Aschermittwoch der Künstler

Wie ein Künstlerseelsorger für Besinnung wirbt

Aschermittwoch der Künstler in der Herz-Jesu-Kirche in Koblenz: Ein Auftritt der Balletttänzer Asuka Inoue und Michael Jeske
Aschermittwoch der Künstler in der Herz-Jesu-Kirche in Koblenz. © imago stock&people
Moderation: Thorsten Jabs · 11.02.2018
Josef Sauerborn arbeitet im Erzbistum Köln als Künstlerseelsorger. Er besucht Künstler in ihren Ateliers und kommt mit ihnen ins Gespräch. Am Aschermittwoch der Künstler wird dieses Nachdenken über den Sinn der Kunst und ihr Verhältnis zur Religion vertieft.
Thorsten Jabs: In vielen Regionen Deutschlands tobt in diesen Tagen wieder der Karneval oder wie man in manchen Gegenden auch sagt: der Fasching oder die Fastnacht. In drei Tagen ist aber schon alles vorbei, dann beginnt mit dem Aschermittwoch, jedenfalls ist es so im Christentum gedacht, die Fastenzeit. Landesweit können sich daran auch viele Künstlerinnen und Künstler beteiligen. Jedenfalls wird zum Beispiel in Berlin, München oder Köln ein Aschermittwoch der Künstler begangen. Im Erzbistum Köln ist dafür Prälat Josef Sauerborn mitverantwortlich. Er arbeitet dort als Künstlerseelsorger und hat sich jetzt die Zeit für uns genommen, um über Kunst und Kirche, Buße und Besinnung zu sprechen. Guten Tag, Herr Sauerborn!
Josef Sauerborn: Guten Tag, Herr Jabs!
Jabs: Aschermittwoch der Künstler – was ist das genau? Warum brauchen Künstlerinnen und Künstler einen eigenen Aschermittwoch?
Sauerborn: Der Aschermittwoch der Künstler ist ja ursprünglich von den Künstlern selber ausgegangen. Dessen erste Spuren lassen sich zurückverfolgen bis in den Ersten Weltkrieg und ist dann aber endgültig in Frankreich etabliert worden nach dem Zweiten Weltkrieg aus einer Erfahrung der Vernichtung, der Schuld, die dort in unerklärlichem und unvorstellbarem Maße angehäuft wurde, sodass man den Tag als Besinnungstag, als Neuanfang gefunden hat, um sich dessen noch mal stärker bewusst zu werden. Dabei spielt wahrscheinlich doch auch das Symbol der Asche eine große Rolle, der Vergänglichkeit, dass sich der Mensch bewusst bleibt, dass er letztlich endlich ist, und das kommt gerade am Aschermittwoch durch die zeichenhafte Handlung des Aschenkreuzes und den damit verbundenen Worten "Mensch, bedenke, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst", sehr treffend zum Ausdruck.

Große Akzeptanz des Feiertages in Köln

Jabs: Wie ist diese Idee dann nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt worden? Wie hat sich das etabliert, diese Feier?
Sauerborn: Also hier in Köln ist es spezifisch verbunden mit Robert Grosche, der zu dieser Zeit hier in Köln wirkte, allerdings auch schon im Zweiten Weltkrieg ein sehr verdienstvoller Mann, der das Werk von Paul Claudel übersetzt hat, unter anderem den "Seidenen Schuh". Er war mit Paul Claudel befreundet, und Paul Claudel hat ihm diese Idee vermittelt, und dann ist das zusammen mit Kardinal Frings 1950 mit starker Befürwortung und Eigenbeteiligung der Künstlerinnen und Künstler auf den Weg gekommen und hat sich seitdem als jährliches Ereignis bis auf das heutige Jahr und darüber hinaus etabliert und ist auch in der Wahrnehmung, in der Akzeptanz von großer Zustimmung geprägt.
Jabs: Wie läuft das bei Ihnen in Köln genau ab? Wie feiern Sie diesen Aschermittwoch der Künstler?
Sauerborn: Es ist eigentlich ein ganzer Tag, der da zur Verfügung steht, und je nachdem, wofür das Interesse stark ist, kann man sich unterschiedlich beteiligen. Wir beginnen klassisch mit der heiligen Messe, der Eucharistiefeier morgens um 11, dieses Jahr in der Himmelfahrtskirche in der Nähe des Bahnhofs, gleich neben dem Dom. Dort ist die heilige Messe mit der Austeilung des Aschenkreuzes. Dann findet ein Empfang statt im Maternushaus, ein Fastenessen, und dann wird zur Akademie geladen, das ist ein inhaltlicher Impuls, der gegeben wird, mit Musik verbunden, dann schließt sich bei uns traditionell der Besuch des Kunstmuseums des Erzbistums Kölns an im Kolumba, und dann ist abends noch einmal in diesem Jahr ein besonders großes Konzert, das sich auch ausdrücklich an das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren anschließt. Dort wird ein Werk von Henryk Mikolaj Górecki aus dem Jahre 1976, ein polnischer Komponist, aufgeführt werden.

"Es kommen auch nicht-katholische, auch nicht-christliche"

Jabs: Mit dem Aschermittwoch endet ja der Karneval und beginnt die Fastenzeit. Das ist ja eine Zeit der Buße und Besinnung vor Ostern. Haben Künstler besonders Buße und Besinnung nötig?
Sauerborn: Nicht mehr und nicht weniger als alle anderen auch, aber sie haben aufgrund ihrer Tätigkeit und ihres Wirkungsradius sicher mit dazu beizutragen, und das tun sie auch, dass wir Sand ins Getriebe streuen. Wenn man Sand ins Getriebe streuen mit der Asche in Verbindung setzt, dann will ja der Künstler doch sehr wohl provozierend fragen, ist das, was läuft, richtig, ist es gut so. Gute Kunst will sich ja auch den Zeitfragen stellen, wobei sie nicht unbedingt oberflächlich das tun muss, sondern in der Tiefe wirken kann. Ich finde – und das merke ich auch in Gesprächen mit Künstlerinnen und Künstlern –, dass die Frage, wozu mache ich meine Kunst, was hat sie für einen tieferen Sinn, natürlich nicht, wie gesagt, im oberflächlichen Verständnis, sehr, sehr viele umtreibt und bewegt.
Jabs: Kommen denn da auch nicht-katholische Künstlerinnen und Künstler zu Ihnen, die auch mal Ihren Rat oder Ihren Beistand suchen?
Sauerborn: Es kommen auch nicht-katholische, aber auch nicht-christliche Frauen und Männer und auch Leute … Ich habe jetzt bald eine Ausstellung, der sich ausdrücklich als Agnostiker, das ist vielleicht ein etwas zu starker Begriff, also als streng nichtgläubig bezeichnet.
Jabs: Mit welchen Sorgen und Nöten kommen die Menschen im Alltag zu Ihnen?
Sauerborn: Nun, meine Arbeit besteht daraus, dass sie ein breites Spektrum anspricht, denn im katholischen Verständnis, aber auch im evangelischen, meint ja Seelsorge nicht nur Notintervention, das sicherlich auch und durchaus zu recht, aber es geht um den Menschen insgesamt, und meine Haupttätigkeit besteht aus dem, was man in der Seelsorge klassisch den Hausbesuch nennt, was beim Künstler Atelierbesuch heißt. Ich besuche unters Jahr sehr, sehr viele Künstler in ihren Ateliers und komme dann aufgrund ihrer Werke und ihrer künstlerischen Ausdrucksrichtung ins Gespräch mit ihnen. Das ist von sehr unterschiedlichen Themen dann bestimmt.

Freie Kunst weitesgehend von der Kirche akzeptiert

Jabs: Wahrscheinlich geht es dann auch um das Thema Kunst und Religion an sich. In Berlin hat der Künstlerseelsorger Thomas Astan im Dissens um die katholische Führung und Ausrichtung des Aschermittwochs der Künstler, wie es offiziell hieß, 2015 sein Amt niedergelegt. Gab es oder gibt es bei Ihnen auch Spannungen, weil über die Ausrichtung so eines Tages in der Kirche diskutiert wird und weil diese Ausrichtung vielleicht manchmal nicht mit dem Verständnis von Künstlerinnen und Künstlern übereinstimmt?
Sauerborn: Ich habe also immer – ich mache das jetzt schon länger, seit 2004 –, immer eine große Offenheit gefunden bei den Künstlerinnen und Künstlern, aber auch bei unserem Erzbischof, dem alten wie dem jetzigen, natürlich durchaus auch mit, bei bestimmten Vorträgen, kritischer Distanz, aber das ist ja auch okay so.
Jabs: Zur Kunst gehört es ja auch schon immer, Grenzen zu überschreiten, und da stand sie oft im Konflikt mit der christlichen Kirche. Wie ist das heute? Welches Verhältnis zwischen Kunst und Religion beobachten Sie?
Sauerborn: Ich würde sagen, dass die klassischen Schlachten geschlagen sind, als es um die Frage der Loslösung der Kunst aus dem religiösen, sakralen Raum in die Selbstständigkeit ging, auch die Frage der Stile, die sich alle mit den historistischen Stilen verbindet, auch in Architektur und Malerei. Das ist natürlich schon seit langer, langer Zeit durchstoßen worden. Und die freie Kunst findet von den meisten in der Kirche Verantwortlichen große Akzeptanz im Gespräch, natürlich auch, wenn es um die Umsetzung geht in nicht immer leichten Gesprächen, weil wir ja auch an die Gemeinden vor Ort denken müssen, und da ist das Kunstverständnis nicht immer von einer großen Weite geprägt.

"Halte den Menschen für konstitutiv religiös"

Jabs: Vom großen Künstler Gerhard Richter stammt der Satz, den ich einmal vorlesen möchte: "Die Kunst ist nicht Religionsersatz, sondern Religion im Sinne des Wortes, Rückbindung, Bindung an das Nichterkennbare, Übervernünftige, Überseiende, das heißt nicht, dass die Kunst der Kirche ähnlich wurde und ihre Funktion übernahm, also die Erziehung, Bildung, Deutung und Sinngebung, sondern weil die Kirche als Mittel, Transzendenz erfahrbar zu machen und Religion zu verwirklichen, nicht mehr ausreicht, ist die Kunst als verändertes Mittel einzige Vollzieherin der Religion, das heißt Religion selbst." Geht so eine Ansicht der Kirche nicht viel zu weit?
Sauerborn: Das ist sicher ein sehr weiter Religionsbegriff, den ich in großen Strecken durchaus teile, weil ich den Menschen für konstitutiv religiös halte. Es gehört zur Conditio Humana, dass er diese Erstreckung hat. Die kann einschlafen, die kann verdämmern, und da ist unsere Zeit sicher eine höchstgefährdete Zeit, dass der Mensch seine innersten Quellen und Gründe zu sehr in das Flache hineinnimmt, und da spielt die Kunst – das glaube ich tatsächlich auch – eine gewaltige Rolle. Und wenn klar ist, es ist kein Ersatz im Sinne einer Kompensation, sondern selber genuiner religiöser Ausdruck, dann kann ich das durchaus tief akzeptieren, weil das ja das aussprechen will, dass Kunst natürlich weder eine Bebilderung noch eine einfache Ausdrucksumsetzung von Glaubensinhalten, christlicher oder anderer Prägung, sein muss. Das kann sie sein, aber das muss sie nicht sein. Insofern kann ich das durchaus aus meiner Sicht nachvollziehen. Das ist auch meine tiefe Überzeugung, darum braucht die Kirche diesen tiefen Kontakt mit der Kunst in ihrer Selbstständigkeit, weil es wirklich um die letzten religiösen Gründe im Menschsein geht. Ich bin auch von Anfang an ein Befürworter des Südfensters im Kölner Dom gewesen, wo Gerhard Richter ja sicher auch aus diesem Verständnis heraus sein Werk gesetzt hat.

"Tiefe Verwandschaft" von Kirche und Kunst

Jabs: Und wie ist das in Diskussionen, wenn Sie vielleicht auch auf Künstlerinnen und Künstler treffen, die bewusst religionskritisch sind?
Sauerborn: Diese Diskussionen haben sicher heute eine andere, wie soll ich das sagen, Bedeutungsebene erreicht als das ganz am Anfang war. Das Konfrontative kann ich nicht mehr so erkennen. Das liegt allerdings daran, weil die Kirche jetzt als Ausdrucksform oder als Verkünderin des Glaubens ja, wenn Sie mir das nachsehen, in einer ähnlichen Minderheitensituation steht wie die Kunst. Irgendwo ist da eine tiefe Verwandtschaft, mit dem Menschen muss mehr los sein als seine ökonomische Verzweckung, und das ist auch ein Grundmotor der Kunst: das Aufstörenwollen der bürgerlichen Behaglichkeit. Früher war Kirche zu Recht verdächtigt worden, die bürgerliche Behaglichkeit zu spiegeln, zu verstärken, aber da sind die Distanzen und teilweise auch die Abgründe ziemlich deutlich geworden.
Jabs: Ist dieser Aschermittwoch der Künstler auch eine Möglichkeit, so etwas ins Bewusstsein zu rufen, solche Diskussionen ins Bewusstsein zu rufen?
Sauerborn: Davon bin ich überzeugt. Wir werden also an diesem Künstlertag das Thema, jetzt das grobe Thema haben, wie gehen wir mit unseren sakralen Gebäuden um, weil das eine absolute schwerwiegende Frage für die Kirche und die Gesellschaft ist, weil wir in der Situation leben, in der wir leben, nämlich dem demografischen Wandel, die veränderte religiöse Teilnahmesituation der Bevölkerung und unser ungeheuer großer Kirchenbestand. Das gilt nicht nur für das Bistum, sondern auch für Deutschland, eigentlich für Europa. Wie stellt sich eigentlich die Generation der jetzt Verantwortlichen in Kunst, Politik, Kirche dieser großen Generationenaufgabe, wie soll das wirklich sinnvoll, verantwortungsvoll geschehen? Das ist ja schon längst in der Diskussion, wird aber sicher durch den diesjährigen Aschermittwoch noch einmal eine Intensivierung erfahren, und so kann es auch mit anderen Themenschwerpunkten der Fall sein. Das höre ich immer wieder von denen, die daran teilnehmen, und das sind durchaus viele Künstlerinnen und Künstler, dass sie das als Bereicherung für ihr Nachdenken, für ihren Schaffensprozess erleben.

Viele Künstlerleben von "Kargheit, Bescheidenheit" geprägt

Jabs: Sie haben das Fastenjahr auch schon angesprochen. Einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge hat ein Drittel der Menschen in Deutschland schon einmal gefastet, etwa jeder Zehnte vor Ostern, knapp ein Viertel zu anderen Zeiten. Fasten Künstler eigentlich auch?
Sauerborn: Ja, das tun sie, aber in unterschiedlicher Weise natürlich. Eines für mich der tiefsten Erfahrungen der Künstlerbesuche, sowohl privat wie eben in den Ateliers, ist die konsequente Lebensführung, der ich da begegnen darf. Die ist sehr, sehr ausgerichtet auf das, worum es der Künstlerin und dem Künstler geht, eine, wenn ich das so ausdrücken darf, Bescheidenheit, eine auch durchaus gewollte und manchmal auch nicht gewollte Kargheit, wie man sie, ehrlich gesagt, selten finden kann, wenn man sich sonst so rechts und links bewegt. Also viele Künstler und Künstlerinnen leben sehr, sehr, sehr konsequent, teilweise aus materieller Notwendigkeit, aber eben nicht nur.
Jabs: Wie aktuell ist denn Fasten aus Ihrer Sicht heutzutage noch?
Sauerborn: Ich finde es deshalb aktuell, weil ich ja einmal erlebe, wie die Umfrage, die Sie gerade aufführten, ja bestätigt, dass es irgendwie dieses Verlangen bei den Menschen gibt und ja auch die Erfahrung damit verknüpft ist, dass der, der sich drauf einlässt, auch merkt, wie stark geistliche und intellektuelle Ressourcen durch Fasten freigelegt werden können.
Jabs: Und was bedeutet für Sie Fasten heutzutage?
Sauerborn: Fasten heißt für mich schon einmal das Reduzieren der materiellen Bedürfnisse, meiner Meinung nach auch, dass man, was das Trinken, Essen, Rauchen oder was auch immer, belangt, einer Neuorientierung sich stellt. Aber eben nicht nur für den gläubigen Menschen ist die Fastenzeit auch eine Herausforderung, das eigene Gebetsleben noch mal anzuschauen – ist es Routine, ist es abgeflacht, wie auch immer –, und natürlich unverzichtbar und gar nicht teilbar davon: Wie steht es um deine Sorgfalt und Aufmerksamkeit den Menschen gegenüber, mit denen du jetzt normal zu tun hast oder auch denen, mit denen du nicht direkt zu tun hast, aber die doch auch deine Aufmerksamkeit fordern. Das ist immer das Stück Solidarität, des Teilens, das mit der Fastenzeit auch verbunden ist.
Jabs: Herr Sauerborn, vielen Dank für das Gespräch und einen guten Start in die besinnliche Fastenzeit!
Sauerborn: Ich habe Ihnen zu danken! Alles Gute!
Jabs: Prälat Josef Sauerborn, Künstlerseelsorger im Erzbistum Köln, über den Aschermittwoch der Künstler, der inzwischen in vielen deutschen Städten gefeiert wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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