Armenien-Resolution

"Ich wünsche mir, dass alle den Genozid anerkennen"

Armenier demonstrieren vor dem Konsulat der Türkei in Jerusalem und fordern, die Türkei möge den Völkermord an den Armeniern gestehen.
Armenier demonstrieren vor dem Konsulat der Türkei in Jerusalem und fordern, die Türkei möge den Völkermord an den Armeniern gestehen. © imago / ZUMA Press
Von Gesine Dornblüth · 01.06.2016
Mehrfach war der Antrag verschoben worden, auch aus Rücksicht auf die Türkei. Nun will der Bundestag die Vertreibung der Armenier während des Ersten Weltkriegs als Völkermord verurteilen. Viele Armenier warten darauf: Die Sehnsucht nach Anerkennung des Leids ist groß.
Der Schwalbenhügel am Rand von Eriwan: Ein 44 Meter hoher Dorn aus Granit sticht in den Himmel - die Genozid-Gedenkstätte. Mächtige Steinplatten bilden einen Kreis, neigen sich nach innen. Eine ewige Flamme lodert. Eine Besucherin hält inne, bekreuzigt sich.
"Ich denke an meinen Vater. Seine Mutter wurde umgebracht. Er ist in den Iran geflohen, sein Bruder nach Frankreich, seine Schwester nach Amerika. Stellen Sie sich das mal vor: Da ist eine ganze Familie verschwunden."
Maggie Jones lebt in England und in Armenien. Ihre Vorfahren stammen aus Kars in der heutigen Osttürkei.
"Es war so: Renn, wohin du kannst. Das war die einzige Möglichkeit, um zu überleben."
In der Dokumentationsstätte zeigen Schwarz-Weiß-Fotos das Grauen aus dem Jahr 1915: Stapel abgeschnittener Männerköpfe, nackte Körper, die an den Füßen von einer Brücke hängen.
"Viele Türken denken, das sei nie passiert. Was denken Sie? Gab es den Genozid oder nicht?"
"Ich wünsche mir Frieden, und dass alle den Genozid anerkennen."

"Große Mission" für den Bundestag

Maggy Jones spricht stellvertretend für die meisten Armenier. Die Sehnsucht nach Anerkennung des Leids ist groß. Und die Debatte rund um die Armenien-Resolution im Deutschen Bundestag wird dementsprechend aufmerksam verfolgt. Der Journalist Ashot Gasasjan:
"Die Zeitungen sind voll davon, und die Leute reden in der Küche darüber. Alle glauben, dass die Chancen für eine Anerkennung des Genozids durch den Deutschen Bundestag diesmal sehr hoch sind."
Der stellvertretende Vorsitzende des Parlaments von Armenien, Eduard Scharmasanow, sprach gar von einer "großen Mission", die der Deutsche Bundestag erfülle, sollte er den Genozid an den Armeniern und den anderen christlichen Völkern als solchen anerkennen. Nur, wenn die Welt den Genozid im Osmanischen Reich anerkenne, könne das neue Genozide verhindern.
Gegner der Bundestagsresolution argumentieren, die Anerkennung werde das Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien weiter belasten. Der Journalist Aschot Gasasjan lässt das nicht gelten.
"Das ist ein bisschen unehrlich. Die Bundestagsresolution kann die Kontakte zwischen Eriwan und Ankara schon deshalb nicht stören, weil es gar keine Kontakte gibt."
Die Grenze zwischen Armenien und der Türkei ist geschlossen. Die Türkei hat die diplomatischen Beziehungen zu Armenien vor mehr als 20 Jahren abgebrochen. Anlass war der Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Enklave Berg-Karabach. Die Türkei steht in der Karabach-Frage fest an der Seite Aserbaidschans.
Der Konflikt ist bis heute ungelöst und forderte erst vor wenigen Wochen Dutzende Tote. Der Karabach-Konflikt behindert die Annäherung zwischen Armenien und der Türkei mindestens ebenso wie der Streit um den Genozid.

Resolution ist "humaner und korrekter Schritt"

In Armenien wünschen sich viele Menschen trotzdem eine Aussöhnung mit der Türkei. Sie hoffen, dass der Deutsche Bundestag, wenn er die Genozid-Resolution annimmt, anschließend auch auf die türkische Regierung einwirkt. Nika Babajan ist da allerdings skeptisch. Der Musikmanager setzt sich für einen armenisch-türkischen zivilgesellschaftlichen Dialog ein.
"Wir wissen nicht, wie viele Resolutionen noch nötig sind, damit die Politiker in der Türkei zur Vernunft kommen und den Genozid auch anerkennen. Es erfordert großen Mut und Weisheit. Leider sehe ich das derzeit in der Türkei nicht."
Babajan fuhr 2010 mit einem armenischen Jugendorchester nach Istanbul. Gemeinsam mit türkischen Musikern gaben sie dort Konzerte. Für den Musikmanager der Beweis, das Aussöhnung möglich ist. Er unterstreicht:
"Die Resolution des Deutschen Bundestages ist weder proarmenisch noch antitürkisch, wie einige meinen. Sie ist einfach ein allgemein-menschlicher, humaner und korrekter Schritt."
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