaut. Es sollen keine Castoren mehr nach Gorleben rollen. Und dahinter steckt sicherlich auch der Plan, dass man die politische Lage hier beruhigen will. Dass es unglaublich störend war, wenn wir in der Castor-Zeit die Chance hatten, auf das Atommüll-Dilemma insgesamt aufmerksam zu machen und immer wieder sagen zu können, warum Gorleben nicht geht. Und wenn man uns diese Bühne nimmt – so sehen das viele – dann, um im Stillen Gorleben dann doch zu realisieren."
Zwar hat der Bundestag 2013 mit breiter Mehrheit ein Endlagersuchgesetz beschlossen, dass die Suche nach anderen potentiellen Atommüll-Lagern ebnen soll. Ehmkes Mitstreiter Mathias Edler ist Inhaber einer kleinen Brauerei, daneben bei Greenpeace zuständig für das Thema Endlagerung. Für ihn markiert das Gesetz eben keinen Neustart bei der Endlagersuche. Die vielbeschworene "weiße Landkarte" gebe es dabei nicht. Immerhin ist Gorleben trotz der heute schon bekannten Mängel am Salzstock nicht aus dem Rennen genommen worden. Sondern soll nur vorläufig eingemottet werden. Auch die Besetzung der Endlagerkommission macht ihn misstrauisch, so Mathias Edler auf seinem Hof im Süden des Wendlands:
"Geht man diese einzelnen Vertreter, die da drin sitzen, durch, dann weiß man, wer glasklar, für tiefengeologisch, für Salz und für Gorleben ist und wer dem vielleicht kritisch gegenüber eingestellt ist. Warum da ausgerechnet Vertreter von RWE und E.on sitzen, wäre eine Frage, die man mal stellen kann. Die wollen natürlich den Müll so schnell wie möglich und so billig wie möglich loswerden. Die sind schon mal glasklar für Gorleben. Unter den Wissenschaftlern befindet sich einer, der sogar ein Patent für den technischen Verschluss von Salzstöcken innehat. Auch da würde ich sagen: der sieht das nicht unbefangen. Und dann sieht man sofort: es wird nie eine Mehrheit geben, dass Gorleben rausfällt. Es kann durchaus sein, dass es eine Mehrheit gibt, das an diesem Standort doch weitergemacht wird."
Dazu kommt: das Standortauswahlgesetz schreibt gar nicht vor, ob in allen drei in Frage kommenden so genannten Wirtsgesteinen – im Salz, im Granit und im Ton – nach geeigneten Endlagerstätten gesucht werden soll.
"Paradoxerweise hat man sich nicht einmal darauf einigen können, dass man eine Mindestanzahl an anderen zu untersuchenden Standorten gesetzlich vorschreibt. Das Ende vom Lied ist: bis heute gibt es keinen anderen Standort, der auch nur ansatzweise in der Diskussion wäre. Und die Weichen sind nach wie vor, hinter den Kulissen auf Gorleben gestellt."
Die Aktivisten machen weiter
Die Beratungen der Endlagerkommission empfinden die Aktivisten aus dem Wendland als Alibi-Veranstaltung, als Nebelkerze – auch wenn viele ihrer Mitglieder gute Arbeit machten und tatsächlich eine neue, offene Endlagersuche anstrebten. Am Ende, so Mathias Edler, verschaffe sich die Bundesregierung auf diese Weise nur Zeit. Daran, dass sie es ernst meint mit einem Neustart der Endlagersuche, glaube er erst, so Edler, wenn tatsächlich die ersten Probebohrungen auf der schwäbischen Alb, in Bayern oder einem der vielen anderen Salzstöcke in Norddeutschland stattfinden. Bis dahin werden die Aktivisten im Wendland weitermachen mit ihrem Kampf gegen die Atomanlagen vor der eigenen Haustür, erklärt BI-Sprecher Wolfgang Ehmke:
"Die Arbeit ist so schwierig geworden, viel schwieriger geworden. Weil es dieses Plakative, Ostentative – ´Wenn der Castor rollt!` – nicht mehr gibt. Und trotzdem ist die Bedrohung nicht weg. Wir nehmen das so wahr, dass wir uns tatsächlich jetzt konzentrieren können auf die Dauer-Zwischenlagerung. Ein großes Thema! Man hat das konzipiert so ein Zwischenlager für die Castoren für 35 Jahre. Und wahrscheinlich werden 50, 60, 70 Jahre draus. Das gibt Probleme. Nicht nur hier in Gorleben, sondern das ist bundesweit ein Thema. Und natürlich die Endlagersuche: wir müssen die Endlagerkommission-Sitzungen kritisch und intensiv verfolgen. Aber wir sind auch weiter auf die Straße gegangen. Und wir haben ja nicht zuletzt während der Kulturellen Landpartie mit 8000 Menschen in Gorleben demonstriert!"
Diese alljährlich über Pfingsten stattfindende "Kulturelle Landpartie" ist ein Beispiel für das Konstruktive, das der Konflikt um die Atomkraft im Wendland hervorgebracht hat. Im gesamten Landkreis finden dann Ausstellungen statt, Theateraufführungen, Konzerte oder Kunst-Märkte. Zentren für politische Bildung sind entstanden und auch die Lokalzeitung, die Elbe-Jeetzel-Zeitung ist spannender zu lesen als die Lokalpresse der Nachbarkreise. Und natürlich wird der Strombedarf des gesamten Landkreises mittlerweile durch regenerative Energien gedeckt.
"Und wir haben hier natürlich Szenetreffs und Theater und Kino. Wir haben eine unglaubliche politkulturelle Dichte im Wendland. Dann gibt es auch Initiativen, die sich um die Integration von Flüchtlingen intensiv kümmern. Und von daher habe ich noch nicht erfahren, dass Leute sich politisch langweilen hier. Die Schulauswahl ist größer! Es gibt hier Freie Schulen. Es ist hier wirklich was gewachsen, was unser Leben wirklich so bereichert – wir brauchen keine Castortransporte, um hier glücklich zu leben."
Und wenn in zehn, fünfzehn Jahren, nach einer erfolglosen Suche an anderen Standorten doch wieder der Salzstock Gorleben ins Visier der Endlagersucher gerät? Wird es dann einfacher werden, diesen Standort durchzusetzen? Ist die widerständische Kultur des Wendlands dann längst vergessen? Der Atomkraftgegner und Bierbrauer Mathias Edler glaubt das nicht:
"Hier hat die dritte Generation seit 1977 auf dem Trecker gesessen und demonstriert. Das ging nahtlos ineinander über. Ich glaube, dass das in der ganzen Bundesrepublik so sein wird. Und vielleicht in Landstrichen weiter im Süden, wo die Mentalität noch ein bisschen – wie soll ich sagen? – kräftiger ausgebildet ist – wenn wir uns an Wackersdorf in Bayern erinnern – da wird das überall auf Knopfdruck so sein, wenn die Leute kein Vertrauen in die Entscheidungen der Politik haben!"
Im Wendland ist dieses Vertrauen längst aufgebraucht. Die Bevölkerung ist politisch hoch sensibilisiert und vertraut "denen da oben" schon lange nicht mehr, glaubt Eckhardt Kruse. Er ist Gemeindepastor in Gartow und Endlagerbeauftragter der Evangelischen Kirche.
"Der Schriftsteller Nicolas Born, der hat mal den Satz geprägt: ´Die Ruhe auf dem Land ist oft stille Wut`. Und diese Ruhe auf dem Land, die oft stille Wut ist, das erlebe ich hier ganz massiv. Es ist eine Phase, in der aktuell kein Transport stattfindet. Aber wir haben hier auch keine Ruhe in dem Sinne gefordert, sondern immer nach einer Lösung des Endlagerproblems gefragt. Und die gibt es überhaupt nicht. Das ist nicht absehbar."
Und daran, so Eckhard Kruse, ändere auch ein Endlagersuchgesetz nichts, kein Transportstopp für Castorbehälter nach Gorleben und auch keine öffentlich tagende Endlagerkommission.
"Das Vertrauen in unseren Staat, in Verantwortliche, das Vertrauen auch in die Medien, das ist nachhaltig zerrüttet. Ich sehe auch eigentlich keinen Weg, wie man das hier noch heilen könnte. Zu einer Oberflächlichkeit werden wir hier nicht zurückkommen. Wir sind geprägt durch diese Erfahrung von Jahrzehnten."
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