Atelierstandort Uferhallen

Kunst oder Profit oder beides

Vier Menschen stehen bei regnerischem Wetter vor Backsteingebäuden, die zum Teil großflächige Fenster haben.
Die Künstler in den Uferhallen wollen sich mit ihrem Mieterverein selbst verwalten: Cilia Jonda, Antje Blumenstein, Peter Dobroschke und Hansjörg Schneider (v.l.n.r.) © Deutschlandradio / Benjamin Dierks
Von Benjamin Dierks · 18.05.2021
In den Berliner Uferhallen gibt es viele Ateliers, Künstler haben hier eine Heimat gefunden. Doch das Areal wurde verkauft, ein Investor hat eigene Pläne. Und schon gefährden Renditeerwartungen Lebensentwürfe. Nun wird ein Kompromiss gesucht.
Peter Dobroschke tritt durch eine große verglaste Stahltür in einen kleinen Vorraum aus gedämmten Holzwänden. "So, das hier ist – noch – mein Atelier." Er öffnet eine weitere Tür, schlängelt sich durch einen schweren Vorhang:
"Das ist ein Atelier, das momentan zu dritt genutzt wird. Und ich bin hier sozusagen als Untermieter im vorderen Bereich und habe mir hier die Wände hochgezogen, mir eine Galerie eingebaut, wo ich einen kleinen Computer-Arbeitsplatz errichtet habe."

Ein Künstlerareal im Arbeiterbezirk

Der Konzeptkünstler weist stolz auf die weiß getünchte Sperrholzwand, die bis unters sechs Meter hohe Dach der Uferhallen reicht, einem einstigen Depot für Straßenbahnen und Busse. Er hat selbst angepackt, damit sein Atelier behaglich wird. Dobroschke ist einer von gut hundert Künstlerinnen und Künstlern, die in den Uferhallen im alten Berliner Arbeiterbezirk Wedding Quartier bezogen haben.
Aber der hagere Mittvierziger befürchtet, dass sein Atelier bald einem Neubau weichen muss. Denn seit bald vier Jahren gehört das denkmalgeschützte Areal einem Unternehmen von Alexander Samwer, einem der drei Samwer-Brüder, die einst den Onlineversand Zalando gründeten und mit ihrem Beteiligungsunternehmen Rocket Internet Startups in Serie aufbauten.
Die Samwer-Brüder sind vor allem für eines bekannt: Dass sie für ihre Investitionen schnelle Rendite erwarten. Aber Dobroschke und seine Kollegen sehen nicht ein, dass sie für die Renditeerwartungen von Investoren weichen müssen – oder zahlen sollen.
Dobroschke hat sich im alten Verwaltungsgebäude des Areals mit zwei Künstlerkollegen getroffen. Als sie von den Umbauplänen und Mietvorstellungen der neuen Besitzer erfuhren, gründeten die Mieter einen Verein, um geschlossen mit Eigentümern, Bezirk und Berliner Senat verhandeln zu können. Dobroschke ist der Vorsitzende des Uferhallen e.V.
"Jetzt versuchen wir, in den Verhandlungen die wichtigsten Punkte durchzubekommen, dass wir eine Selbstverwaltung haben, eine Bezahlbarkeit für die jetzige Belegschaft und eine Langfristigkeit", sagt er.

Verkäufe und Versprechen

Die Uferhallen haben eine lange Geschichte. 1873 wurde hier ein Betriebshof für die Berliner Pferdeeisenbahn gebaut. Später reparierten die Berliner Verkehrsbetriebe in den Hallen ihre Straßenbahnen und Busse.
2007 übernahm eine Aktiengesellschaft die Uferhallen und wollte sie langfristig als Kunststandort etablieren. Zehn Jahre später aber lockte offenbar doch das Geld. Ende 2017 wurde der Löwenanteil der Betreibergesellschaft Uferhallen AG an das Samwer-Unternehmen ArgoPrato verkauft. Ein anderes Samwer-Unternehmen, die Augustus Management & Architecture, wurde Betreiber des Areals.
In den ersten Gesprächen mit den Nutzern versicherten die neuen Eigentümer, dass sie niemanden verdrängen wollten. In den Bauentwürfen, die dann folgten, sei von der alten Struktur des Areals allerdings nicht viel übriggeblieben, erzählt Künstlerin Antje Blumenstein. "Es waren Entwürfe, das Maximum an Baumasse, was man sich hier auch nur irgendwie vorstellen kann, reinzustopfen."

Miete soll erhöht* werden

Und auch die Mietpreise sollten kräftig anziehen. Bislang zahlen die Künstler für ihre Ateliers im Schnitt vier Euro* nettokalt pro Quadratmeter. Die neuen Eigentümer wollen den Betrag auf sechs Euro* erhöhen.
Auf einem Plakat an einer Backsteinwand steht "Eigentum verpflichtet zur Ausbeutung. Grungesetz Art 14 (Neufassung)"
Auf dem Kunstareal hängt ein Plakat des Künstlers Klaus Staeck, mit dem gegen überzogenes Profitstreben im Immobiliensektor protestiert wird.© Deutschlandradio / Benjamin Dierks
Das wäre immer noch nicht so hoch, wie viele Mieten anderswo in Berlin bereits geklettert sind. Aber die Künstler hätten in den kargen Hallen selbst Strom, Heizung und Wasser verlegt und sie durch ihre Eigenleistung erst zu Leben erweckt, sagt Antje Blumenstein. "Also muss es zu einer Lösung kommen, die für beide Seiten funktioniert, die aber die besonderen Bedingungen von Künstlern beachtet. Entsprechend kann nicht ein Mietpreis aufgerufen werden, der einen Großteil der Künstler automatisch vertreibt."
Der Kampf der Künstler in den Uferhallen ist ein Beispiel von vielen, dass Kunst und Kleingewerbe Berliner Kieze erst für Anwohner und Besucher interessant machen, dann auch für Investoren, und infolge der Aufwertung schließlich selbst von Verdrängung bedroht sind.

Potenzial im Quartier

Der eher raue Wedding blieb im Vergleich zu anderen Stadtteilen Berlins länger verschont von dem Trend. Durch Platzmangel in der Stadt, die zentrale Lage des Viertels und nicht zuletzt seine schönen Gründerzeitbauten schreitet die Aufwertung aber auch hier voran.
In den Worten von Entwickler Felix Fessard, dem Vorstand der Uferhallen AG, klingt das so: "Der Wedding ist ein sehr aufstrebendes Quartier, ist sehr zentral, sehr gut gelegen. Und das Areal hier ist sehr spannend, was vor allem die Nutzerschaft angeht und auch die baulichen Potenziale, die sich hier bieten."
Man sehe auch im Umfeld, dass einiges passiere, dass ein bisschen baulich entwickelt wird, dass sich aber auch das Quartier deutlich entwickelt, was die Aufenthaltsqualität angeht, sagt Fessard. "Das ist einfach ein schönes Quartier, interessante Gegend, wo wir ein sehr interessantes Gelände gesehen haben."
Wo Immobilienentwickler Potenziale sehen, wittern die Künstler in den Uferhallen Bedrohung. Sie sähen sich in der Verantwortung, der Umwandlung ihres Kiezes etwas entgegenzusetzen, sagt Peter Dobroschke. "Wir sprechen genauso für das kleine Atelierhaus, das vielleicht vier Parteien hat und drei Straßen weiter gerade wegkippt. Die Vernetzung, die Wichtigkeit, diese Standorte nicht nur für Gewerbe zu halten, sondern auch für die Entwicklung des gesamten Kiezes, das nimmt wahnsinnig zu."

Etappenerfolg für die Künstler

Für die Uferhallen haben die wehrhaften Künstlerinnen und Künstler nun einen ersten Erfolg zu verbuchen. Eigentümer, Mieter und Politik hätten sich nach langen und schwierigen Verhandlungen darauf geeinigt, den Umbau des Areals in einem Bebauungsplanverfahren unter Einbeziehung aller Seiten abzustimmen, sagt der zuständige SPD-Bezirksstadtrat Ephraim Gothe.
"Bis dieser Bebauungsplan fertig ist, bleiben die Mietverhältnisse unangetastet, die laufen einfach so weiter", so Gothe. "Und das zweite ist, dass man sich auf bestimmte Rahmen verständigt, die auch mit dem Verein abgestimmt sind, was danach passiert."
Bauen dürfen die neuen Eigentümer in einer ersten Bauphase schon jetzt, aber zurückhaltender als geplant: In einer Baulücke neben dem Uferhallen-Areal darf ein Mietshaus errichtet werden, ein Gebäude wird aufgestockt und ein ehemaliger Pferdestall wiederaufgebaut.
"Wir haben ein recht gutes Ergebnis, was baulich verträglich für den Ort möglich ist in der ersten Stufe, und gleichzeitig den längerfristigen Horizont gespannt, was können wir vielleicht danach noch schrittweise weiterentwickeln – immer unter der Prämisse, dass die Künstler hier vor Ort bleiben können", sagt Uferhallen-Vorstand Felix Fessard.

Die Skepsis bleibt

Die Künstlerinnen und Künstler in den Uferhallen sind noch skeptisch. Für sie habe es schon zu viel Auf und Ab in den Verhandlungen gegeben, sagt Antje Blumenstein. "Deswegen betrachten wir das immer noch als sehr schwierig. Und der Verhandlungsprozess ist noch längst nicht abgeschlossen, auch wenn jetzt erste Anzeichen entstehen, dass es vielleicht eine Zukunft geben könnte."
Die Künstler wollen nicht nur abwarten, sie planen selbst für die Zukunft. Sie träumen von einer dauerhaften Galerie, wollen Kulturinstitute anlocken, damit die Uferhallen als Ort der Kunst nicht mehr wegzudenken sind.
Anmerkung der Redaktion:
*An diesen Stellen haben wir gegenüber dem ursprünglichen Text die Angaben zum derzeitigen Mietpreis und zur geplanten Erhöhung korrigiert.
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