Aristokratische Leidenschaften

Der Komponist Richard Strauss (1864-1949) in seinem Arbeitszimmer
Der Komponist Richard Strauss (1864-1949) in seinem Arbeitszimmer © picture-alliance / dpa / Tourismusverband München Oberbayern
Von Frieder Reininghaus · 17.06.2012
Die Oper "Der Rosenkavalier" eröffnet ein Gesellschaftspanorama aus dem Milieu der Wiener Aristokratie des 18. Jahrhunderts. Die Regisseurin Mariame Clément kommt in ihrer Straßburger Inszenierung ohne grobe Überformungen aus - und setzt auf eine akkurate Personenführung.
Angeregt von Molière und einer Idee Harry Graf Kesslers feierte Hugo von Hofmannsthal mit seinem "Rosenkavalier"-Libretto noch einmal Glanz und Erotik des habsburgischen Ständestaats. Mit der Musik von Richard Strauss (op. 59) wurde das janusköpfige Werk 1911 an der Hofoper Dresden uraufgeführt: Einerseits finden sich in ihm Innovationen der Stimm- und Orchesterbehandlung, die der Komponist mit den Partituren für "Salome" und "Elektra" im vorangegangenen Jahrzehnt entwickelte. Zugleich erfüllt eine tiefe Nostalgie das Werk, das im Jahr des Durchbruchs der Moderne und der durch Pionierwerke der Moderne ausgelösten Skandale fertiggestellt wurde.

Mariame Clément, eine Regisseurin mit teilweise orientalischen Wurzeln, hat zuletzt 2010 in Gent und Antwerpen Francesco Cavallis "Giasone" quicklebendig und mit Anspielungen auf heutige belgische Dekadenz inszeniert, dann 2011 in Wien Rameaus "Castor und Pollux" fast gänzlich ruhig gestellt. Nun ging es mit ihr und dem "Rosenkavalier" an der Opéra National du Rhin in Strasbourg neuerlich um Blütenduft, der den des Moders übertönt, beziehungsweise um die Dekadenz des Barons Ochs auf Lerchenau, die sich dynastisch als nicht fortsetzungsfähig erweist.

Vorhänge gestalten den Bühnenraum im alten Straßburger Stadttheater an der Place Broglie. Wenn der große Vorhang hochgeht, sieht man Vorhänge, wie sie in ältlichen Arztpraxen Patienten vor den Blicken anderer abschirmen. Und wenn dann der nächste Vorhang beiseite gezogen wird, dann sieht man, wie Marie Thérèse von Werdenberg, die Gattin des im fernen Kroatien jagenden Feldmarschalls, wie sie auf dem Boden mit Octavian Graf Rofrano die Liebe pflegt, einem 17-jährigen Fähnrich in der Legion der Liebhaber der Wiener Rokoko-Zeit.

Das erscheint recht ernüchternd. Nobel gerahmte Spiegel und Bilder des 18. Jahrhunderts zeigen sich ebenso wenig wie die Architekturpracht des gegenreformatorischen Barock oder die klassizistische Pracht eines Faninalschen Stadtpalais. Nur die Kostüme machen Anleihen bei der commedia dell'arte und erinnern an die Zeit vor der französischen Revolution.

Mariame Cléments Inszenierung kommt ohne grobe und heftige Überformungen aus. Mit akkurater Personenführung entwickelt diese Regisseurin die Geschichte der sich gegen das Altern stemmenden Aristokratin, die mutig oder aus Übermut ihren Lover als Brautwerber einsetzt für den Vetter von Lerchenau, einen alten Gecken, und mit ansehen muss, wie ihr Quinquin bei der schönen jungen Sophie andockt. Melanie Diener, von Kopf bis Fuß eine glaubhafte Marschallin, behält die Fäden bis zum Ende in der Hand und schlägt den ungeliebten Cousin in die Flucht (verliert durch die Intrige freilich auch den Liebsten).

Wolfgang Bankl gibt dabei einen distinguierten Ox auf Lerchenau mit hinreichend Anbindung ans Benehmen im rustikalen Österreich. Obwohl ihn voreingenommene Ohren im Publikum schlicht und unerklärlich für eine Fehlbesetzung hielten, machte er seinen Job ohne alles lächerliche Poltern sehr zu unserer vollsten Zufriedenheit - ausgerüstet mit sonorem und gerade auch in der Tiefe leicht geführtem Bass. Ein Glücksfall für die Produktion war Michaela Selinger - als junger Liebender wie als erotischer Konjunkturritter, und insbesondere als Mariandl beim grotesken Rendezvous im Vorstadtbeisel. Der Dirigent Marko Letonja bekam die Fäden zunehmend straff in die Hand und konnte dann auch das Orchester zu konzentrierter Arbeit anhalten.