Atmosphärenphysik

Leuchtende Nachtwolken

Leuchtende Nachtwolken sind in manchen klaren Sommernächten in Nordrichtung als silbern leuchtende Schleier zu sehen.
Leuchtende Nachtwolken sind in manchen klaren Sommernächten in Nordrichtung als silbern leuchtende Schleier zu sehen. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Silke Hasselmann · 31.08.2018
Die leuchtenden Nachtwolken in Mecklenburg-Vorpommern kann man nur dann sehen, wenn die Sonne unterm Horizont ist. Im Leibniz-Instituts für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn spüren Forscher dem Phänomen der eisgekühlten Wolken in 83 Kilometer Höhe nach.
Wer nach Kühlungsborn möchte, muss kurz vor dem Ziel eine herrliche Hügellandschaft durchfahren. Die letzte baumbestandene Kuppe ist überquert, und plötzlich öffnet sich der Blick auf gesamter Breite. Da unten − die Ostsee! An der Küste linker Hand: Rerik, rechts: Heiligendamm und dazwischen: Kühlungsborn. Darüber: weiter Himmel mit Horizont. Perfekt, um mit bloßem Auge eine leuchtende Nachtwolke sehen zu können, sagt Atmosphärenforscher Franz-Josef Lübken:
"Leuchtende Nachtwolken erscheinen so weißlich-bläulich. Das ist vielleicht von normalen Zirruswolken schwer zu unterscheiden. Aber man muss die Tageszeit beachten! Man kann sie nur dann sehen, wenn die Sonne unterm Horizont ist. Zu dem Zeitpunkt sind Standardwolken in der Troposphäre dunkel, weil sie nicht mehr von der Sonne beleuchtet werden. Aber die Eisteilchen in 83 Kilometern Höhe werden noch beleuchtet."
"Wann haben Sie zum letzten Mal eine leuchtende Nachtwolke gesehen?"
"Vor zirka vier Wochen hier von Kühlungsborn. Also Richtung Norden sieht man diese Wolken, wenn die Sonne untergegangen ist. Da diese Wolken aus Eisteilchen bestehen in ungefähr 83 Kilometern, bedeutet das gleichzeitig, dass es dort oben extrem kalt ist. Ungefähr 150 Grad unter null."
Aber nur im Sommer, ergänzt der Direktor des Leibniz-Instituts für Atmosphärenphysik, das sich vor allem der Erforschung der Mesosphäre widmet. Was sich dort oben stofflich und energetisch abspielt und was das mit dem Erdklima zu tun haben könnte, lasse sich besonders gut anhand leuchtender Nachtwolken und mit Hilfe diverser Radar- und Lidar-Messsysteme beobachten. Erstere arbeiten mit Radarwellen, letztere mit Licht und Laser.
Institutsdirektor Franz-Josef Lübken beim Testen neuer Sensoren für eine Höhenforschungsrakete
Institutsdirektor Franz-Josef Lübken beim Testen neuer Sensoren für eine Höhenforschungsrakete© Silke Hasselmann
Stationen betreiben die Leibniz-Forscher in Norwegen und in der Außenstelle Juliusruh auf der vorpommerschen Ostseeinsel Rügen. Sehen jedoch die Einwohner und Besucher von Kühlungsborn und Umgebung einen kräftigen grünen Laserstrahl kilometerweit in den Himmel ragen, dann liegt die Quelle hier im Leibniz-Hauptgebäude, sagt Michael Gerding aus der Abteilung "Optische Sondierungen".
Doch wer hoch hinauf in den Himmel will, muss zunächst hinunter in den Keller. Genauer gesagt: in das kleine fensterlose Laser-Labor.
"Was ich jetzt gerade gemacht habe? Ich habe im Prinzip den Laser eingeschaltet. Und jetzt hört man, wie die Blitzlampen laufen mit 30 Hertz, als 30 Pulsen pro Sekunde. Gleich wird noch die zweite Blitzlampenreihe hinzugeschaltet. Das ist dann noch ein bisschen lauter. Und dann läuft er."
Hier erzeugen die Atmosphärenphysiker weiß-kaltes Licht und schicken es über diverse Spiegel in einen Schacht. Zwei Etagen darüber: das Teleskop-Labor mit einem Schiebedach und der Fortsetzung des nach oben offenen Schachtes. Hier tritt das gebündelte Licht als grünleuchtender Strahl aus.
Gerding: "Normalerweise geht der da hoch auf diesen Spiegel. Dann von da dahin; da oben ist noch ein Spiegel."
Lübken: "Und von da in die Atmosphäre. Und wir messen immer. So lange es wolkenfrei ist, wird gemessen."
Der Laser kann den Himmel in Höhen zwischen einem und hundert Kilometern abtasten. Doch anhand des zurückgestreuten Lichtes wollen die Kühlungsborner Forscher vor allem wissen, wie es um die Temperatur- und Windverhältnisse, um Wellen, Gezeiten und Wechselwirkungen in der mittleren Erdatmosphäre bestellt ist.
"Und das ist eine Messung so einer leuchtenden Nachtwolke mit dem Lidar. Was Sie hier sehen, ist die Anzahl der zurückgestreuten Photonen pro Höhe."

Die längste Datenreihe der Welt

Zurück in seinem Büro lädt Franz-Josef Lübken auf seinem Rechner zahlenbewehrte Tabellen und bunte Grafiken hoch – erstellt in der Abteilung "Theorie und Modellierung".
"Das Schöne ist, dass, wenn Sie das mit dem Lidar messen können, dann können Sie messen, wo Sie wollen. Dann sind Sie nicht mehr auf diese Sonnenbedingungen angewiesen und können zum Beispiel zu polaren Breiten fahren. Wir haben inzwischen einige tausend Stunden Messungen an leuchtenden Nachtwolken auf Alomar, und das ist die längste und genaueste Datenreihe, die es gibt auf der Welt. Hier ist so ein Beispiel: Es sind ein paar Stunden Messungen. Das ist von Lidar gemessen; unter vollem Tageslicht! Das ist hier also 81, 82, 83 Kilometer, und Sie sehen auch so wellenförmige Strukturen. Das heißt, wir können mit diesen leuchtenden Nachtwolken eben auch dynamische Prozesse untersuchen, die man sonst nicht sieht."
Dann holt der Professor ein Plakat hervor, auf das er und seine 90 Kollegen besonders stolz sind. Zu sehen: Das Titelbild des weltweit wichtigsten Fachjournals der Geophysiker. Darauf die Skyline von Wismars Hafen kurz nach Sonnenuntergang. Der Sommernachthimmel scheint sich ein weißlich-durchscheinendes Negligé übergestreift zu haben.
"Und das ist so eine schöne leuchtende Nachtwolke. Die troposphärischen Wolken sind dunkel. Wir sind deswegen stolz darauf, weil dieses Bild auf der Titelseite von ‚Geophysical Research Letters‘ war. Sehen aus wie Zirrus, ne? Und sind hoch dynamisch."
Man habe zum Beispiel in dieser Schicht extrem wechselnde Winde von 100 Metern pro Sekunde beobachtet. In Verbindung mit anderen dort festgestellten Phänomenen – so nehme dort seit hundert Jahren die Eismenge beträchtlich zu - komme man zu dem Schluss:
"Der Treibhauseffekt ist in der mittleren Atmosphäre deutlich größer, viel größer als am Erdboden und hat umgekehrtes Vorzeichen: Es wird dort kälter. Nicht wärmer."
Michael Gerding im Teleskop-Raum des LIDAR-Messsystems
Michael Gerding im Teleskop-Raum des LIDAR-Messsystems© Silke Hasselmann
Schon zu DDR-Zeiten betrieb die Universität Rostock Atmosphärenphysik. Daran knüpften Bundesregierung und Leibniz-Gesellschaft an, als sie vor 25 Jahren das neue Institut für Atmosphärenphysik in Kühlungsborn bauen ließen. Genauso lange programmieren und testen sie hier übrigens schon Sensoren für die Höhenforschungsraketen, die ein- bis zweimal pro Jahr in Norwegen zum Einsatz kommen.
"Hier können dann die Bedingungen, die beim Flug erwartet werden, simuliert werden."

Beobachtung aus dem Koffer

Dann bleibt übrigens nur eine Minute Zeit, in der mittleren Erdatmosphäre alle möglichen Messdaten einzusammeln. Neu für die Kühlungsborner Wissenschaftler ist hingegen die Arbeit mit einem 3D-Drucker. Der soll helfen, ein im wahrsten Wortsinne handliches Lasermesssystem zu entwickeln. Neben dem großen Glaskasten samt orangener Apparatur liegt ein graues rundes Bauteil. Eine Teleskophalterung, sagt Franz-Josef Lübken:
"Das wurde mit dem 3D-Drucker gedruckt. Das ist eines der entscheidenden Konzepte, um das Ganze so zu minimieren, dass wir ein Lidar haben, das so ist und nicht so, wie Sie das oben gesehen haben. Sie haben einen Raum gesehen mit dem Laser. Sie haben einen zweiten Raum gesehen mit den Teleskopen. Und es gibt einen Raum, der noch mal so groß ist mit Empfangssystemen. Und jetzt sollen Sie alles - diese drei Räume - in etwas bringen, was so groß ist: Meter mal Meter."
Auch künftig werden die Atmosphärenphysiker das Dach ihrer Kühlungsborner Laser-Messstation aufschieben. Doch wenn es klappt, können die Forscher die mittlere Atmosphäre samt Leuchtenden Nachtwolken bald auch aus dem mobilen Koffer heraus beobachten – ob nun von anderen Orten im wenig lichtverschmutzten Mecklenburg-Vorpommern oder in polaren Breiten.
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