Artenschutz

Der König der Lüfte im Aufwind

Ein Seeadler fliegt am Breiten Luzin, einem See im Naturpark "Feldberger Seenlandschaft" in Feldberg (Mecklenburg-Vorpommern).
Ein Seeadler im Naturpark "Feldberger Seenlandschaft" in Mecklenburg-Vorpommern © picture alliance / dpa / Foto: Patrick Pleul
Von Lutz Reidt · 06.11.2014
Vor 30 Jahren galt der Seeadler in Niedersachsen als fast vollständig ausgestorben. Das Insektizid DDT hatte dem Greifvogel ordentlich zugesetzt. Dank des Verbots des Giftes und durch die Einrichtung von Schutzzonen haben sich die Bestände heute wieder fast vervierfacht.
Die Schneeflocken tanzen im Scheinwerferlicht des Geländewagens, mit Mühe können die Scheibenwischer den schmierig-weißen Belag von der Frontscheibe drücken. Doch Thomas Neumann steuert an diesem düster-kalten Novembertag unbeirrbar sein Ziel an. Er will zu einer Insel im Schaalsee, die nur über das Ostufer zu erreichen ist. Und das gehört zur DDR. Doch vor wenigen Tagen ist die Mauer gefallen. Der Weg zu den Seeadlern im Osten sollte eigentlich frei sein:
Thomas Neumann: "Und da waren noch die ganzen Sperrzäune; und der Doppelsperrzaun in der Mitte war nach wie vor frisch ´gegrubbert`, so dass man auf diesem Todesstreifen jede Fußspur sieht! Ich fahre also vor dieses Tor, und das ist geschlossen. Ich wusste aber, dass eigentlich ja die Grenze aufgehoben war. Da steht da noch so ein armer VoPo und sagt: ´Ich kann nicht durch!" - ´Doch`, sage ich, ´ich kann durch! Es passiert auch nichts!`"
Thomas Neumann leitet das Büro des "World Wide Fund for Nature" in Mölln in Schleswig-Holstein. Seit 1968 widmet sich der Biologe dem Schutz und der Erforschung der Seeadler. Um ein vollständiges Bild zu bekommen, müsste der Forscher auch mal nach drüben. In der DDR haben sich – dank eines strengen Schutzes – fast 200 Revierpaare halten können.
Der Himmel über dem Schaalsee – für die Greifvögel gab es dort niemals eine Grenze. Jedes Mal ist es für den Adlerforscher ein besonderes Erlebnis, den majestätischen Greif dort oben kreisen zu sehen:
"Er liegt wie ein Brett am Himmel. Zwei Meter 50 Spannweite, und dann einen relativ kurzen Schwanz, auch Stoß genannt, der beim alten Adler weiß ist. Und den gelben Schnabel! Der gelbe Schnabel, der sehr mächtig ist, kennzeichnet den Altvogel. Der Jungvogel hat einen dunklen Schwanz und einen dunklen Schnabel."
Rund drei Viertel der Adlerpaare blieben ohne Nachwuchs
Als Thomas Neumann vor knapp 50 Jahren mit der Adlerforschung begann, blieben rund drei Viertel der Adlerpaare ohne Nachwuchs. Schuld daran war das Insektengift DDT, das sich in der Nahrungskette anreicherte – von Insekten über Fische, Wasservögel und Säugetiere bis hin zum Seeadler. Ein bestimmtes Abbauprodukt des Giftes bewirkte, dass die Eischalen zu dünn blieben und beim Brüten zerbrachen. Heute spielt diese fatale DDT-Wirkung keine Rolle mehr – was den Bruterfolg nicht immer sichert. Denn Seeadler sind sehr empfindlich während der Zeit von Paarung, Brut und Aufzucht der Jungen. Bei der geringsten Störung verlassen die Elterntiere den Horst, so dass entweder die Eier erkalten. Oder aber später die Jungen umkommen. Wichtig sind deswegen so genannte Horstschutzzonen. Vorbildlich war dabei stets eine Vorschrift in der damaligen DDR:
"Es gab die Regelung: Hundert Meter um den Horst darf gar kein Baum geschlagen werden. Und im 300-Meter-Umkreis darf zur Brutzeit nichts gemacht werden. Das ist in der DDR angeordnet gewesen; und das war – unabhängig von der Giftbelastung – die Grundlage, dass ein Mindestbestand an Adlern erhalten blieb; und dann der Bestand auch wieder explodieren konnte, aufgrund dieser entscheidenden Horstschutzmaßnahmen."
Heute gibt es auch wieder Revierpaare in Thüringen und Bayern
Deutschlandweit hat sich der Bestand seit der Wende fast vervierfacht, heute gibt es rund 750 Revierpaare, davon auch wieder einige in Thüringen und Bayern.
In Norddeutschland hat sich der Seeadler weit nach Westen hin ausgebreitet: Bis ans Steinhuder Meer und in die Weser-Auen bei Rinteln. Insgesamt leben in Niedersachsen fast 40 Revierpaare, vor dreißig Jahren gab es hier keinen einzigen Adler.
Rasant ist vor allem die Entwicklung in Schleswig-Holstein, wo der Bestand um das zehn- bis zwölffache anwachsen konnte: Immerhin mehr als 80 Paare! Deren Nachwuchs unternimmt auf der Suche nach einer neuen Heimat weite Ausflüge:
"Von Schleswig-Holstein (aus) wurde Dänemark wieder besiedelt; und die erste Ansiedlung in Holland, wo jetzt auch vier Paare brüten, kam - zu mindestens vom Weibchen her - aus Schleswig-Holstein; denn wir beringen auch einen Teil der Adler; das ist Bestandteil unseres Monitorings, unserer Wissenschaft, die natürlich all diese Schutzmaßnahmen begleitet; und das ist natürlich ein stolzer Erfolg."
Erfolg hat Thomas Neumann auch beim Versuch, an jenem düsteren Novembertag vor 25 Jahren zu den Adlern am Ostufer des Schaalsees vorzudringen. Sein Ziel ist die Insel Stintenburg auf DDR-Seite. Der Vopo, der ihn auf halbem Wege stoppen will, wird von seinen herbei eilenden Kollegen vom Gegenteil überzeugt:
"Plötzlich kommt ein Trabbi von hinten, mit drei VoPos, in ihren Uniformen sprangen sie aus und sagten zu dem: ´Mensch, nun begreif das doch! Mach das Tor auf! Die Zeiten haben sich geändert!` Und dann fuhr ich mit meinem Wagen auf die Stintenburg und habe das, was ich von der westlichen Seite des Schaalsees immer gesehen hatte, endlich mal von der östlichen sehen können. Denn da brütete auch ein Adler. Und dieser Adler brütete mal bei uns und mal drüben. Und ich wollte natürlich auch mal gucken, ob man hier neue Erkenntnisse über dieses Paar zusätzlich noch schaffen kann.“
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