Asylpolitik

Träumen von Europa

Drei Kinder in der Romasiedlung Veliki Rit in Novi Sad für die Reportage 28.8.14
Serbische Roma-Kinder in der Siedlung Vliki Rit in Novi Sad © Deutschlandradio / Katrin Lechler
Von Katrin Lechler · 28.08.2014
Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sollen nach dem Willen der Bundesregierung als sichere Herkunftsstaaten gelten. Anträge von Asylbewerbern aus diesen Ländern könnten dann schneller abgelehnt werden. Doch wie sicher ist das Leben etwa für Roma in Serbien?
Germanija - Deutschland! Rufen die Bewohner von Veliki Rit, als ich in ihre Siedlung komme: Ein unbefestigter, von Pfützen durchlöcherter Weg, gesäumt von Müllbergen, in denen streunende Hunde stöbern. Die Hütten sind aus Pappe, Ziegeln, Planen und Wellblech zusammengebastelt, davor stehen Menschen mit ihren Kindern auf den Armen, ältere Kinder sausen auf klapprigen Fahrrädern vorbei. Fast jeder hier war schon in Deutschland, viele sprechen Deutsch.
"Die Leute kommen nach Deutschland, weil es dort ein besseres Leben gibt. Sehen Sie selber! Aber die sagen, da ist kein Krieg, sie können wieder zurück. Aber hier gibt es gar nichts: kein Sozialgeld, kein Kindergeld - nichts."
Sagt Maliki, die mit Mann und fünf Kindern gerade zu Besuch aus Münster gekommen ist. Die Familie hat es geschafft, nach dem Kosovo-Krieg in Deutschland zu bleiben. Ihre Kinder, die zum Teil schon in Deutschland geboren wurden, fühlen sich fremd bei den Familienangehörigen, die in Serbien geblieben sind:
"Hier gibt es nicht so oft warmes Wasser. Es ist dreckig hier und es sind viele arme Kinder hier. In Deutschland gefällt mir fast alles: Ich finde gut, dass ich in der Schule bin, da kann ich lernen. Hier gibt es zwar Schulen, aber manche gehen nicht."
Kinder arbeiten für Unterhalt der Familie
Zum muslimischen Feiertag Bayram hat die Familie der elfjährigen Senada ganze Kartons voll mit Mehl und Nudeln, Waschpulver und Seife mitgebracht. Was den serbischen Roma dauerhaft helfen würde, ist Arbeit, doch eine reguläre Beschäftigung finden die wenigsten. Oft müssen die Kinder helfen, das Überleben der Familie zu sichern.
So wie Ksender. Ihn treffe ich nach der Schule an einem Müllcontainer, Ksender sammelt dort Papier und Flaschen. Und wenn er ein Stück Brot im Container findet, nimmt er auch das mit.
Für einen vollen Korb mit Plastikflaschen - das ist etwa ein Kubikmeter - bekommt er umgerechnet einen Euro. Dafür ist der Junge den ganzen Tag unterwegs.

Ksender ist 12 und eines der wenigen Kinder in der Roma-Siedlung, die regelmäßig in die Schule gehen. Doch auch dort ist es nicht leicht für ihn.
"Die anderen Kinder schlagen mich, geben mir keine Ruhe, sagen, dass wir dreckige Zigeuner sind und noch nie Wasser an unserem Körper gesehen haben. Wenn ich zur Lehrerin gehe, sagt sie nur, dass meine Eltern zur Sprechstunde kommen sollen."
Romasiedlung Vliki Rit in Novi Sad zur Reportage am 28.8.14
Kinder in der Romasiedlung Vliki Rit in Novi Sad© Deutschlandradio / Katrin Lechler
Antrag auf Asyl - in Serbien eine Straftat
In dieser Situation wollen viele Familien einfach nur weg und viele suchen ihr Glück in Deutschland. Das wird von der serbischen Regierung argwöhnisch beobachtet. Am Flughafen in Belgrad hängen Plakate, die davor warnen, einen Asylantrag zu stellen. "Wirtschaftsflüchtlinge riskieren alles", steht darauf. Außerdem der Hinweis, dass das Stellen eines Asylantrags in Serbien als Straftat behandelt wird.
Gleichzeitig werden die bürokratischen Hürden für die Ausreise systematisch erhöht, sagt Dijana Malbaša vom Humanitären Zentrum in Novi Sad. Ich treffe sie in einem kleinen Vereinsraum neben der Roma-Siedlung Veliki Rit. Hier können ältere Roma und Bürger aus der Nachbarschaft einmal die Woche kostenlos Kaffee trinken und Kekse essen:
"Die Behörden versuchen die Leute davon abzuhalten, ins Ausland zu reisen oder Asyl zu beantragen, indem sie keine Dokumente ausstellen. Aber wir halten dieses Vorgehen für falsch. Auch wenn die EU von uns erwartet, dass wir die Zahl der Asylbewerber reduzieren: Man kann nicht den Menschen ihr Grundrecht auf einen Ausweis verweigern und sie im Ghetto halten, nur um zu verhindern, dass sie irgendwohin fahren. Jemand, der im Müll lebt und kein Brot zum Essen hat, wird alles unternehmen, um seine Situation zu verbessern."
Ohne Personalausweis geht fast nichts
Die Hilfsorganisation bemüht sich zum Teil jahrelang vergeblich, den Roma gültige Dokumente zu verschaffen. Denn ohne Personalausweis können sie weder eine reguläre Arbeit suchen, noch sich krankenversichern, noch wählen gehen. Und die Kinder erhalten ohne richtigen Wohnsitz kein Abschlusszeugnis, bleiben ohne Schulabschluss. Ein Teufelskreis.
Obwohl ein Gesetz seit 2011 den serbischen Roma ermöglicht, das Sozialamt als ihre Wohnadresse anzugeben, um Papiere zu bekommen, wird es von den Behörden nicht umgesetzt. Und so bleibt ihnen nur, weiter von Deutschland und Europa zu träumen. So wie zweifache die Mutter Fatima Jahirovic. Die junge Frau wurde als 16-jährige Auszubildende aus Deutschland abgeschoben und musste dann lernen, in den Mülltonnen nach Essen zu suchen:
"Wenn ich die Chance hätte, zurück nach Europa zu kommen, dann würde ich das heute machen und würde mein Kinder nie im Leben zuschauen lassen, wie ich sie ernähre oder was ich dafür machen muss."

Programmtipp: In unserer Sendung "Studio 9" ab 17.07 Uhr spricht die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckhardt über das geplante Gesetz für sichere Herkunftsstaaten, wogegen die Grünen bereits Widerstand angekündigt haben.
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