Asylbewerber unerwünscht?

Von Johannes Nichelmann · 26.04.2013
Während Leipzig ein dezentrales Konzept zur Unterbringung von Asylbewerbern verfolgt, sollen in Augsburg künftig Künstler, Reisende und Asylbewerber mitten in der Stadt gemeinsam unter einem Dach wohnen.
Zwei Passagiere in einem Eisenbahnabteil. Wir wissen nichts über ihre Vorgeschichte, ihre Herkunft oder ihr Ziel. Sie haben sich häuslich eingerichtet, Tischchen, Kleiderhaken, Gepäckablagen in Beschlag genommen. Auf den freien Sitzen liegen Zeitungen, Mäntel, Handtaschen herum. Die Tür öffnet sich, und zwei neue Reisende treten ein. Ihre Ankunft wird nicht begrüßt. Ein deutlicher Widerwille macht sich bemerkbar, zusammenzurücken, die freien Plätze zu räumen, den Stauraum über den Sitzen zu teilen.

Eine Beobachtung des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger. Aus dem Essay "Das Eisenbahnabteil".

Ramin: "”Es gibt hier drei Gruppen von Leuten. Die erste hasst Ausländer. Sie hassen uns einfach. Die andere Gruppe ist neutral. Sie sind nicht an uns interessiert. Und da gibt es noch eine Gruppe von Menschen, die so nett, so höflich, so aufrichtig zu uns sind.""

Ramin, 28 Jahre alt, sitzt in seinem Zimmer. Auf dem Tisch stapeln sich die Reste seines letzten Einkaufs. Halbleere Teeschachteln, ein Netz mit Orangen, eine Tüte mit Gummitieren. Ich bin Maschinenbauingenieur, habe jahrelang studiert, sagt der Iraner. Vor ein paar Monaten ist er als Flüchtling nach Leipzig gekommen, hat hier einen Asylantrag gestellt.

"”Ich habe meine Religion gewechselt. Ich bin Christ, vorher war ich Moslem. Sie suchen bei uns im Iran nach Leuten, die ihre Konfession geändert haben. Irgendwann schnappten sie einen Freund und mich. In Ashura steckten sie mich dann, das war nach den letzten Präsidentschaftswahlen, ins Gefängnis.""

In seiner Heimat, erzählt Ramin weiter, hat er keine Chance mehr auf einen Job. Er ist gebrandmarkt, als der, der mit der Regierung Probleme hat. Die schwarzen Haare sind nach hinten gekämmt. Er hat, trotz seines jungen Alters, tiefe Geheimratsecken. Seine Sorgen sind groß. Kaum Kontakt zur Familie, Depressionen, Zukunftsängste. Und: in Deutschland fühlt er sich wenig willkommen.

"Wenn du der mit den schwarzen Haaren bist und der Platz neben dir frei ist, dann setzt sich dort niemand hin! Vom ersten Tag in Deutschland an habe ich diese Ablehnung spüren können."

Unzumutbare Umstände
Tagsüber besucht er einen Deutschkurs an der Volkshochschule. Sonst kann er nicht viel machen. Asylbewerber dürfen in der Regel nicht arbeiten. 374 Euro Unterhalt bekommen sie vom Staat. Bis sich die zuständige Behörde entschieden hat, ob Ramin in Deutschland bleiben darf, lebt er in einem der beiden Leipziger Heime für Asylbewerber. In der Torgauer Straße, direkt in einem Gewerbezentrum. Hinter doppeltem Stacheldraht und hohen Zäunen, in einer alten russischen Kaserne. Das Gebäude ist herunterkommen, ein paar Fenster sind eingeschlagen. Im Badezimmer wuchert schwarzer Schimmel. Jeder Schritt auf dem Teppichboden hinterlässt eine Staubwolke. Vier Menschen teilen sich eine kleine Wohnung. In Sachsen stehen jedem Asylsuchenden gesetzlich festgeschriebene sechs Quadratmeter zur Verfügung. Leipzig erhöht auf 7,5. Insgesamt wohnen um die 250 Asylbewerber aus aller Welt in dieser Einrichtung. Unzumutbare Umstände, für diese Menschen, die hier Monate oder Jahre lang leben sollen.

Immer mehr politische und wirtschaftliche Flüchtlinge kommen, Hilfe suchend, nach Deutschland. Im letzten Jahr stieg die Anzahl der Asylanträge um 40 Prozent. Die Städte und Gemeinden sind auf den Ansturm nicht vorbereitet, brauchen mehr Platz und dringend neue Konzepte. So wie die Stadt Leipzig. Im vergangenen Sommer, 2012, hat sie beschlossen, Menschen nicht mehr weit ab vom Schuss, in baufälligen Gemeinschaftsunterkünften wohnen zu lassen, sondern sogenannte dezentrale Projekte zu schaffen. Asylbewerber leben gemeinsam in kleineren, übersichtlicheren Häusern, als bisher. Zuständig ist hier die Leiterin des Sozialamtes, Martina Kador-Probst:

"Wir hatten einmal die Gelegenheit zu entscheiden, wollen wir diese Einrichtung sanieren? Das heißt, in dieser Größenordnung fortführen? Oder wollen wir uns für dieses neue Konzept entscheiden und der Stadtrat hat diesem Konzept mit großer Mehrheit zugestimmt."

In allen Stadtteilen, so der Plan, sollen die Wohnprojekte für die knapp 1000 Flüchtlinge entstehen. Sozialarbeiter sollen, wie jetzt auch, die Asylbewerber mit ihren Sorgen und Nöten betreuen. Ein Leben mit den Leipzigern, auf gute Nachbarschaft!

Kador-Probst: "Aus unserer Sicht und aus meiner ganz persönlichen Sicht, ist es nicht so, dass per se irgendwelche Stadtgebiete oder Lagen nicht geeignet dafür sind, Flüchtlinge unterzubringen."

Das sehen einige Anwohner anders. Kurz nach dem Beschluss des Stadtrats formiert sich widerstand. Leipzig-Wahren ist ein gediegener, mittelständischer Bezirk. Ein Kamerateam des ZDF ist dabei, als im Stadtteilzentrum hunderte Menschen zu einer Infoveranstaltung kommen, um gegen die Pläne der Stadt anzugehen.

Umfrage
Mann 1: "Wenn man dann hört, dass das Konzept jetzt plötzlich so viel, sag ich mal Interesse findet, auch bei der Stadt, dass man das jetzt unbedingt umsetzen will und hat drei Jahre das alte Objekt richtig verkommen lassen, wo die Asylbewerber untergebracht sind, dann frag ich mich natürlich schon, was hat man in den drei Jahren überhaupt für diese Leute getan?"
Mann 2: "Das ist aber ein Haus, das steht direkt an der Ecke, wo jeder vorbei muss. Wo dann alle Angst haben, ne."
Mann 3: "Ja, die Straße, die ist 20 Meter breit. Gegenüber sind Wohnhäuser, Mehrfamilienhäuser, private. Topsaniert! Und die Mieter haben zum Teil schon angekündigt, wenn die Asylbewerber gegenüber einziehen, ziehen sie aus."

Hochemotional. Eine Bürgerinitiative gründet sich gegen das Vorhaben der Verwaltung. Ihre Forderung lautet: "Keine Gemeinschaftsunterkünfte in Wohngebieten". In Leipzig, der Stadt der Wende, skandieren einige Bewohner wieder "Wir sind das Volk". Und schließen das ZDF-Team von den Diskussionen aus.

Störfaktor in der schönen, heilen Welt
Redner: "Würde ich Sie bitten, dass Sie Aufnahmen einstellen ..."
ZDF-Reporter: "Wir mussten unsere Kameras ausschalten."

Kador-Probst: "Wenn ich mir aber ansonsten ´ne schöne, heile Welt geschaffen habe, dann möchte ich natürlich auch, dass die so erhalten bleibt!"

Ein Erklärungsversuch von Sozialamtsleiterin Martina Kador-Probst.

Kador-Probst: "Und ich muss gestehen, dieser sehr intensive Diskussionsprozess hat mehr als elf Wochen gedauert und ich kann heute sagen, das war dann auch das allerhöchste der Gefühle! Es hat mich wirklich sehr, ja persönlich betroffen gemacht."

Ein deutlicher Widerwille macht sich bemerkbar, zusammenzurücken, die freien Plätze zu räumen, den Stauraum über den Sitzen zu teilen.

Zurück im "Eisenbahnabteil" des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger.

Dabei verhalten sich die ursprünglichen Fahrgäste, auch wenn sie einander gar nicht kennen, eigentümlich solidarisch. Sie treten, den neu Hinzukommenden gegenüber, als Gruppe auf. Es ist ihr Territorium, das zur Disposition steht. Jeden, der neu zusteigt, betrachten sie als Eindringling. Ihr Selbstverständnis ist das von Eingeborenen, die den ganzen Raum für sich in Anspruch nehmen. Diese Auffassung lässt sich rational nicht begründen. Umso tiefer scheint sie verwurzelt zu sein.

Grandhotel Cosmopolis in Augsburg
Bauarbeiten in der bayerischen Stadt Augsburg. Auch hier, im Bundesland mit den härtesten Asylgesetzen versucht man einen neuen Weg in Sachen "Unterbringung von Flüchtlingen" zu gehen. Aus einem ehemaligen Seniorenheim, knapp zehn Gehminuten vom Hauptbahnhof entfernt, wird ein Hotel. Das "Grandhotel Cosmopolis". Ein Künstlerkollektiv zimmert sich eine "soziale Skulptur". Sebastian Kochs steht im fünften Stock, auf einem Balkon.

Kochs: "Das Besondere an diesem Gebäude ist, dass wir ja mitten im Augsburger Stadtzentrum liegen. Und, dass alle Zimmer nach Süden und nach Westen einen Balkon haben. Da hat man eigentlich einen einzigartigen Blick über die Augsburger Topographie. Man sieht eigentlich alle Wahrzeichen."

Der 46-Jährige ist einer der Macher des Grandhotels. Hier sollen, in ein paar Monaten, knapp 60 Asylbewerber einziehen. Dazu sind Ateliers von Künstlern geplant. Und außerdem sollen zahlende Hotelgäste - Durchreisende - sich hier ein Zimmer nehmen.

Kochs: "Dies wird keine reine Flüchtlingsunterkunft. Wir haben gesagt, wir sind der Meinung, man muss so was mal anders denken."

In einem der Flure des 60er-Jahre-Baus läuft ein kleines Radio, Handwerker rutschen auf Knien umher. Sebastian Kochs zeigt die Zimmer, die von Künstlerinnen und Künstlern momentan umgestaltet werden. Großflächig bemalte Wände, aus einigen ragen Skulpturen. Gespendete Möbel aus allen Jahrzehnten, liebevoll arrangiert.

Kochs: "Teilweise sind die nämlich ganz schön ‚g`schreiert‘, wie man in Bayern sagt. So, ganz schön krachig und dann haben wir gesagt, auf Dauer kannst Du in so einem Zimmer nicht leben. Das ist toll für ein paar Tage. Wenn man halt auf Durchreise ist, dann hat man ein tolles Zimmer. Aber wenn Du da leben musst und die müssen ja teilweise da Jahre leben, dann wird‘s natürlich schwierig, wenn Du ein Zimmer hast, das natürlich aussieht wie das hier, das ‚Frauenzimmer‘."

Alles in pink. Pumps stecken in einer Wand. Zwei Asylsuchende sollen in ein Zimmer ziehen. Die sind meist 14 Quadratmeter groß. Das entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Die Flüchtlinge sollen sich, wenn sie mögen, ihre Räume selbst gestalten und können natürlich auch Unterstützung von Künstlern bekommen. Überhaupt sind sie angehalten, sich in den Ateliers des Hauses auszuprobieren. Das hier soll eine Alternative zu den kargen Asylbewerberunterkünften sein, die bisher außerhalb der Stadt liegen. Das katholische Diakonische Werk ließ sich überzeugen und stellte das Gebäude zur Verfügung. Die restlichen Kosten müssen aus Spenden gedeckt werden. Außerdem kommen zahlreiche Anwohnerinnen und Anwohner um zu helfen. Gerade Studierende packen mit an.

Aber auch in Augsburg gab es große Probleme mit den Menschen, die rund um das zukünftige Asylbewerberheim wohnen. Sebastian Kochs Blick schweift kurz nach draußen, wenn er davon erzählt. Auch er und sein Künstlerkollektiv haben Veranstaltungen durchgeführt, um zu informieren.

Kochs: "Die fingen sehr laut an und wurden nach drei Stunden dann, sag ich mal, so, dass man sich erwachsen unterhalten hat. Nachdem wir hier mitten im historischen Zentrum der Augsburger Altstadt sind und die Gassen sehr eng sind und weil es hier vor, ich schätz mal 20 Jahren oder so, gar nicht weit von hier, auch schon einmal eine Flüchtlingsunterkunft gegeben hat, gab‘s sehr große Ängste, Ressentiments von den Anwohnern, die gesagt haben: Na ja, die streunen hier dann die ganze Zeit durch die Gassen und wir haben Angst. Das hatte ja auch mit so einer Frustration zu tun. Dass die niemand gefragt hat. Das irgendwer beschlossen hat, in dem Fall der Hauseigentümer und die Regierung von Schwaben, die für die Unterbringung hier in Schwaben, in Bayern, zuständig ist. Das haben wir ihnen versucht zu erklären. Und haben ihnen auch versucht zu erklären, dass wir meinen, dass unser Konzept ein Stück weit positivere Auswirkungen haben wird. Aber man hat halt gemerkt, was hier für Ängste sind, ne, in der Stadt."

Mit diesen Ängsten kennt sich auch Sonja Brogiato in Leipzig außerordentlich gut aus. Sie atmet schwer, wenn sie an die Argumente denkt, die sie im Zusammenhang mit den geplanten neuen Asylbewerberunterkünften zu hören bekommt. "Wer schützt Frauen und Kinder?", "Was ist mit dem Werteverfall meines Grundstücks" oder "Die wollen doch nur unseren Sozialstaat ausrauben!". Für die Leiterin des "Flüchtlingsrates Leipzig e.V." gibt es eine Reaktion, die auf diese Aussagen nicht fallen darf!

Brogiato: "Die von vorneherein in die rechte oder rechtsextreme Ecke zu stellen, halte ich für einen riesigen Fehler. Ich komme nur dann im Dialog weiter, wenn ich die Menschen genau dort abhole, wo ich selber auch abgeholt werden will, mit meinen eigenen Vorstellungen von Gestaltung, von Gesellschaft. Selbstverständlich. Das sind nicht per se alles Rassisten und alles Nazis. Um Gottes willen! Es ist der Durchschnittsrepräsentant, der Durchschnittsgesellschaft, die eben durchaus differenziert ist."

Neben all dem lautstarken Protest der Anwohnerinnen und Anwohner von Leipzig-Wahren, sowie Menschen aus anderen Stadtteilen, gab es auch über 5000 Unterschriften, die für das neue Konzept der Stadtverwaltung entraten.

Kein Kontakt – große Spannungen
Brogiato: "Je weniger Menschen tatsächlich einmal in ihrem Leben mit Ausländern zu tun hatten, desto stärker die Ängste. Also überall dort, wo es niemals konkrete Berührungen mit Menschen aus dem Ausland und schon gar nicht mit Asylsuchenden gab, waren natürlich die Spannungen natürlich hier am Größten."

Sonja Brogiato und ihre Mitarbeiterinnen des Flüchtlingsrates versuchen deswegen Projekte zu starten, bei denen sich die unterschiedlichen Kulturen kennen lernen können. Anwohnerinnen und Anwohner treffen auf Flüchtlinge.

Brogiato: "Diese Leute haben das im Einzelnen selber ja als beglückend und horizonterweiternd empfunden, sodass sie also diese positive Erfahrung durchaus im eigenen Bekannten-, Verwandten-, Familienkreis weitergegeben haben. Das hab ich sehr wohl erlebt. Natürlich diese ‚Saulus-Paulus‘-Schiene, sag ich jetzt ganz banal, das wäre schon zu hoch gegriffen und auch das wäre wieder verdächtig."

Der Ruf der Stadt Leipzig hat gelitten und innerdeutsche Vorurteile vermeintlich bestätigt. Der Osten, als Ort der Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit. Die Presse berichtet ausgiebig, auch bundesweit - schildert schwere Beleidigungen, harsche Worte gegen die Konzepte der Stadt, schreibt über Kommentare von rechts außen. Die Wortführer wechseln, kommen fast alle aus der "Wahrener Bürgerinititive", erzählt Sonja Brogiato.

Brogiato: "Ich konnte niemals einschätzen, inwieweit diese Einzelakteure tatsächlich repräsentativ für alle Wahrener sind. Das bestreite ich zunächst einmal. Das war ja sehr kurzfristig, dass sich die Menschen dort organisiert haben. Dass sich also einige wenige gefunden haben, die sich als Sprecher selber positioniert haben. Die Willensbildung vieler Tausender in einem Stadtteil kann rein zeitlich gar nicht funktioniert haben."

Homepage und E-Mail-Adresse der Bürgerinitiative sind nicht mehr erreichbar. Die Stadtverwaltung sagt, dass sie noch Kontakt zu den Initiatoren hält und vermutet, dass sie sich wieder öffentlich zu Wort melden werden, sobald die Pläne zur sogenannten dezentralen Unterbringung tatsächlich umgesetzt werden. Sonja Brogiato vom Flüchtlingsrat zuckt mit den Schultern.

Brogiato: "Ja, wenn jetzt die Menschen nicht mehr erreichbar sind, über eine Website oder eine Mail-Adresse, nehme ich das zur Kenntnis."

Kochs, telefonierend: "Du, das müsste ich jetzt einfach noch mal besprechen. Aber das ist ein nettes Angebot. Können wir da nochmal drüber reden, in Ruhe? Ja? Alles klar. Okay, gut. Tschüß!"

Ein Künstler geschaltete das "Grandhotel" für Flüchtlinge in Augsburg
Ein Künstler gestaltete das "Grandhotel" für Flüchtlinge in Augsburg© picture alliance / dpa Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Hotelgäste, Künstler und Asylsuchende unter einem Dach
Von Sachsen, zurück nach Bayern. Auch hier scheinen die Wogen geglättet, der Protest weitestgehend verstummt. Sebastian Kochs telefoniert mehrmals täglich mit Menschen, die alte Möbel oder ihre Arbeitskraft für das Projekt "Grandhotel Cosmopolis" spenden wollen. Die Idee, dass Hotelgäste, Künstler und Asylsuchende unter einem Dach wohnen, fasziniert. Aber ob das tatsächlich den Bedürfnissen von Flüchtlingen entspricht? Kochs sagt, dass sie absolute Newcomer auf dem Gebiet sind. Deswegen wollen sich die Künstlerinnen und Künstler Hilfe von erfahrenen Leuten holen und die Sozialarbeit denen überlassen. Der Vorwurf der "Instrumentalisierung" von Hilfebedürftigen für ein hippes Künstlerprojekt, liegt im Raum.

Kochs: "Die Diskussion stellen wir uns oft! Das wollen wir nicht. Also es soll hier nicht darum gehen, dass man ein paar Leute in den Vordergrund schiebt und sich damit sozusagen selber Reputation holt."

Ein wichtiges Argument hat er auf seiner Seite: alles ist wohl besser als die Heime, die existieren. In Bayern gelten mit die härtesten Regeln für Flüchtlinge. Sebastian Kochs meint, dass das Konzept hier mit Sicherheit aufgehen wird.

Kochs: "Das soll auch ein Ort sein, der den Leuten aus der eigenen Stadt wichtig ist. Und der Anknüpfungspunkte raus hat, in die Stadtgesellschaft, wo Leute aus der Stadt kommen, um hier ihre Zeit zu verbringen. Wo es Interaktion gibt Deswegen sprechen wir nicht von Integration, sondern Interaktion. Und dieses Haus ist eher so was wie ein experimentelles Labor. Wir wollen hier Dinge ausprobieren, die es so bisher noch nicht gegeben hat."

Reflexartiger Protest
Nicht nur in Augsburg oder Leipzig, sondern auch in zahlreichen anderen Gemeinden Deutschlands regt sich zu Beginn meist ein reflexartiger Protest, wenn es um die Unterbringung von Asylsuchenden in der eigenen Nachbarschaft geht. Klar, heißt es dann, die müssen ja irgendwo hin und bitte unter besten Bedingungen. Und die herrschen anscheinend nicht im eigenen Vorgarten. Klare Parallelen zum "Eisenbahnabteil" des Schriftstellers Hans Magnus Enzensberger.

Jeden der neu zusteigt, betrachten sie als Eindringling. Dennoch kommt es so gut wie nie zu offenen Auseinandersetzungen. Das liegt daran, dass die Fahrgäste einem Regelsystem unterliegen, das nicht von ihnen abhängt. Ihr territorialer Instinkt wird einerseits durch den institutionellen Code der Bahn, andererseits durch ungeschriebene Verhaltensnormen wie die der Höflichkeit gebändigt. Also werden nur Blicke getauscht und Entschuldigungsformeln zwischen den Zähnen gemurmelt. Die neuen Fahrgäste werden geduldet. Man gewöhnt sich an sie. Doch bleiben sie, wenn auch in abnehmendem Grade, stigmatisiert. Dieses harmlose Modell ist nicht frei von absurden Zügen. Das Eisenbahnabteil ist ein transitorischer Aufenthalt, ein Ort, der nur dem Ortswechsel dient. Die Fluktuation ist seine Bestimmung. Der Passagier ist die Negation des Sesshaften. Er hat ein reales Territorium gegen ein virtuelles eingetauscht. Trotzdem verteidigt er seine flüchtige Bleibe nicht ohne stille Erbitterung.
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