Atommüll-Endlagerung

Kein "Mitmach-Theater"

Ein Aktivist trommelt vor dem Bundesministerium für Umwelt, Bau und Reaktorsicherheit in Berlin auf einem Faß mit einem Warnzeichen für Radioaktivität.
Der Bundestag hat eine Kommission eingesetzt, die die Kriterien für die neue Endlager-Suche festlegen soll. © dpa picture alliance / Florian Schuh
Jörg Sommer im Gespräch mit Julius Stucke · 22.05.2014
Der Vorsitzende der Deutschen Umweltstiftung, Jörg Sommer, hält die Beteiligung der Bürger an der Diskussion um die Endlagerung von Atommüll für nötig. Die Stiftung wolle die Bürgerperspektive in die Endlager-Kommission einbringen.
Julius Stucke: Das Problem ist schnell benannt, eine Antwort wird schon lange gesucht: Wohin mit dem Atommüll? Da der leider nicht die Eigenschaft hat, sich selbst schnell davonzumachen, muss er irgendwo gelagert werden, und das für eine unvorstellbar lange Zeit. Nur wo? Die Suche nach einem Endlager – sie geht heute in eine neue Runde. Die sogenannte Endlagerkommission tagt zum ersten Mal, soll Kriterien für die Standortsuche erarbeiten. Politiker sitzen da am Tisch, die Wirtschaft, Wissenschaftler und die Kirche – und Umweltschützer. Die hatten sich lange gesträubt, hatten mal kollektiv nein zu diesem Gremium gesagt, weil auch Gorleben als möglicher Standort dabei ist. Der BUND sitzt heute mit am Tisch und die Deutsche Umweltstiftung. Gorleben-Kritiker ärgert das, eine Bürgerinitiative aus Lüchow-Dannenberg brachte den Ärger so auf den Punkt: Man sei dagegen, dass jemand am Mitmach-Theater teilnimmt. Für die Deutsche Umweltstiftung nimmt der Vorsitzende Jörg Sommer daran teil. Schönen guten Morgen, Herr Sommer!
Jörg Sommer: Guten Morgen, Herr Stucke!
Stucke: Herr Sommer, schmerzt Sie diese Kritik?
Sommer: Ja, die schmerzt, sie ist aber auch verständlich. Wir haben ja lange miteinander diskutiert in der Umweltbewegung, ob wir uns in der Tat an dieser Kommission beteiligen sollen oder nicht, denn es war von Anfang an sehr kompliziert aufgestellt und auch sehr problematisch. Man hat also quasi zuerst ein Endlagersuchgesetz beschlossen, dann eine Kommission eingesetzt, und eigentlich hat man da die Sache genau verkehrt herum angegangen. Man hätte natürlich zuerst in einer gesellschaftlich breit aufgestellten Kommission miteinander drüber sprechen sollen, wie man diese Endlagersuche gestalten will.
Und deshalb war das am Anfang eine sehr begründete Entscheidung, übrigens auch eine in der Tat sehr breit getragene Entscheidung, diese Kommission nicht zu besetzen. Aber in der Zwischenzeit hat sich dann doch, auch aufgrund des Drucks, den wir miteinander entwickelt haben, sehr viel getan.
Neues Vertrauen der Umweltverbände in Politik
Stucke: Und warum nehmen Sie jetzt teil?
Sommer: Ja gut, es gab eine Reihe von vertrauensgebenden Maßnahmen seitens der Politik, die uns signalisiert haben: Das Problem ist zumindest verstanden worden. Also Umweltministerin Hendricks hat ja zum Beispiel die Klage Ihres Vorgängers gegen die Rücknahme des Rahmenbetriebsplans für Gorleben zurückgezogen, womit Gorleben ja lange Zeit einen sehr dezidierten Status als der ausgewählte Endlagerstandort hatte.
Dann wurde, als weiteres Beispiel, der Abteilungsleiter im Ministerium für Reaktorsicherheit, der Herr Hennenhöfer, entlassen, der lange Jahre als Atomlobbyist tätig war und sicherlich die falsche Person gewesen wäre, um dieses Thema weiter zu verfolgen. Und dann hat man sich drauf geeinigt, dass diese Kommission, die jetzt heute das erste Mal tagt, tatsächlich zuerst sich dieses Endlagersuchgesetz vorknöpft, das evaluiert und sich noch mal anschaut, ob man da nicht noch an entscheidenden Stellen nachbessern muss.
Und ich denke, das sind mal drei vertrauensbildende Maßnahmen, die auch dann aufseiten der Umweltverbände durchaus auch mal anregen, selber ein Stück weit mit Vertrauen auf die Politik zuzugehen, aber auch nach wie vor mit begründeter Skepsis, denn zu einem Mitmach-Theater oder auch zu einer Mitmach-Falle wollen wir das Ganze natürlich nicht verkommen lassen.
Stucke: Aber ist es denn ein sinnvolles Gremium? Was erwarten Sie sich, was kann da erreicht werden?
Sommer: Ja, gut, Sie hatten es ja in Ihrer Anmoderation schon gesagt: Wir haben mit diesem Atommüll schätzungsweise die nächsten Millionen Jahre zu tun. Das ist ein Thema, das beschäftigt also nicht nur Sie und mich und die Bürger heute, sondern auch noch unsere Ur-Ur-Ur-Ur-Enkel. Und wenn man sich eine Million Jahre vorstellt – das ist die Zeit, da sind wir hier bei uns noch im Neandertal mit der Keule unterwegs gewesen. Also das sind Zeiträume, die man sich gar nicht so richtig vorstellen kann.
Und das ist ein Prozess, den können Sie nicht einfach mal so nebenher erledigen, der erfordert eine ganz breite gesellschaftliche Diskussion, und da müssen letztlich auch alle Bürger, die das möchten, demokratisch an diesem Prozess beteiligt werden. Und das ist uns wichtig, und das wird auch das Thema sein, das wir in diese Kommission reintragen.
"Ohne breiten Prozess keine gesellschaftliche Akzeptanz"
Stucke: Eine demokratische Kommission – haben Sie Angst davor, dass Sie am Ende dieses demokratischen Prozesses möglicherweise dastehen als die Stimme der Umwelt, die – wenn es denn dazu kommt – Gorleben mit legitimiert hat?
Sommer: Also es wird mit Sicherheit nicht so laufen können – und ich glaube auch nicht, dass sich intelligente Menschen in der deutschen Politik das so gedacht haben –, dass hier zwei Vertreter für die gesamte Bevölkerung, für die gesamte umweltpolitisch engagierte Bevölkerung in einer Kommission sitzen, wir hinter verschlossenen Türen uns ein Endlager ausgucken und das dann anschließend gesellschaftliche Akzeptanz findet.
Ohne diesen breiten Prozess, und um den geht es, wird es keine gesellschaftliche Akzeptanz geben, weder für Gorleben, noch für anderswo. Und Gorleben ist ohnehin a) technisch inzwischen widerlegt und b) auch politisch verbrannt. Dass es am Ende auf Gorleben rauslaufen wird, das glaubt heute eigentlich kaum noch jemand.
Stucke: Also haben Sie keine Sorgen, weil Sie sagen: Es kommt sowieso nicht zu Gorleben. Warum ist denn Gorleben dann noch drin?
Sommer: Ich sage, nicht dass es sowieso nicht zu Gorleben kommt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir überhaupt am Ende des Tages ein Endlager finden werden, in dem wir für eine Million Jahre diesen Atommüll begraben können, bis er nicht mehr strahlt. Es kann sein, dass wir über ganz andere Lösungen sprechen müssen, und über diese Lösungen müssen wir eben – und das sagte ich schon – gemeinsam in der Gesellschaft sprechen, nicht nur in dieser Kommission. Und das wird ein wichtiger Zweck dieser Kommission sein, diesen gesellschaftlichen Diskussionsprozess zu führen, und der ist natürlich erst mal ergebnisoffen. Sie können keinen gesellschaftlichen Prozess führen zu den Bürgern und sagen, ja, aber das Ergebnis kennen wir schon.
Mehrere Lager schaffen
Stucke: Also andere Lösungen, sagen Sie. Was haben Sie da im Kopf? Andere Lösungen als Endlager – was könnte das sein?
Sommer: Ja, nun, zunächst mal bin ich nicht als Wissenschaftsexperte in dieser Kommission, dazu haben wir uns ja acht Wissenschaftler eingeladen, die übrigens eine große Bandbreite darstellen. Und die haben natürlich in der Vergangenheit auch schon einige alternative Ideen sich ausgedacht. Es gibt ja die Möglichkeit, statt einer Endlagersituation mehrere Lagersituationen zu schaffen, die auch die sogenannte Rückholbarkeit gewährleisten. Denn wir wissen alle nicht, wie sich geologische Prozesse in diesem langen Zeitraum entwickeln.
Also da wird man sehr viel miteinander reden müssen, da muss man prüfen. Ich möchte da der Kommission jetzt auch nicht vorgreifen. Aber noch mal: Ohne diesen gesellschaftlichen Diskussionsprozess funktioniert es nicht. Die Kommission alleine wird und darf die Lösungen nicht vorgeben.
Stucke: Also die Kommission kann nicht das Ende der ganzen Geschichte sein?
Sommer: Auf gar keinen Fall. Sie soll eigentlich die Geschichte erst mal richtig in Bewegung bringen. Das ist ein bisschen missglückt am Anfang, eben durch diese falsche Reihenfolge, erst Gesetz, dann Kommission. Das Signal einiger Initiativen, die sagen, wir wollen uns in dieser Kommission nicht beteiligen – würde ich den anderen Kommissionsmitgliedern empfehlen, sehr ernst zu nehmen. Das ist eine Art gelbe Karte, mit der diese Kommission von Anfang an startet, die sagt: Wir haben die große Masse der atomkritischen Menschen in Deutschland nicht mit an Bord, und die bekommen wir nicht mit an Bord, wenn wir sie nicht ernst nehmen, nicht einbinden und ihnen nicht Beteiligungsmöglichkeiten gewährleisten.
Stucke: Sagt Jörg Sommer. Die Atomendlagerkommission tagt heute, der Vorsitzende der Deutschen Umweltstiftung ist mit dabei. Herr Sommer, vielen Dank!
Sommer: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen
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