Armut

Mit Batman gegen die Korruption

Ein Demonstrant im Batman-Kostüm in Rio de Janeiro während einer Protestaktion gegen die gestiegenen Preise im öffentlichen Nahverkehr in Brasilien. Auf dem Plakat steht: "Trauer um Santiago" – der Kameramann Santiago Andrade war kurz zuvor auf einer Demonstration ums Leben gekommen.
Ein Demonstrant im Batman-Kostüm in Rio de Janeiro während einer Protestaktion gegen die gestiegenen Preise im öffentlichen Nahverkehr in Brasilien. Auf dem Plakat steht: "Trauer um Santiago" – der Kameramann war auf einer Demo ums Leben gekommen. © picture alliance / dpa / Marcelo Sayao
Von Tom Noga · 11.06.2014
Fehlende Kanalisation, Fahrpreiserhöhungen, Umsiedlungen – seit einem Jahr gehen im WM-Land Brasilien Menschen auf die Straße, um auf ihre prekäre Lage aufmerksam zu machen. Ihre Symbolfigur ist ein "Batman".
Die Szene hat etwas Absurdes: 200, 300 Polizisten in Kampfmontur bilden einen Ring um die Verkehrsinsel hinter der Kathedrale von Rio de Janeiro. Innerhalb des Ringes an die hundert Reporter – und jene, um die es geht: die Demonstranten. Sie sind in der Minderzahl. 60, 70 mögen es sein. Vor einem Jahr, während des Confed-Cups, als die Welt auf Brasilien blickte, sind hier über 100.000 Menschen auf die Straße gegangen.
Ein als Batman verkleideter Mann wettert gegen den brasilianischen Staat, gegen korrupte Politiker und viel zu teure Großveranstaltungen wie die Fußballweltmeisterschaft und die Olympischen Spiele im Jahr 2016. Er schwenkt ein Bündel Monopolygeld. Sofort richten sich alle Kameras auf ihn.
"Batman ist ein Held, ein Kämpfer gegen die Ungerechtigkeit und gegen das System. Auf die Idee bin ich gekommen, als ich auf Facebook ein Bild von Bürgermeister Eduardo Paes gesehen habe, angemalt wie der Joker. Er war für die Fahrpreiserhöhungen im letzten Jahr verantwortlich. Da habe ich mir gedacht: Wenn er der Joker ist, dann braucht es einen Batman als Gegenspieler. Also habe ich die Rolle übernommen."
Fahrpreiserhöhungen brachten das Fass zum Überlaufen
Dieser Batman heißt Eron Morais de Melo. Die Wut über Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr hat ihn im Frühjahr 2013 auf die Straße gebracht. Mal taucht er in Einkaufzentren auf, mal in Favelas, wo ihm die Bewohner wie einem Befreier zujubeln. Seine medienwirksamen Inszenierungen haben ihm über die Landesgrenzen hinaus den Ruf eingebracht, ein Kämpfer für die Armen zu sein.
Alessandra Orofino sitzt in einem Café im Zentrum von Rio de Janeiro mit Blick auf die Demonstration an der Kathedrale. Wo Eron Morais de Melo so etwas wie das Gesicht der brasilianischen Protestbewegung ist, gilt die zierliche Endzwanzigerin mit den schwarzen Korkenzieherlocken als einer der Köpfe. Die von ihr mit gegründete Organisation Meu Rio hat 2013 die ersten Proteste gegen Fahrpreiserhöhungen organisiert.
"Diese Proteste haben etwas entfacht, was über den eigentlichen Anlass hinaus geht. In unseren Städten ist Mobilität ein großes Problem. Viele Menschen sind von vielem ausgeschlossen, was die Städte zu bieten haben, weil sie schlicht nicht dort hinkommen, wo was läuft. In einer solchen Situation die Fahrpreise zu erhöhen, war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Und dann kam anderer Ärger mit hoch."
Alessandra nippt an ihrem Cappuccino. Auf der Straße ist sie seit Monaten nicht mehr gewesen. Und hat stattdessen Meu Rio zu einem Netzwerk ausgebaut, mit 110.000 Mitgliedern, die sich für Protestaktionen aktivieren lassen, für Demos, aber auch als Flashmob.
Der Staat will eine Seilbahn – die Bewohner eine Kanalisation
Am nächsten Tag in der Rosinha. Alessandra platziert ein Skelett in einer Kloschüssel auf der Rua de Alegria, der Straße der Freude. Dann gibt sie dem Fahrer des Lautsprecherwagens letzte Instruktionen, damit der die Botschaft des Tages auch richtig verkündet. "Saneamento sim, teleférico não" – Ja zum Abwassersystem, nein zur Seilbahn.
Orofino: "Die Rosinha ist eine der größten Favelas in Rio. Das ganze Viertel ist nicht an die Kanalisation angeschlossen. Wenn man hoch geht, sieht man, wie Fäkalien am Rande der Straßen und Gassen bergab fließen. Der Staat Rio de Janeiro plant hier eine Seilbahn, ein Riesenprojekt, sehr teuer, für das mindestens 4000 Familien umgesiedelt werden müssen. Die Bewohner kämpfen, damit das Geld für die Kanalisation benutzt wird."
Aber zunächst feiern sie sich selbst, mit Rosinha-Sprechchören und gereckten Fäusten. Das ist neu, sagt Alessandra: Viele Menschen haben einen Stolz auf ihr Viertel entwickelt, auch wenn sie aus einer Favela kommen. Menschen wie Martins, ein drahtiger Mann mit schulterlangen Haaren und wallendem Bart.
Mehr als 6000 Protestmails in vier Stunden
"Mit der Seilbahn kann man nichts Größeres transportieren. Wir wollen lieber eine Zahnradbahn wie in der Favela Santa Marta. Das ist billiger in Herstellung und Betrieb, und man kann darin Einkäufe hoch- und Müll runtertransportieren."
Für Alessandra Orofino ist das der größte Fortschritt: Die Menschen nehmen Entscheidungen von oben nicht mehr hin, sondern hinterfragen sie und kämpfen friedlich für ihre Belange. Wie in Cantagalo, einer Favela auf einem Hügel über dem Strandviertel Copacabana. Dort war eine Müllkippe geplant, auf dem Gelände eines Bauernhofes.
"Über eine Anwendung auf unserer Website hat er eine Aktion gestartet. Binnen vier Stunden haben über 6000 Mitglieder von Meu Rio Protestmails an den Leiter des Bauamts geschickt und den ganzen Tag über dort angerufen. Am nächsten Morgen hatten wir ein Treffen mit dem Mann. Er sagte nur: 'Wir ziehen die Pläne zurück, und nun lasst mich bitte in Ruhe.'"
So schnell werden sich Erfolge in der Rosinha nicht einstellen. Kein Problem, sagt Alessandra Orofino. Langen Atem hat Meu Rio schon bei der Rettung einer Schule bewiesen, die einem Parkplatz fürs Maracanã-Stadion weichen sollte. Und Kreatitivität. Als die Schule nach einjährigem Kampf verloren schien, haben Aktivisten sie über eine Webcam rund um die Uhr überwacht und die Zufahrt jedes mal blockiert, wenn Bulldozer angerückt sind.
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