Armut bei Schauspielerinnen

"Ältere Frauen werden sowieso vaporisiert"

Die Schauspielerin Marie Bäumer kommt zur Verleihung des 68. Deutschen Filmpreises "Lola".
Schauspielerinnen wie Marie Bäumer sollen Glamour und Glanz verkörpern, dabei ist Armut ein verbreitetes Problem in der Branche © dpa/Arne Bänsch
Bettina Kenter-Götte im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 23.07.2018
In Berlin wird heute der erste Götz-George-Preis für ältere Schauspielerinnen und Schauspieler verliehen. An das große Problem von Altersarmut in der Branche, vor allem bei Frauen, erinnert die Buchautorin und Schauspielerin Bettina Kenter-Götte.
In Berlin wird heute erstmals der Götz-George-Preis verliehen, mit dem ältere Schauspieler und Schauspielerinnen geehrt werden sollen, die sich um den Schauspielberuf verdient gemacht haben. Die Buchautorin und Schauspielerin Bettina Kenter-Götte findet das eine gute Idee, denn für jüngere Künstler gebe es bereits viele Preise. "Ich finde, jetzt müssten mal die Preise her, ab 60, ab 50, ab 70 – wunderbar."
Kenter-Götte erinnerte an das Problem der Altersarmut bei vielen Schauspielern. In der Branche sei Armut ein totgeschwiegenes Problem, aber es fehle gerade älteren Frauen auch an angemessenen Rollen und Engagements.

Das Interview im Wortlaut:

Stephan Karkowsky: Heute Abend wird in Berlin zum allerersten Mal der Götz-George-Preis verliehen, und ich bin mir gar nicht sicher, ob die Preisträgerinnen sich davon wirklich geschmeichelt fühlen, denn der Götz-George-Preis soll vor allem nämlich an ältere Schauspieler und Schauspielerinnen gehen, die sich verdient gemacht haben um den Beruf der Schauspielkunst. Fragen wir eine Schauspielerin und Autorin, die seit Jahren hinweist auf die Gefahr der Altersarmut vieler Kolleginnen und Kollegen, Bettina Kenter-Götte. Guten Morgen!
Bettina Kenter-Götte: Guten Morgen!
Karkowsky: Frau Kenter-Götte, Sie haben auch ein Buch darüber geschrieben mit dem bitteren Titel "Heart's Fear", also den englischen Ausdruck für "Herzensfurcht". "Heart's Fear" – wie sind Sie dazu gekommen?
Kenter-Götte: Ich hatte ja vorher schon ein Theaterstück geschrieben zu dem Thema, eigentlich ursprünglich aus eigener Betroffenheit. Ich war dreimal betroffen von den Unsozialsystemen in Deutschland. Das erste Mal nach zehn erfolgreichen Berufsjahren mit internationalen Erfolgen im Schauspielberuf war ich betroffen, Anfang der 80er-Jahre als Single-Mama im alten System.
Logo der Bundesagentur für Arbeit mit Menschenmenge.
Vor allem Schauspielerinnen landen, wenn sie älter werden, leicht auf Hartz IV. © imago / Ralph Peters
Das zweite Mal nach weiteren 25 erfolgreichen Berufsjahren war ich betroffen als Künstlerin während einer Branchenflaute zurzeit des Systemwechsels auf Hartz-IV. Und das dritte Mal war ich betroffen, langfristig erkrankt, als dieses Unkraut Hartz-IV in voller Blüte stand. Das war so 2008 bis 2013.
Karkowsky: Und was für Schlüsse haben Sie gezogen aus diesen persönlichen Erfahrungen?
Kenter-Götte: Die persönlichen Erfahrungen habe ich dann im Lauf dieser Zeit als sehr unpersönlich erkannt, hab dann angefangen zu recherchieren, habe gesehen, wie systematisch diese Unrechtsbehandlung passiert, und auch natürlich, wie groß das Problem ist von Altersarmut bei Frauen, bei Müttern, bei Single-Müttern und vor allen Dingen Künstlerinnen, freien Bühnen- und Medienschaffenden.

Sie hungern und frieren

Karkowsky: Sie selbst haben sich dann auf einer anderen Preisverleihung als arm geoutet, 2011 beim Stuttgarter Autorenpreis. Warum haben Sie das gemacht?
Kenter-Götte: Ich fand es ganz wichtig, dass mal jemand sagt, ich war betroffen. Also gerade jemand, der in der Öffentlichkeit steht. Damit klar wird, um auch andere zu ermutigen, das auch zu tun, damit klar wird, wie viele, wie schwer betroffen sind. Das kann nur klar werden, wenn sich die Menschen zu Wort melden mit ihren Geschichten, weil sonst bleiben es Zahlen, und die Menschen dahinter werden nicht sichtbar. Und ich wusste, dass das nicht unbedingt auftragsfördernd ist.
Aber ich halte es für gesellschaftlich sehr wichtig, weil hier geht es um Grundgesetzverletzungen, hier geht es um Altersarmut eben von Frauen, die so verdeckt ist. Sie wird ja nicht gesehen im Prinzip. Und ich weiß, dass ganz viele Kolleginnen ganz schlimm betroffen sind. Sie hungern und frieren und oft lieber, als zum Amt zu gehen, aus Angst vor Sanktionen.
Karkowsky: Fürs Publikum sind Schauspieler natürlich immer die glamourösen Stars, wie in "Reich und schön", das ist eine der Serien, die Sie synchronisiert haben …
Kenter-Götte: Die war mir auf den Leib geschrieben!
Karkowsky: Fällt es Schauspielern denn auch deshalb so schwer, die eigene Armut einzugestehen?
Kenter-Götte: Es ist natürlich nicht auftragsfördernd, wenn man sagt, ich hab kein Geld, ich bin arm, ich bin bei Hartz-IV, weil Arbeitslosengeld I bekommen wir ja fast alle nicht. Dann wird natürlich der Rückschluss gezogen – obwohl das völliger Blödsinn ist –, aha die hat nicht genug Aufträge. Aber es gibt einfach ganz wenige Frauenrollen.
Maria Furtwängler stellt am 12.07.2017 in Berlin die Studie "Audiovisuelle Diversität? - Geschlechterdarstellung in Film und Fernsehen in Deutschland" vor.
Die Schauspielerin Maria Furtwängler war Herausgeberin der Studie "Audiovisuelle Diversität?" über Geschlechterdarstellung in Film und Fernsehen in Deutschland. © picture alliance / Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/ZB
Es gibt viel weniger Frauenrollen als Männerrollen. Es gibt eine Studie, von der Maria Furtwängler in Auftrag gegeben, dass Frauen durch alle Genres und Formate erheblich unterrepräsentiert sind. Die Frauenrollen sind seltener, sie sind kleiner, sie sind schlechter bezahlt. Wenn man Kinder hat, führt das sowieso zu Auftrags- und Verdienstausfällen. Und, na ja, die Rollen sind auch nicht alle ganz toll.

Auch Kleinrollen für Frauen fehlen

Karkowsky: Gäbe es denn Möglichkeiten, den für viele ja trotzdem sehr attraktiven Beruf der Schauspielerin anders zu gestalten, also ihm sozusagen das Armutsrisiko zu nehmen?
Kenter-Götte: Das gäbe es sicherlich, weil in Amerika gab es auch eine Untersuchung, dass sogar Kleinrollen, also Postbote, Postbotin, da wird halt ein Postbote ins Drehbuch hineingeschrieben, obwohl schon zehn böse Buben in dem Film herumlaufen und nur eine zickige alte Mutter oder so was. Natürlich gäbe es diese Möglichkeit. Ich glaube nicht, dass das immer bewusst geschieht.
Ältere Frauen werden sowieso vaporisiert, und das Älterwerden fängt ja im Schauspielberuf schon mit 35 an. Bis 33 habe ich auch an Talent und Fleiß geglaubt, aber dann habe ich – nach der Babypause wollte ich wieder einsteigen, da war ich 33. Und da sagte mir ein entscheidungsbefugter Mann, na ja, das geht ja gerade noch, mit 35 kommen die harten Züge, und mit 40 kann man Frauen eh nicht mehr zeigen.
Karkowsky: Glauben Sie denn, es geht Schauspielerinnen hier schlechter als anderen, die von Hartz-IV bedroht sind?
Kenter-Götte: Das kann ich nicht sagen. Ich glaube, das Damokles-Schwert der Sanktionen hängt so furchtbar stark über allen. Vielleicht insofern noch schlechter, als es noch mehr den Beruf beeinträchtigt durch Rufschädigung. Und genau das, diese Beschämung, die von außen kommt und dann sich als Scham bei den Menschen wiederfindet, der wollte ich entgegenwirken und will ich entgegenwirken.

Hartz-VI-Grusical

Karkowsky: Nun wird heute in Berlin ein Preis verliehen an Schauspieler und Schauspielerinnen, die schon älter sind. Das ist ganz besonders Bedingung, an ältere Schauspieler und Schauspielerinnen, die sich um den Beruf verdient gemacht haben. Kann so was helfen, solche Preise?
Kenter-Götte: Auf alle Fälle, ja. Ich sehe ja immer wieder bei Wettbewerben für Autoren und Autorinnen zum Beispiel, Altersgrenze 25, Altersgrenze 35. Ich finde, jetzt müssten mal die Preise her, ab 60, ab 50, ab 70 – wunderbar!
Karkowsky: Sie haben das Thema ja auch auf die Bühne gehoben mit einem eigenen Hartz-VI-Grusical. Wie haben die Leute reagiert?
Kenter-Götte: Ich habe es als einen – ich konnte es damals nicht vermarkten, weil ich vom Jobcenter so gepeinigt wurde. Und danach habe ich mich verliebt und habe geheiratet und hatte auch keine Zeit. Es ist also noch nicht vermarktet, aber ich habe es als Ein-Frau-Stück auf die Bühne gebracht. Die Menschen waren immer sehr berührt, und ich merke das jetzt auch. Bei der Lesereise mit meinem Buch merke ich, dass die Menschen erschüttert sind, weil sie nicht wissen, was wirklich passiert. Das Buch ist jetzt zur Leipziger Buchmesse beim Verlag Neuer Weg erschienen, und ich bin damit auf Lesereise, und ich merke immer wieder, dass die Leute keine Ahnung haben, was da wirklich passiert.
Karkowsky: "Hearts Fear – Herzensfurcht", so heißt das Buch von der Schauspielerin und Autorin Bettina Kenter-Götte. Ihnen herzlichen Dank!
!!Kenter-Götte:! Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Karkowsky: Ihnen auch! Und wir sprachen mit ihr, weil heute Abend in Berlin der erste Götz-George-Preis verliehen wird für ältere Schauspielerinnen und Schauspieler. Vor 80 Jahren nämlich wurde Götz George geboren. Er starb, wie Sie wissen, am 19. Juni 2016.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Bettina Kenter-Götte, Heart's Fear. Hartz IV. Geschichten von Armut und Ausgrenzung, Verlag "Neuer Weg" 2018, 12 Euro.

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