Arzt-Patienten-Kommunikation

"Es sollte Hörstunde statt Sprechstunde heißen"

Ultraschall-Untersuchung der Schilddrüse im Krankenhaus, Ärztin mit Patientin.
Ärzte müssen nicht nur gute Wissenschaftler sein, sondern auch zuhören können, meint der Mediziner Stefan Wilm © picture alliance / ZB / Hans Wiedl
Mediziner Stefan Wilm im Gespräch mit Dieter Kassel · 15.05.2015
Viele Ärzte hätten nicht gelernt, wie man mit Patienten spricht, beklagt der Mediziner Stefan Wilm von der Universität Düsseldorf. Dabei trage eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patient viel zum Heilungserfolg bei.
Was macht eigentlich einen guten Arzt aus? Der Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Düsseldorf, Stefan Wilm, meint, es reiche nicht, die richtige Diagnose zu stellen und die richtigen Medikamente zu verschreiben. Sondern es kommt auch auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient an.
"Das Sprechen miteinander ist nun mal ein zentraler Bestandteil jeder ärztlichen Tätigkeit", sagt Wilm. Entscheidend dabei sei zugewandtes Zuhören. "Eigentlich müsste es nicht Sprechstunde heißen, sondern noch besser Hörstunde."
Kommunikationstraining für Medizinstudenten ab dem ersten Semester
Man wisse aus vielen Studien, dass das Miteinander-Sprechen viel zum Heilungserfolg beitrage, betont der Allgemeinmediziner. "Wenn ich nur ein Medikament verordne ohne größere Erklärungen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient es nicht oder jedenfalls nicht anhaltend einnehmen wird, groß."
Allerdings hätten viele Ärzte nicht gelernt, wie man mit Patienten spricht. Seit 2012 sei deshalb Kommunikationstraining fester Bestandteil des Medizinstudiums. An der Universität Düsseldorf beispielsweise beginne man damit bereits im ersten Semester.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Wer in einer Arztpraxis oder ins Krankenhaus geht, weil er akute Beschwerden und/oder große Befürchtungen hat, der benötigt nicht nur die richtige Behandlung, sondern auch die richtigen Worte. Die auszusprechen aber fällt vielen Ärzten schwer, sie können diagnostizieren, aber nicht unbedingt kommunizieren. Und bevor wir darüber mit einem Arzt und Arztausbilder reden, ein paar Erfahrungen, die nicht alle negativ sind.
((Einspielung))
Erfahrungen mit Ärzten, die vielleicht und hoffentlich die richtige Behandlung finden, aber nicht immer die richtigen Worte. Stefan Wilm ist selber Arzt, betreibt zusammen mit einem Kollegen eine Hausarztpraxis in Köln, und er ist Lehrstuhlinhaber und Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin am Universitätsklinikum Düsseldorf. Schönen guten Morgen, Herr Wilm!
Stefan Wilm: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kommunizieren will gelernt sein - je früher, je besser
Kassel: Ich sag ja immer, lieber ein unfreundlicher Arzt, der mich wieder gesund macht, als einer, der ganz viel erklärt und mir nicht hilft, aber kann man daraus schließen, dass Kommunikation unwichtig ist?
Wilm: Nein, denn am liebsten wäre Ihnen ja ein Arzt, der Ihnen zuhört, Ihnen hilft und Sie wieder gesund macht – das wäre Ihr Wunschkandidat ...
Kassel: Das stimmt.
Wilm: ... und das Sprechen miteinander ist nun mal ein zentraler Bestandteil jeder ärztlichen Tätigkeit.
Kassel: Aber warum können das so viele Ärzte nicht?
Wilm: Weil sie es nicht gelernt haben. Manche glauben, dass ein gutes Sprechen, Kommunikation eine Gabe ist, die einem angeboren ist. Das ist aber nicht so. Und auch die, die nicht so wortgewandt sind, können das lernen. Je früher sie es lernen, also je früher auch im Studium sie es lernen, umso besser.
Kassel: Nun haben Sie übers Reden, über wortgewandt gesprochen, aber eine Erfahrung, die ich oft gemacht habe, wenn ich gerade erklären will, was ich will, schreibt er schon das erste Rezept. Das heißt, es geht doch auch ums Zuhören.
Wilm: Es geht ums Zuhören, und eigentlich müsste es nicht Sprechstunde heißen, sondern noch besser Hörstunde, weil eine ganz wesentliche Fähigkeit bei der Kommunikation das zugewandte Zuhören ist.
Schlechte Kommunikation im Krankenhaus macht auch Mitarbeiter unzufrieden
Kassel: Nun muss man, glaube ich, auch mal unterscheiden zwischen niedergelassenen Ärzten und Ärzten im Krankenhaus. In ersterem Fall kann man notfalls als Patient ja einfach einen anderen Arzt aufsuchen. Im Krankenhaus geht das oft nicht, und wir haben da gerade auch gehört, da glaubt der eine, der andere hätte es schon erklärt. Das heißt, es hapert dann auch in der Kommunikation im Team oft.
Wilm: Gerade im Krankenhaus gibt es solche Teamprobleme, das ist richtig, und auch da spielt Kommunikation eine große Rolle. Und wenn Sie nach der Berufszufriedenheit fragen bei Menschen, die im Krankenhaus arbeiten, ist die mangelnde oder die schlechte Kommunikation immer ein wichtiger Grund, dass die Menschen unzufrieden sind.
Kassel: Hat man Ihnen – ich glaube, das war so in den 80er-Jahren, als Sie selber die Ausbildung zum Arzt gemacht haben, das Medizinstudium, die Praktika –, hat man Ihnen das damals schon beigebracht, die Kommunikation?
Wilm: Damals spielte Kommunikation eine deutlich untergeordnete Rolle im Medizinstudium, es gab keine extra Kurse dafür. Was man lernte, musste man sich selbst beibringen oder, ganz wichtig, von Rollenvorbildern, von Rollenmodellen abgucken – von guten Oberärzten, von denen man das gute Kommunizieren gelernt hat. Seit 2012 ist Kommunikation ein fester Bestandteil des Medizinstudiums, aber schon zehn Jahre vorher etwa, zu Beginn der 2000er-Jahre, ist an einigen und später an vielen Universitäten versucht worden, Kommunikation viel stärker in den Blickpunkt des Studiums zu rücken.
Kassel: Und wie machen Sie das heute konkret, auch in Düsseldorf bei sich?
Wilm: Je früher und je intensiver und je praktischer, desto besser. In Düsseldorf beginnt das Kommunikationstraining wie auch an anderen Universitäten bereits im ersten Semester und zieht sich dann durch bis zum Ende des Studiums, immer wieder mit Angeboten. Dabei ist ganz wichtig das praktische Üben mit den Studierenden, das heißt erst mal miteinander in Übungsgruppen, aber dann auch mit Schauspielpatienten, damit die echten Patienten, die wirklichen Patienten dann nicht auf einen Studenten stoßen, der bei ihnen erst mal kommunizieren lernen muss.
Kommunikation mit dem Patienten wichtiger Faktor für den Heilungserfolg
Kassel: Aber wie ist es nun, wenn Sie da auf angehende Ärztinnen und Ärzte treffen, wo Sie das Gefühl haben, das liegt denen nicht, das lernen die auch nicht so richtig mit der Kommunikation, aber es sind tolle Wissenschaftler. Wie entscheidet man dann, ob so jemand dann wirklich geeignet ist für diesen Beruf oder nicht?
Wilm: Das Medizinstudium führt ja nicht zwangsläufig zu dem Beruf des zugewandten, dem Patienten zugewandten und am Patienten tätigen Arztes. Es gibt ja durchaus auch Medizinstudierende, die das selbst merken, dass das Sprechen und das Arbeiten mit Patienten nicht ihre Stärke ist und sie sich dann sehr früh für eine Wissenschaftlerkarriere oder eine Karriere in der Verwaltung oder auch für einen Arztberuf entscheiden, der wenig mit Patienten zu tun hat, zum Beispiel die Labormedizin.
Kassel: Nun ist es heute in unserer Welt, gerade in Deutschland, natürlich so, dass man es als Arzt, gerade auch als Hausarzt, oft mit den typischen Zivilisationskrankheiten zu tun hat. Man macht ein Blutbild und stellt fest, zu viel Cholesterin, zu hohe Harnsäurewerte und, und, und. Dann kann man ganz schnell ein Medikament verschreiben, das diese Werte senkt. Oder man kann mit dem Patienten reden und sagen, wenn die Werte noch nicht zu hoch sind: Iss nicht mehr so viel Fleisch, trink nicht so viel Bier, stell deine Ernährung um, beweg dich mehr, dann kriegen wir es ohne Medikamente hin. Das dauert aber garantiert als Vorgang länger. Ist das manchmal auch Faulheit dann bei den Ärzten, dass sie das nicht tun?
Wilm: Faulheit würde ich das nicht nennen. Ich glaube, die aller-, allermeisten Ärzte arbeiten viel und sehr viel und sind fleißig. Es ist sicherlich der Versuch, die Zeit, die ihnen zur Verfügung steht, vermeintlich effektiv zu nutzen. Nun weiß man aber aus vielen Studien, dass das Miteinander-Sprechen einerseits viel zum Heilungserfolg beiträgt und andererseits viel dazu beiträgt, dass Patient und Arzt zu einer gemeinsamen Haltung, einer gemeinsamen Lösung kommen, die dann auch von beiden – also auch vom Patienten – mitgetragen werden. Und wenn ich nur ein Medikament verordne ohne größere Erklärung, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient es nicht oder jedenfalls nicht anhaltend einnehmen wird, groß. Das ist aber nicht das Ziel des Arztes, dass der Patient sein Medikament nach kurzer Zeit wieder absetzt. Und deswegen gehört das Sprechen und das Miteinander-Sprechen und Zu-einer-gemeinsamen-Lösung-Kommen zwangsläufig dazu.
Manchmal passen Arzt und Patient einfach nicht zusammen
Kassel: Nun haben wir ja, glaube ich, beide jetzt schon gemerkt in diesem Gespräch, dass es da eine große psychologische Ebene gibt. Kommt es denn auch vor, vielleicht sogar in Ihrer Praxis in Köln, dass Sie dann doch mal zu einer Patientin, einem Patienten sagen, wir beide passen nicht zusammen, ich glaube, Sie brauchen einen anderen Arzt?
Wilm: Ja, und zwar sage ich dann, Sie brauchen einen Arzt, der besser zu Ihnen passt, ich bin nicht gut genug für Sie. Und das kann einerseits bedeuten, dass ich tatsächlich mit diesem Patienten nicht zurechtkomme, ich merke, wir finden keine gemeinsame Sprache in der Kommunikation. Es kann aber auch schon mal sein, dass mir der Patient auf den Keks geht – auch das gibt es, Ärzte haben Gefühle. Und auch dann weiß ich ja, wenn der Patient mich nervt, dann werde ich ihm kein guter Hausarzt sein, und auch dann signalisiere ich ihm, es gibt Kollegen, die passen besser zu Ihnen.
Und diese Gefühle des Arztes sind ein weiterer wichtiger Bestandteil des Kommunikationstrainings mit Medizinstudierenden, dass sie selber wahrnehmen, wie geht es ihnen in dem Gespräch. Und das nicht nur bei Gesprächssituationen, die sich jeder Hörer leicht als schwierig vorstellen kann, zum Beispiel das Überbringen einer Krebsdiagnose – das ist eine große Herausforderung, auch für den Arzt und für seine Gefühle –, sondern auch für die kleinen Alltagsgespräche, bei denen es wichtig ist, dass der Arzt guckt, wie geht es mir mit dem Patienten?
Kassel: Also es gibt große Kommunikationsprobleme, aber vielleicht werden die immer geringer, weil das Ganze seit einer Weile auch Thema in der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten ist, unter anderem bei Stefan Wilm. Herr Wilm, vielen Dank für das Gespräch, und ich wünsche Ihnen allseits die richtigen Patienten.
Wilm: Vielen Dank!
Kassel: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema