ARD-Trilogie über NSU-Terror

"Wir gehören einer Generation an"

Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos
Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. © picture alliance / dpa / Foto: Frank Doebert
Filmregisseur Christian Schwochow im Gespräch mit Susanne Burg · 26.03.2016
Im ersten Teil der ARD-Trilogie zum NSU-Terror beleuchtet Regisseur Christian Schwochow die Perspektive der Täter. Er wolle sich Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos nähern wie Klassenkameraden, die man unterschätzt habe, erklärt Schwochow im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur.
Susanne Burg: 272 Verhandlungstage gab es bereits im NSU-Prozess, und je länger das Gerichtsverfahren dauert, desto beklemmender ist das, was da an Abgründen über die deutsche Nachwendezeit ans Tageslicht kommt. Bis Herbst 2016 wird sich der Prozess gegen die Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund wohl noch ziehen. Umso erstaunlicher, dass sich die ARD an dieses noch laufende Verfahren heranwagt, in Form einer Spielfilmtrilogie. Die drei Filme beleuchten drei verschiedene Perspektiven: die der Täter, der Opfer und der Ermittler. Los geht's am kommenden Mittwoch um 20.15 Uhr mit dem Film "Die Täter. Heute ist nicht alle Tage". Regie geführt hat Christian Schwochow, ein Regisseur, der sich in Filmen wie "Novemberkind", "Der Turm" oder "Bornholmer Straße" immer wieder deutscher Verhältnisse angenommen hat. Und er ist jetzt hier im Studio. Guten Tag!
Christian Schwochow: Guten Tag!

"Die Radikalisierung verstehen - die Zeit, vor Ort"

Burg: Herr Schwochow, nun beleuchten Sie also, wie sich der Nationalsozialistische Untergrund formiert hat. Sie erzählen alles aus der Perspektive der drei zentralen Figuren Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Wie schwierig war es für Sie, sich in die Köpfe dieser Täter einzudenken?
Schwochow: Zunächst muss ich sagen, als ich den Prozessbeginn mitbekam und alles, was da in der Öffentlichkeit zu sehen, zu hören, zu lesen war, war das auf der einen Seite sehr weit weg, und gleichzeitig kamen mir diese jungen Menschen auf eine merkwürdige Art und Weise vertraut vor. Die drei sind ein bisschen älter als ich. Ich bin '78 geboren, und ich hatte irgendwie das Gefühl, wir gehören einer Generation an und war wie elektrisiert von dem, was da so an die Öffentlichkeit kam, und dachte, als wir mit den Arbeiten an dem Film begannen, ich würde mich denen gern nähern wie Klassenkameraden, die man unterschätzt hat oder die man nicht richtig kennengelernt hat, denen man aber trotzdem sehr nahe ist.
Sich in die Köpfe von mutmaßlichen mehrfachen Mördern rein zu versetzen, das ist ganz schwer. Aber was ich versucht habe, ist rauszufinden, was haben die für eine Jugend gehabt, wo kommen die her, was sind das für familiäre Hintergründe, und wie entsteht eine derartig massive Radikalisierung? Und das, glaube ich, ist etwas, was man schon verstehen kann, wenn man sich die Zeit genau anguckt, den Ort genau anguckt, in dem Fall Jena der Nachwendezeit, und wenn man sich anguckt, mit welchen Mechanismen funktioniert so eine Szene, so eine Subkultur.

Spürbarer Riss in der Biografie

Burg: In einem Großteil Ihres Films geht es tatsächlich um die Jugend von vor allem Beate Zschäpe. Sie zeigen, wie sie schon als Schülerin in Jena ziemlich renitent ist, dann nicht so recht Arbeit findet, am Anfang auch mit der Neonaziszene fremdelt, aber schließlich doch mitmacht. Es ist ja doch bei der Neonaziszene, bei den Geschichten, die hierzulande erzählt werden, immer wieder ein ähnliches Narrativ: die Hoffnungslosigkeit der Nachwendezeit vor allem im Osten Deutschlands. Ist es ein Narrativ, das auch für die Geschichte von Beate Zschäpe zentral ist?
Schwochow: Na, ganz bestimmt. Also, man muss sich das ja so vorstellen: Der Fall der Mauer, der hat bei 17 Millionen Menschen, die damals in der DDR lebten, einen spürbaren Riss, eine spürbare Veränderung in der Biografie hinterlassen, und ich will das jetzt gar nicht werten, ob gut oder schlecht, das ist sehr individuell zu betrachten. Aber ganz klar ist, dass eine große Zeit der Verunsicherung bei vielen begann und auch für jemanden wie Beate Zschäpe – die war ja 14, als die Mauer fiel. Und man muss sich das schon überlegen, die Lehrer in den Schulen mussten von einem Tag auf den anderen irgendwie damit klarkommen, ein neues System zu unterrichten, ein altes war plötzlich nicht mehr existent.
Die Eltern dieser Teenager waren sehr mit sich beschäftigt und mit neuen Schwierigkeiten bei der Gestaltung des Alltags. Und diese jungen Leute, die waren ziemlich auf sich gestellt zum Teil, und das war natürlich eine Zeit, wo alle möglichen Sektierer und Seelenfänger schnell gemerkt haben, hier ist Nachwuchs, hier sind Leute, die sind anfällig, die suchen irgendwie nach neuen Familien, nach anderen Anbietern für Ideologie. Und das hat sicherlich auch bei Beate Zschäpe eine große Rolle gespielt, klar.

"Möchte den Zuschauer nicht in eine Sicherheitszone bringen"

Burg: Sie zeigen auch ausführlich dieses Gefühl des Zusammenhalts, die Partys, die gefeiert wurden mit sehr viel Alkohol. Sie zeigen darunter auch ein mehrminütiges rechtes Konzert mit ausführlichen Texten, in denen dann Zeilen vorkommen wie "Bomben in die Parlamente". Dazu kommt so eine Ohrwurmmelodie. Musste das in dieser Ausführlichkeit sein?
Schwochow: Ich finde, schon, weil ich möchte den Zuschauer nicht in so eine Sicherheitszone bringen, wo er sich auf der Couch zurücklehnt und sagt, ja, okay, so sind die Rechten, und das wusste ich ja eigentlich auch schon immer, und das ist alles, wie Sie sagen, nur mit Alkohol und alles dumpf. Das funktioniert in vielen Dingen viel subtiler, und die Wirkung von Musik in solchen Szenen, die darf man nicht unterschätzen. Dieser Sänger, von dem Sie sprechen, der singt ja fast in so einer lagerfeuerähnlichen Gitarren-Wohlfühlmusik. Das funktioniert wie Schlager.
Wenn man sich so ein Konzert mal anguckt, dann stellt man fest, wie das so eine Atmosphäre des Wohlfühlens, des Sich-verstanden-Fühlens, weil die Texte sehr oft das Unterdrücktsein, das Außenseitertum der jungen Leute beschreibt. Und da fühlen sie sich unheimlich gesehen und verstanden, und deswegen haben wir selber so eine Musik geschrieben und aufgenommen, um das begreifbar zu machen – was greift bei jungen Leuten, dass sie sich einer Szene so ausliefern und sich dort so zu Hause fühlen?
Der Regisseur Christian Schwochow im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur
© Deutschlandradio
Burg: Nun hat ja Beate Zschäpe in dem Prozess selbst hartnäckig geschwiegen bis zum Dezember 2015. Woher haben Sie diese Information über ihre Jugend gesammelt und auch ihr kompliziertes Verhältnis zu Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos?
Schwochow: Zum einen muss ich sagen, wir haben jetzt keinen Beate-Zschäpe-Biopic, wo wir eins zu eins uns an hundertprozentig belegbaren Fakten abgearbeitet haben. Wir haben sehr, sehr viel recherchiert. Wir haben sehr viele Leute getroffen aus Jena, die Teile der Szene waren. Es gibt eine ganze Menge Leute, die uns verschiedenste Aspekte und Puzzleteile geliefert haben, und wir haben die dann zu einer Fiktion verdichtet. Ich glaube, dass es mir in erster Linie darum ging, wahrhaftig zu sein und nicht nachzuerzählen, was war, sondern was gewesen sein konnte.

"Ganz offen rechtsradikale Positionen in der Politik"

Burg: Der Film ist ja nicht der erste, der sich auf Protagonisten mit rechter Gesinnung konzentriert. Wenn ich da an "Kriegerin" von David Wnendt denke oder auch an "Wir sind jung, wir sind stark" von Burhan Qurbani. Nun hat aber der NSU ja eine andere Dimension mit sich gebracht durch die vielen Morde, die sie verübt haben. Wie haben Sie sich diese Bereitschaft zur Gewalt hergeleitet zum Leben im Untergrund? Also wo kommt dann in der Biografie von Beate Zschäpe und ihren Kollegen, Kumpanen diese extreme Gewaltbereitschaft auch her?
Schwochow: Mein Film endet ja an dem Tag, wo die drei in den Untergrund verschwinden. Das heißt, ich werde mich hüten, jetzt eine ganz klare Antwort zu geben, warum sind diese drei den Weg gegangen, den andere nicht gehen, nämlich den des extremen Mordens. Das wäre zu einfach. Sondern ich beschreibe Mechanismen, wie extreme Gewaltbereitschaft entsteht auch in der Gruppe, wie auch ein gesellschaftliches Klima damals herrschte, wo die Gesellschaft, auch die Politik ganz offen rechtsradikale Positionen, ich würde es wirklich gern so nennen, rechtsradikale Positionen verteidigt hat. Und die Rhetorik auch einer damaligen Bundesregierung war teilweise sehr, sehr extrem. Ich erinnere um das Jahr 2000, kurz vorher, an einen Slogan der CDU, "Kinder statt Inder".
Und wenn man in so einer Zeit ein junger Mensch ist, dann kann man so was auch wirklich missverstehen und das Gefühl haben, eigentlich ist diese Art von extrem radikalem Denken und auch Handeln gesellschaftlich ein Stück weit akzeptiert. Und wir sehen das heute, wenn man sich anschaut, wie leicht eine Gruppe entsteht, die Brandsätze wirft. Wie das damals funktioniert hat in Rostock-Lichtenhagen, wo ja nicht nur Rechtsradikale, sondern wo die Bevölkerung geklatscht hat, wenn Einzelne Brandsätze werfen, und im Prinzip in Kauf genommen hat, dass Leute sterben, dann sind das eigentlich diese Dinge, die mich interessieren, und nicht die Morde der mutmaßlichen Einzeltäter.

Alle drei Teams haben eng zusammengearbeitet

Burg: Ist es auch deswegen, weswegen Sie dann im Jahr 2000 aufhören? Ich habe mich auch gefragt, ob es dann legal einfach, weil das ja noch ein laufender Prozess ist, einfach auch viel zu schwierig wird, da weiterzuerzählen?
Schwochow: Ja, und ich hätte da sozusagen in die reine Spekulation gehen müssen. Der Untergrund und wie diese Morde geplant und stattgefunden haben, das finde ich natürlich persönlich interessant, aber ich finde das andere viel wichtiger, weil es mit uns zu tun hat, weil es mit der Gesellschaft zu tun hat und wir uns nicht in diese Position des sicheren Zuschauers begeben können, sondern ich möchte eigentlich, dass man darüber nachdenkt, was hat das mit uns auch im Hier und Jetzt zu tun, dass so etwas entsteht. Und dann gibt es den dritten Teil von Florian Kossen, der sich mit der Perspektive der Ermittler beschäftigt und die Frage stellt, wie kann das sein, dass so eine Serie von unendlicher Gewalt und Morden so lange unaufgeklärt bleibt.
Burg: Sie haben ja gerade erwähnt, es gibt ja noch die zwei anderen Teile, und innerhalb der drei Filme gibt es auch immer wieder Bezüge auf die jeweils anderen Teile. Wie sehr haben Sie sich untereinander abgesprochen und auch die Drehbücher abgeglichen?
Schwochow: Getragen ist die Idee der ganzen Trilogie von unserer Produzentin, Gabriela Sperl, die das alles zusammengehalten hat. Wir kreativen Teams, sprich unsere Drehbuchautoren und wir drei Regisseure waren in enger Abstimmung miteinander und haben immer wieder auch gemeinsam mit der Produzentin, auch mit unseren Redakteuren in der ARD überlegt, welche Form wählen wir. Das war nicht sofort klar, dass die Filme sich berühren. Wir haben lange darüber nachgedacht, erzählen wir sozusagen wie aus einem Guss, nur aus drei verschiedenen Perspektiven, und haben dann aber schnell entschlossen, die Filme sollen künstlerisch und inhaltlich eigenständig sein.
Und dann gab es aber bestimmte Dinge, Berührungspunkte wie eben den Tag des Untertauchens, wo wir merkten, es wäre schon gut, wenn das in Teil drei auch eine Rolle spielt. Teil zwei, der die Perspektive der Opfer beleuchtet, natürlich der erste Mord an Envar Simsek, die zentrale Rolle, mit dem mein Film aufhört. Wir haben also ständig überlegt, wie sehr berühren sich die Filme oder wo grenzen sie sich auch voneinander ab. Es war ein ganz tolles Arbeiten miteinander, weil sich jeder frei und unabhängig fühlte, wir uns aber immer aufeinander bezogen haben.

"Natürlich haben wir uns juristisch sehr stark beraten lassen"

Burg: Wie haben Sie sich denn eigentlich legal abgesichert? Sie haben gesagt, das ist Fiktion, aber natürlich sind die Personen sehr nahe an lebenden Personen. Zentrale Fragen sind ja auch gerade beim Prozess: Wie viel wusste Beate Zschäpe wirklich von den Morden von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt? Wie nahe war zum Beispiel der Neonazi Tino Brand am NSU und an den Sprengstoffplänen dran. Das sind auch Themen, die Sie ja im Film behandeln, und da bewegt man sich natürlich legal dann auch ganz schnell auf schwierigem Terrain.
Schwochow: Das ist richtig. Natürlich haben wir uns juristisch sehr stark beraten lassen, jetzt auch bis zum Schluss. Aber noch mal: Mich hat nicht so sehr interessiert, das jetzt zu beantworten, was im Prozess gerade versucht wird, wo es konkret um die Straftaten geht, sondern mich hat der Weg dahin interessiert, und deswegen habe ich auch mit der Freiheit der Kunst und mit dem, was ich glaube, wie ich die Dinge interpretiere, was stattgefunden hat, bevor es zu den Morden kam, das hat für mich immer den größeren Raum und die größere Wichtigkeit eingenommen, und deswegen war das auch juristisch freier.
Burg: Sehr selektiv gezeigt. Es gab offensichtlich auch die Angst davor, dass Menschen den Film stoppen, weil sie sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen könnten.
Schwochow: Mit so einer Befürchtung muss man – die ist Teil von dem Prozess, wenn man so einen Film macht, vor allem einen Film macht, der angreift und der provoziert und der versucht, mehr als nur einen Finger in Wunden zu legen. Da haben Sie vollkommen recht. Und deswegen haben wir entschieden, genau zu schauen, wann zeigt man den Film. Ich muss aber auch sagen, die Filme sind erst sehr spät fertig geworden, weil wir sind sozusagen ja ziemlich direkt am Zeitgeschehen dran, und deswegen hat das jetzt nicht die normalen Vorläufe, wo ein Film ganz in Ruhe fertig gemacht wird. Wir haben die Filme letztes Jahr erst gedreht, Florian Costens dritter Teil ist erst im Herbst entstanden, kurz vor Weihnachten sind die Dreharbeiten abgeschlossen worden. Auch ich habe bis jetzt, kurz nach der Berlinale, an meinem Film gearbeitet, und insofern war das ein bisschen die logische Konsequenz, dass wir es nur sehr selektiv zeigen konnten.

Der Zuschauer soll merken: das sind auch wir

Burg: Ja. Und wenn Florian Cossens Teil läuft, ist auch gerade dann wieder mal NSU-Untersuchungsausschuss in Thüringen. Also, es ist ja wirklich gerade ein aktueller Prozess, der stattfindet.
Schwochow: Genau. Man kann sich auch fragen, ist das denn gut, wenn man das so schnell macht und bevor nicht der Prozess beendet ist. Aber a) Sie sagten, das Prozessende ist für diesen Herbst angesetzt. Man kann das auch noch mal in Frage stellen, ob das wirklich bis zum Herbst beendet sein wird. Und wir finden von Anfang an, dass das eben nichts ist, wo man sich in die sichere Position so fünf Jahre später, wo alles schön geordnet ist, dass man es dann erzählen soll, sondern es hat im Moment mit dem Zustand des Landes sehr viel zu tun. Es hat mit unserer Gesellschaft zu tun, mit der Aggressivität in unserer Gesellschaft, mit dem Rassismus und mit einer ziemlichen Verrohung auch. Und wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut, die sicherlich jetzt keine so große Überraschung sind, dann finde ich, je früher, desto besser. Wir müssen uns mit uns auseinandersetzen, und das ist eben, was wir in der Trilogie versuchen: Ein Gesellschaftspanorama aufzuwerfen, wo der Zuschauer merkt, das sind auch wir. Wir haben damit zu tun, und es geht jetzt nicht um die Mordserie dreier einzelner Wahnsinniger.
Burg: "Mitten in Deutschland. NSU", so heißt der Dreiteiler, den das Erste ab Mittwoch zeigt. Um 20:15 Uhr geht es los, und es geht los mit der Perspektive der Täter. Regie geführt hat bei diesem Film Christian Schwochow. Herzlichen Dank!
Schwochow: Danke Ihnen!
Burg: Und was unser Kritiker Hendrik Efert zu der Trilogie sagt, das können Sie am Mittwoch um 8:20 Uhr hier im Programm von Deutschlandradio Kultur hören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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