Artensterben in Neuseeland

Dem Kiwi droht das Ende

29:45 Minuten
Ein Großer Fleckenkiwi in einer Aufzuchtstation in Neuseeland.
Raubtiere machen nicht nur dem Kiwi das Leben in Neuseeland schwer. © dpa/picture alliance/Okapia/Tui de Roy
Von Johannes Kaiser · 16.07.2020
Audio herunterladen
Bevor die Menschen nach Neuseeland kamen, lebten auf der Insel südöstlich von Australien etwa zwölf Millionen Kiwis. Heute sind noch 65.000 Vögel übrig. Aber nicht nur die Kiwis sind vom Aussterben bedroht.
Zikaden klackern laut mit ihren Flügeln, ihr kräftiges Zirpen füllt die Luft, der Wind raschelt in den Blättern des sommerlichen Laubwaldes. Mannshohe Farne, dichtes Gebüsch, schmale Baumstämme säumen den Pfad. Doch irgendetwas irritiert: Der Wald bleibt stumm: kein Vogelgesang. Und das gilt fast für alle Wälder Neuseelands.

Die einst reiche einheimische Vogelwelt ist so gut wie weg! Selbst der Kiwi, das Nationalsymbol, steht ganz oben auf der roten Liste der bedrohten Arten, so Emma Bean, Leiterin eines Kiwi-Aufzuchtprogramms vom Department for Conservation, der neuseeländischen Naturschutzbehörde in der Kleinstadt Rotorua auf der Nordinsel.
"Man schätzt, dass es vor der Ankunft der Menschen auf Neuseeland etwa zwölf Millionen Kiwis gab und davon sind jetzt unglücklicherweise nur noch 65.000 übrig. Bevor die Menschen nach Neuseeland kamen, war Neuseeland ein Vogelland. Es gab nur einige wenige Arten von Fledermäusen und Meeressäugetieren und alles andere waren Vögel, Reptilien und Insekten."
Neuseeland hat eine Flora und Fauna, die es sonst nirgendwo auf der Erde gibt, so Journalist Dave Hansford, der in seinem Buch "Protecting Paradise" für starken Naturschutz plädiert und auf der Südinsel auf dem Land nahe am Tasman Nationalpark wohnt:
"Neuseeland hat sich als Landmasse vom Superkontinent Gondwana getrennt und hatte keine Säugetiere mit dabei.*) Wir waren also ein reines Vogelland. Wir haben nur drei endemische Säugetiere. Das sind alles Fledermäuse. 80 Prozent unserer Vögel sind endemisch. Bei unseren Süßwasserfischen ist der Prozentsatz sogar noch höher. Wir haben ungefähr die Hälfte der wirbellosen Tiere verloren, der endemischen Fauna. Wir besitzen etwa 4000 einheimische Arten, die auf der Liste der bedrohten Arten stehen."

Der Zustand ist erschreckend

Die Zahlen sind erschreckend. Seit der Mensch vor rund 750 Jahren die Inseln betreten hat, sind mindestens 76 Vogelarten ausgelöscht worden. 90 Prozent aller Insekten und der Bäume, Farne und Blumen existieren nur auf den beiden Hauptinseln, aus denen Neuseeland besteht. Es sind Restbestände, denn der größte Teil Neuseelands besteht inzwischen aus Kuh- und Schafweiden oder Pinienwaldplantagen. Eine verheerende Bilanz.

Neuseelands Naturschutzbehörde, das Department of Conservation kämpft seit Jahren darum, diese Entwicklung zumindest zu stoppen, wenn nicht sogar umzukehren. Brent Beaver, Direktor des 2016 aufgelegten Programms "Predator free Newzealand 2050", also "raubtierfreies Neuseeland 2050" ist seit 25 Jahren Naturschützer:
"Und doch haben all meine Aktivitäten nur dazu geführt, dass die Biodiversität abnimmt. Wir sind an einigen Flecken erfolgreich gewesen, wir haben einige Schlachten gewonnen, aber im Gesamtkrieg geht die Biodiversität zurück und Raubtierfrei 2050 ist die erste große Aktion, die wir begonnen haben und die wirklich das Potenzial hat, den Verlust an Artenvielfalt zu stoppen."

Brent Beaven sitzt mir in einem Konferenzraum in Neuseelands Regierungshauptstadt Wellington auf der Nordinsel gegenüber. Von ihm will ich wissen, wie Neuseelands Naturschutzbehörde die einzigartige Tier- und Pflanzenwelt retten will. Naturdokumentationen und Reiseführer preisen sie an, erwähnen aber nur am Rande, dass sie stark gefährdet ist.
Durch einen Wald fließt ein Fluss.
Die Idylle trügt. In nur wenigen Jahrhunderten ist die Population der einheimischen Vögel massiv in Neuseeland zurückgegangen.© imago images / Westend61
Das möchte ich mit eigenen Augen sehen: ihre einzigartige Schönheit entdecken und ihre Bedrohung. Wer sind die Raubtiere, die mit dem "predator free" Programm eliminiert werden sollen und warum sind sie so schädlich? Wie soll ein raubtierfreies Neuseeland aussehen? Eine erste Antwort gibt Zealandia, ein zwei Quadratkilometer großes Naturreservat mitten in Wellington.
Ich höre lebhaftes Vogelgezwitscher, laute Balzrufe. Eine Stimmenvielfalt. So soll es zukünftig wieder in allen neuseeländischen Wäldern klingen. Überall sind kleine und größere Pfade durch dichte Vegetation aus Büschen und Bäumen angelegt. Und man hört über ein Dutzend einheimische Vogelarten, die in freier Natur so gut wie ausgestorben sind: Dazu gehört auch der gänsegroße flugunfähige Takahē mit seinem knallroten Schnabel und dem grün-blau-schwarz schimmerndem Federkleid. Eine Seltenheit, so Perry Hyde, ein junger Maori, der unsere kleine Besuchergruppe durch das Reservat führt:
"Die Takahē sieht man nur hier. 400 gibt es auf der Welt. Wir haben sie hier. Die sind so selten, dass man geglaubt hat, sie wären schon ausgerottet. 1948 hat man auf einem Berg auf der Südinsel in der Fjordregion eine kleine Population entdeckt. Diese Tiere verbringen 19 Stunden am Tag mit Grasfressen. Wenn das Gras im Winter von Schnee bedeckt ist, ziehen sie in die Wälder. Wenn nun ein Takahē aus Zealandia auf einem Berg ausgesetzt wird, weiß es nicht, wie es sich ernähren soll. Es gibt ein Auswilderungscamp, das Burwood Takahē Centre, in dem die Takahē monatelang trainiert werden, wie sie Futter finden sollen, bevor sie ausgesetzt werden."

Das Takahē Centre ist nur eines von vielen Aufzucht- und Auswilderungszentren für vom Aussterben bedrohte Vögel. In Zealandia ist man stolz auf jeden brütenden Vogel, der später freigelassen werden kann. Dazu gehört auch der freche Kaka, ein großer Papagei mit unscheinbaren brauen Flügeln und einem Bauch aus rot-orangenen Federn. Dessen Nachwuchs sucht schon bald das Weite und das sind die Gärten Wellingtons.
Südinseltakahē beim Fressen auf einer Weise.
Eine von 400 Takahē auf der Welt auf der Südinsel.© imago images / imagebroker
Der Kaka ist ein neugieriger Vogel. Kaum habe ich mich auf der Terrasse eines Einfamilienhauses in einem der Vororte Wellingtons niedergelassen, kommt der Papagei angeflogen, um mich zu begutachten. Der Kaka ist hier ständig zu Gast, wie der Hausbesitzer, engagierter Naturschützer stolz erzählt. Er bestätigt, was uns Zealandia Guide Perry Hyde berichtet hat:
"Die Anzahl der Kaka wächst ständig. Wir haben jetzt die 1000 überschritten und in fünf Jahren werden wir nahe an 7000 sein und in zehn Jahren bei 10.000. Das sind alles positive Ergebnisse der Arbeit hier. Im Augenblick sind wir dabei, aus Wellington die erste raubtierfreie Stadt der Welt zu machen. Wenn wir das schaffen, dann wird es außerhalb des Zauns auch wieder Kiwi geben. Die Wellingtoner könnten dann wieder Kiwis in ihrem Garten haben, die könnten dann um das Parlament herumlaufen. Das wäre cool. Aber das wird nicht einfach werden."

Die Tiere haben kaum Angst

Noch ist es nicht soweit, noch muss Zealandia wie auch andere Reservate vor Raubtieren gut geschützt werden. Ein zweieinhalb Meter hoher Zaun, der mindestens 20 Zentimeter tief in den Boden ragt und in einem abstehenden Überkletterschutz endet, umgibt das Gelände. Ich und die anderen Besucher müssen eine Doppelschleuse passieren, bevor wir auf das Gelände dürfen.
Die Vögel, die in Zealandia Zuflucht gefunden haben, sind zutraulich – sie kommen sehr nah an die zahlreichen Menschen, die sie bewundern, fotografieren, filmen. Genau dieses zutrauliche Verhalten ist ein Problem. Da es keine Raubtiere gab, nisten und leben viele neuseeländische Vögel auf dem Boden oder in großen, offenen Baumhöhlen. Und das macht sie zur leichten Beute jener Raubtiere, die mit den Menschen auf die neuseeländischen Inseln kamen.
Mit ihnen hat Alison Beath, als Senior Parkranger vom Department of Conservation, der Naturschutzbehörde zuständig für den Vulkan- Nationalpark Tongariro, ständig zu kämpfen. Ich treffe sie im Besucherzentrum des Nationalparks im kleinen Örtchen Whakapapa am Fuße des Vulkans Ruapehu:
"Die Hauptbedrohungen für unsere Vogelarten sind Marder wie Hermeline, Wiesel und Frettchen sowie Ratten, Wildkatzen und auch Hunde und Fuchskusus. Wir haben eine große Bandbreite von eingeführten Arten, die unsere Vogelarten bedrohen. Die meisten stammen aus Europa. Unglücklicherweise, das gilt insbesondere für die Hermeline, sind sie früher eingeführt worden, um ein anderes Umweltproblem zu lösen und zwar das der Kaninchen.
Die Kaninchen haben insbesondere auf den Farmen auf der südlichen Insel eine Menge Probleme gemacht und man dachte im 18. Jahrhundert, es wäre eine gute Idee, die Hermeline aus Europa einzuführen, um die Kaninchen zu kontrollieren. Es gab damals schon eine Menge Widerstand, insbesondere von Umweltschützern, die das für eine schlechte Idee hielten. Aber die Regierung entschied sich damals für die Hermeline. Doch die Hermeline fingen an, statt Kaninchen zu jagen flugunfähige Vögel zu fressen. Außerdem schmeckten ihnen die flugunfähigen Vögel besser."

Der Niedergang der Neuseeländischen Natur begann mit den Maori. Als die aus Polynesien stammenden Siedler vor rund 750 Jahren auf den Inseln landeten, brachten sie Ratten mit. Mit den Europäern landete dann als blinder Passagier die norwegische Schiffsratte, ein Kletterkünstler.
"Die Ratten sind tatsächlich ein großes Problem, weil sie so zahlreich sind. Es wimmelt im Busch von ihnen und das bedeutet für unsere kleinen Vögel, dass die Ratten deren Eier und auch die Jungvögel fressen."
Ein Fuchskusu sitzt auf einem Baum.
Auch der Fuchskusu, eine Beuteltierart, wurde vom Menschen in Neuseeland eingeschleppt.© imago stock&people
Besonders bedrohlich für die Vogelwelt sind jene Jahre, in denen die Bäume sehr viele Früchte produzieren, so der Umweltjournalist Dave Hansford:
"Aus irgendwelchen Gründen produzieren viele neuseeländische Bäume nach milden Wintern im folgenden Frühjahr und Sommer riesige Mengen an Früchten und Samen. Bei diesen Extramengen an Futter steigt die Zahl der Mäuse rasant an und damit geht auch die Zahl der Ratten durch die Decke. Am Ende der Saison und im folgenden Sommer, wenn der größte Teil der Samen aufgefressen ist, ist der Wald dann voll hungriger Raubtiere, die nichts mehr zu fressen finden und sich deswegen den einheimischen Vögeln zuwenden und das oftmals gerade in dem Moment, in dem die Vögel anfangen zu brüten. Es ist eine Katastrophe für sie."

Zu allem Übel kamen dann auch noch die Frettchen

Inzwischen haben sich auch noch die Frettchen zu den Vogelräubern gesellt, wie Alison Beath in Tongariro National Park auf der Nordinsel beobachtet hat:
"Frettchen sind wegen ihres Pelzes eingeführt worden. Es gab eine ganze Menge Farmen, die sie gezüchtet haben, um aus ihren Pelzen Hüte oder Kragen zu machen. Aber die Pelzindustrie ist zusammengebrochen und eine Menge Farmen haben einfach die Käfige geöffnet und die Frettchen freigelassen. Sie sind seit jüngstem ein echtes Problem. Wir haben entdeckt, dass sie Geschmack auf Kiwi bekommen haben, in unsere Wälder eindringen und Kiwi töten. Ein Frettchen tötet jede Woche ein Kiwi."
Die Raubtiere verbergen sich gut. Nie habe ich auf meinen Wanderungen irgendeines zu Gesicht bekommen – weder auf Hochgebirgsebene zwischen zwei Vulkanen im Tongariro Nationalpark noch in den Regenwäldern auf der Südinsel. Das ist ein Problem:
"Die Neuseeländer begreifen vielleicht nicht das Ausmaß des Problems, denn selbst wenn man stundenlang im Busch unterwegs ist, sieht man keine Hermeline oder Ratten und man kann auch Vögel hören und denkt: es ist alles gut. Man muss schon auf die Inseln vor der Küste gehen, um zu genießen, wie sich der Busch natürlicherweise anhören würde."

Genauso eine Insel besuche ich auf der Südinsel. 1996 wurde die kleine Insel Ulva Island in einer Bucht vor Stewart Island, Neuseelands südlichster Insel, für raubtierfrei erklärt. Vormals ausgerottete einheimische Vögel wurden wieder angesiedelt. Seitdem ist die Insel bei Vogelfreunden sehr beliebt. Jedes Jahr kommen rund 20.000 Besucher.
Ein Vogel singt auf der Insel Ulva Island.
Immer noch ein Vogelparadies: die Insel Ulva Island.© imago images/robertharding/Michael Nolan
Ich habe mich Wochen vorher angemeldet, um auf einer dreistündigen Tour über befestigte Pfade die typische Flora und Fauna des tropfenden Regenwaldes erklärt zu bekommen. Zu Gesicht bekomme ich unter anderem den Tieke, den Sattelvogel, über das schwarze Rückengefieder zieht sich wie ein Sattel ein dunkelroter, breiter Farbstreifen oder den Mohoua, das Gelbköpfchen. Und wieder staune ich über die Zutraulichkeit der Vögel. Matt Jones, Guide auf Ulvea Island kennt das gut:
"Die Vögel auf Ulvea sind nicht scheu. Wie Sie gestern erlebt haben, hat insbesondere der Robin keine Angst vor Ihnen. Wenn Sie sich hinsetzen, dann landet er sogar auf Ihnen. Alle diese Vögel leben in dieser sicheren Blase. Wir wissen, dass es eine Blase ist. Wenn etwas über das Wasser käme, dann würde es sie alle vernichten."

Reise in die Urzeit

Es ist eine Reise in Neuseelands Urzeit: Zwischen uralten baumhohen Farnen stehen grau-braune Bäume, von grünen Flechten überzogen, abgestorbene Stämme, von Höhlen durchlöchert. Unter einem dichten grünen Blätterdach liegt ein dicker brauner Laubboden, auf dem der flugunfähige Weka, ein braungesprenkelter, hühnergroßer Vogel, kaum zu entdecken ist.
Viele endemische Vögel sind auf diese Natur zum Überleben angewiesen, wie Angela Karaitiana, eine junge, lebhafte Maori-Frau, ebenfalls Vogel-Guide auf Ulva, am Beispiel des einheimischen Rata-Baumes erklärt, des Südinsel Eichenholzes, dessen Krone jetzt im Sommer in Hunderten prächtiger roter Blüten geradezu explodiert:
"Es gibt hier den südlichen Rata, der Nektar produziert. Der ist für den Saddleback, den Sattelvogel, den Tui und den Bellbird, den Maori-Glockenhonigfresser wichtig, denn die ernähren sich von dessen Nektar. Und dann gibt es noch die großen einheimische Bäume wie den Rimu, den Totara oder den Miro und die kleineren Coprosma-Büsche. Das sind alles fruchtragende Pflanzen, die im Herbst und Winter Früchte ausbilden, wenn die Blüten und deren Nektar verschwunden sind. Die Vögel hier fressen also deren Nektar, Beeren und Samen. Die Vögel leben auch von der Rinde speziell der Totara. Der Kaka frisst die Rinde. Die meisten Bäume wachsen so langsam, dass es manchmal über 100 Jahre dauert, bevor sie anfangen, Früchte zu bekommen."

Aber auch diese Bäume sind von einem Räuber gedroht, der aus Australien zur Fellzucht eingeführt wurde und inzwischen auf beiden Hauptinseln heimisch geworden ist: Der Fuchskusus, ein ein halben Meter großes und bis zu fünf Kilogramm schweres Beutelsäugetier. Mit langem, haarlosen Schwanz und seinen großen Ohren erinnert es an eine Mischung aus Ratte und Maus. Perry Hyde vom Zealandia Naturreservat.
"Fuchskusus fressen Vogeljunge wie zum Beispiel die des Kaka und sie fressen auch die Vegetation und zwar die Früchte, die auch die Vögel brauchen. Wenn diese Fuchskusus also auf die Bäume klettern und die Blätter auf den Bäumen fressen, dann können diese Bäume davon absterben und Teile von Nord Neuseeland verlieren ihr Walddach durch Schäden, die durch die Fuchskusus verursacht werden."
Totara-Baum in Neuseeland.
Auch Früchte des Totara-Baums können das Überleben vieler Vögel sichern.© imago images/Westend61

In Neuseeland wird es immer stiller

Doch nicht nur die Raubtiere setzen Neuseelands ursprünglicher Tier- und Pflanzenwelt mächtig zu. Auch Farmer und Holzfäller haben die Urwälder drastisch dezimiert. Auf meiner Reise über die Nordinsel fahre ich stundenlang an endlosen Kuh- und Schafweiden und dunkelgrünen Pinienplantagen vorbei, nur um eines der wenigen Naturreservate zu besuchen. Ich finde bestätigt, was mir Parkrangerin Alison Beath erzählt hat:
"In den Wäldern im Norden, die erheblich wärmer sind, gibt es erheblich mehr Ratten und Hermeline, weil die Bedingungen für sie günstiger sind. Das Vogelleben in diesen Gebieten ist sehr, sehr still."
Durch die Restbestände streifen auch noch Katzen und Igel, beides Importe der europäischen Kolonialisten. Die Katzen holen sich Jungvögel aus den Nestern. Igel lieben bekanntlich Vogeleier. In den Wäldern leben zudem verwilderte Schweine und Ziegen, auch sie dezimieren die einheimische Vegetation. Wohin man also auch schaut: Neuseelands Natur droht zu kollabieren. Steve Hansford.
"Die Vogelpopulationen verschwinden peu à peu, nur ein paar Vögel jedes Mal, bis wir plötzlich entdecken, wenn wir in den Wald gehen, dass er ganz still geworden ist und wir keine Vögel mehr sehen. Es ist ein heimtückischer Prozess. Die Landcare Studie hat herausgefunden, dass Ratten, Fuchskusus und Hermeline jedes Jahr 26,5 Millionen Waldvögel fressen. Das passiert jede Nacht. Das schließt noch nicht einmal die erwachsenen Vögel mit ein, die getötet und gefressen werden, wenn sie auf den Nestern hocken, und es umfasst auch nur Waldvögel. Die Gesamtzahl wird also viel größer sein. Neuseeland hat weltweit die schlimmsten Verluste an Biodiversität."
Seit über 40 Jahren versuchen Neuseelands Behörden das Problem der invasiven Arten in den Griff zu bekommen. Es ist ein Kampf an vielen Fronten und die Erfolge sind bislang spärlich und örtlich begrenzt. Deswegen ist 2016 das ehrgeizige Programm "Raubtierfrei 2050" verabschiedet worden. Sein Hauptziel, so Brent Beaven, Direktor des Programms:
"´Predator Free 2050` zielt darauf ab, die drei Arten zu entfernen, die den größten Einfluss auf unsere einheimische Fauna haben. Wir wollen die Fuchskusus loswerden und Marder wie Hermeline, Wiesel und Frettchen, die einen massiven Einfluss auf unser Vogelleben haben und die Rattenarten, die es auf Neuseeland gibt. Dahinter steht die Idee, sie bis 2050 von ganz Neuseeland entfernt zu haben."

Mit Gift gegen die Raubtiere

Das ist sehr ambitioniert und die Mittel sind beschränkt. Traditionelle Fallen nutzen nur in leicht zugänglichen Gegenden. Nun gibt es in Neuseeland aber auch viele tiefe Täler, zerklüfte Bergregionen, wilde reißende Flüsse. Hier setzen die staatlichen Naturschützer auf aus der Luft abgeworfene Giftköder, bekannt als 1080. Dessen tödlicher Bestandteil ist Natriumfluoracetat, ein Gift, mit dem sich auch manche einheimische Pflanze gegen tierische Fressfeinde schützt. Der größte Teil des Köders besteht allerdings aus Getreide. Giftig sind nur 0,5 Prozent. Steve Hansford:
"Wir setzen 1080 heute vor allem so ein, dass die Helikopter zuerst einmal Köder verteilen, die kein Gift enthalten. Sie sind bloß ein leckerer Köder und das bringt Tiere wie die Ratten, die sehr vorsichtig sind, was sie fressen, dazu, diese nicht giftigen Köder zu fressen. Wenn die Helikopter dann mit einer zweiten Ladung zurückkommen, die giftig ist, und die abwerfen, dann ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie diese Köder fressen. Nun wissen wir, dass Ratten beim Fressen sehr wählerisch sind. Experimente haben kürzlich nachgewiesen, dass 30 Prozent der Ratten die Zimtköder, die wir seit gut drei Jahrzehnten benutzen, nicht mögen. Versuche haben gezeigt, dass man auch diese Ratten erreicht, indem man Köder mit Orangengeschmack verteilt."
Das 1080 Programm setzt aber auch auf indirekte Wirkung:
"Hermeline, Frettchen und Wiesel sind Fleischfresser. Sie werden also keinen Köder fressen, der vorwiegend aus Getreide besteht. Damit 1080 auch bei Hermelinen wirkt, müssen wir darauf warten, dass ein Hermelin eine vergiftete Ratte frisst. Dieser Prozess wird Zweitvergiftung genannt und es hat sich herausgestellt, dass das ziemlich erfolgreich ist, um Hermeline zu töten."
Dass weite Teile der neuseeländischen Öffentlichkeit diesem radikalen Giftprogramm heute zustimmen, ist dessen Erfolgen zu verdanken. Und die kann man sehen und hören, so Alison Beath von Tongariro Nationalpark.
"Bei den Blauen Enten hatten wir erstaunliche Erfolge. Bevor wir mit der Raubtierkontrolle begannen, gab es an einem bestimmten Fluss nur acht Entenpaare und jetzt haben wir 25 und das ist eine Erfolgsgeschichte. Wir haben herausgefunden, dass in dem Jahr, in dem es einen 1080 Einsatz gibt, 85 Prozent der Kiwi-Nestlinge überleben. Aber in dem Jahr, in dem wir keinen Lufteinsatz von 1080 haben, verlieren wir wieder die meisten unserer Kiwi-Nestlinge. Es gibt eine Menge Gebiete, in denen wir nicht in der Lage sind, die Raubtiere zu kontrollieren. Diesen Gebieten geht es nicht besonders gut. Wir müssen Schwerpunkte setzen, wo wir arbeiten wollen."

Genau das ist das größte Problem. Nach dem Abwurf der Giftköder können sich die Vogelpopulationen für ein, zwei Jahre erholen, aber dann dringen von außen erneut Ratten, Marder und Fuchskusus in die betroffenen Gebiete ein. Es ist eine Art Sisyphusarbeit. So ist die Naturschutzbehörde dankbar für Privatinitiativen wie die Aorangi Stiftung im Winzerstädtchen Martinbourogh auf der Nordinsel.
Ein erwachsener Streifenkiwi auf nächtlicher Nahrungssuche in einem alten Kauriwald in Neuseeland.
Ein erwachsener Streifenkiwi auf nächtlicher Nahrungssuche in einem alten Kauriwald in Neuseeland.© picture alliance / blickwinkel/S. Sailer / A. Sailer
Die kümmert sich um einen Teil des 194 Quadratkilometer großen Aorangi Naturparks, will Vogelleben in die Buchenwälder dieser unzugänglichen Bergregion zurückbringen. Die Naturschutzbehörde hilft mit Lufteinsätzen von 1080. Ein erster Abwurf 2014 vernichtete im ausgewählten Gebiet fast alle Raubtiere. Allerdings kamen die Ratten rasch zurück. Ein zweiter Abwurf drei Jahre später wirkte länger nach, so Robert Burgess, Projektmanager der Aorangi Stiftung:
"In der Woche nach dem Abwurf von 1080 hat der Vogelgesang nicht abgenommen, ganz im Gegenteil haben wir einen leichten Anstieg festgestellt. Das war gut, denn es war behauptet worden, dass die Vögel durch 1080 sterben würden. Nach dem zweiten Abwurf haben wir im Verlauf von mehreren Monaten einen starken Anstieg des Vogelgesangs festgestellt, da die Vogelpopulationen wuchsen. Das traf, wie Kontrollen ergeben, auf mindestens ein Dutzend verschiedene Vögel zu. Das war positiv."

Auch Privatinitiativen unterstützen den Vogelschutz

Der Erfolg ermutigte den Gründer der Stiftung, den erfolgreichen Winzer Clive Paton, nun seinerseits 40.000 Hektar degradiertes Bergland am Rande des Parks zu erwerben, um es zu renaturieren. Im Jeep fährt er uns auf holprigen Feldwegen zur bescheidenen Holzhütte mitten in seinem Wald.
"Ich habe eine Menge einheimischer Bäume gepflanzt, um herauszufinden, wie man das Land wiederbewalden kann. Das macht schon einen Unterschied. Ich sehe das ganz deutlich beim Vogelleben. Um Ihnen ein Beispiel zu geben. Es gibt einen importierten Vogel, den California quail, der am Boden lebt wie viele unserer einheimischen Vögel. Sie werden ihn so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Jetzt haben wir hier hunderte in einem relativ schmalen Gebiet, auf vielleicht 500 Hektar. Das Gebiet ist intensiv raubtierüberwacht. Auch wenn es ein kleines Gebiet ist, so sehen wir doch Fortschritte."
Man kann es auch hören. Die ersten einheimischen Vögel sind zurückgekommen. Das Ergebnis bestätigt den Direktor des "Raubtierfreies Neuseeland" Brent Beaven:
"Wenn wir nicht 1080 aus der Luft abwerfen würden, dann könnten wir der Natur und den einheimischen Arten auf Wiedersehen sagen."

Mit Künstlicher Intelligenz auf Raubtierjagd

Es fällt schwer, sich angesichts der wenigen raubtierkontrollierten Gebiete vorzustellen, wie die Naturschutzbehörde in den nächsten 30 Jahren ganz Neuseeland raubtierfrei machen will. Umgerechnet rund 25 Millionen Euro stehen ihr in den nächsten Jahren dafür zur Verfügung. Ein Teil davon geht in die Erforschung neuer Methoden der Raubtierkontrolle. So gibt es jetzt einen Köder, der sich nicht wie bisher in drei Tagen auflöst, sondern sechs Monate wirksam ist. Das erlaubt einen ganz neuen Fallentyp, so Programmdirektor Bret Beaven.
"Es gibt jetzt Gaspatronenfallen, die sich immer wieder spannen, bis zu viermal. Die setzen auf Schwerkraft, sind an einem Baum befestigt, töten das Tier. Sie justieren sich erneut und das tote Tier fällt raus. Wir starten auch mit Künstlicher Intelligenz. Wir haben eine Falle, bei der ein Giftsprühgerät vermittels künstlicher Intelligenz das Tier erkennt und das Gift dann nur auf dieses Tier versprüht. Ich kann meine Hand reinstecken, ein Vogel kann durch die Falle laufen oder eine Eidechse und bleibt unbeschadet. Die Künstliche Intelligenz erkennt, was das für ein Tier ist und wird sich dementsprechend verhalten."
So raffinierte und ausgeklügelte Methoden auch entwickelt werden, eines ist allen Beteiligten klar: Mit den Mitteln, die den Naturschützern derzeit zur Verfügung stehen, wird man die Raubtiere bis 2050 nicht ausgelöscht haben. Bret Beaven setzt auf die Forschung, hofft auf Gentechnik. Es ist noch ein langer Weg, bis sich der Wunsch von Nationalparkranger Alison Beath erfüllt.
"Es wäre wunderbar, wenn sich der Traum verwirklichen ließe, hier eine Gegend wiederherzustellen, die so aussieht wie vor der Ankunft der Menschen, mit wunderschönem Vogelgesang und Büschen voller Leben. Das wäre eine Vision für die Zukunft."
*) Redaktionelle Anmerkung: An dieser Stelle haben wir eine fehlerhafte Zeitangabe entfernt

Redaktion: Kim Kindermann
Regie: Roman Neumann
Technik: Christoph Richter
Sprecherin und Sprecher: Ilka Teichmüller, Birgit Dölling, Romanus Fuhrmann, Markus Hoffmann, Olaf Ölstrom und Ralf Bei der Kellen

Mehr zum Thema