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Venedig
Klimt-Gemälde soll Haushalt retten

Venedigs Bürgermeister kommt nicht aus den Schlagzeilen. Erst verbietet er Schwulenparaden in seiner Stadt, nun erklärte er, er erwäge, einige der bekanntesten Kunstwerke aus dem venezianischen Museum für moderne Kunst versteigern zu lassen. Mit den Erlösen will er die Schulden die Stadt begleichen.

Von Thomas Migge | 20.10.2015
    Der Canale Grande in Venedig, Italien
    Der Canale Grande in Venedig, Italien (picture alliance / dpa /Jonathan Hayward )
    "Er brachte die Moderne nach Venedig. Als er seine Werke hier zeigte, 1910 bei der Biennale, reagierten die meisten Venezianer schockiert. Einige lächelten über diese Malweise, andere waren verärgert. Trotzdem kauften die damaligen Stadtväter eines seiner herausragendsten Werke, die ‚Judith', gemalt 1909, und heute im Museum Ca Pesaro. Die politisch Verantwortlichen zeigten sich damals wirklich weltoffen."
    Ganz anders als der heutige Bürgermeister Gabriella Belli ist Direktorin der städtischen Museen von Venedig. Sie kann es kaum fassen, dass Bürgermeister Luigi Brugnaro verkündet hat, städtische Kunstwerke zu verkaufen - Signora Belli sagt "verscherbeln"- um die leeren Stadtkassen zu füllen. Eines der Kunstwerke, die Brugnaro meistbietend abgeben will, ist Gustav Klimts "Judith II". Ein Gemälde, das sich von Klimts erster Version der "Judith" aus dem Jahre 1901 stilistisch wesentlich unterscheidet: In der zweiten Version zeigt der Maler den Körper seiner Protagonistin komplett, und nicht nur wie in der ersten Version bis zur Hüfte. Stilistisch stehen bei "Judith II" die Jugendstilelemente deutlicher im Vordergrund als bei "Judith I". Aus diesem Grund sehen viele Kunsthistoriker, auch Gabriella Belli, in diesem zweiten Judithbild ein perfektes Beispiel für Klimts stilistische Evolution. Und gerade deshalb ist Belli nicht die Einzige, die angesichts der Idee ausgerechnet dieses Bild zu verkaufen entsetzt ist. Viele andere Kunsthistoriker sind ebenso empört, und natürlich auch der Kulturminister in Rom. Massimo Cacciari hingegen, Philosoph und Ex-Bürgermeister von Venedig, scheint Brugnaros Vorstoß nicht ernst zu nehmen:
    "Das sind doch Dummheiten. So was sagt er, um in die Medien zu kommen. Ein Bürgermeister wird danach beurteilt, was er tatsächlich tut und nicht welchen Blödsinn er redet."
    Genug Gemälde gibt es
    Doch Brugnaro scheint es nicht nur um mehr Aufmerksamkeit in den Medien zu gehen: In diesem Jahr muss Venedig mindestens weitere 60 Millionen Euro an neuen Krediten aufnehmen. Zu viele Schulden, meint der Bürgermeister, die zu immer höheren Zinszahlungen führen. Und so setzt Brugnaro, der auch ein erfolgreicher Unternehmer ist, alles daran, die Schulden zu senken. Aber woher nehmen wenn nicht stehlen? Und so hatte er die seiner Meinung nach "glänzende" Idee, städtische Kunst zu verkaufen. Genug davon gibt es ja in den 11 städtischen Museen, die auf über 40.000 Quadratmetern über 200.000 Kunstwerke aus zehn Jahrhunderten ausstellen. Neben Klimts "Judith II" sollen auch einige andere prominente Gemälde meistbietend den Eigentümer wechseln: darunter das Chagallbild "Der Rabbiner von Vitebsk" aus dem Jahr 1922.
    Bürgermeister Brugnaro will mit der geplanten Verkaufsaktion einen Präzedenzfall schaffen:
    "Ich glaube, dass ich viele Leute enttäusche, wenn ich solche Maßnahmen ergreife. Ein Bürgermeister kann aber nicht akzeptieren, dass seine Stadt vor Kunst überquillt und es nicht genug Geld für Kindergärten, Krankenhäuser, Schulen etc. gibt. Ich bin Bürgermeister nicht für Kunstwerke, sondern für meine Bürger."
    So spricht Venedigs erster Bürger sicherlich nicht wenigen Kollegen in anderen Städten aus dem Herzen, wenn er der Fülle an Kunst im Besitz der meisten italienischen Kommunen die leeren kommunalen Kassen gegenüberstellt.
    Prüfung des Verkaufs läuft
    Während Kulturminister Dario Franceschini derzeit prüfen lässt, ob es überhaupt eine gesetzliche Grundlage zum Verkauf von Kunst durch die Kommunen in Italien gibt, würden andere Stadtväter nur zu gern dasselbe tun und ein bisschen städtische Kunst zu Geld zu machen. Manche sagen es auch nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Zum Beispiel Massimo Cialente, Bürgermeister von l'Aquila. Anstatt die Kunstwerke in Magazinen "vergammeln" zu lassen, erklärte vor Kurzem der Bürgermeister der 2009 von einem verheerenden Erdbeben heimgesuchten Stadt, könne man doch wenigstens einige von ihnen verkaufen: L'Aquila braucht dringend Geld, denn der Staat kümmert sich nur zögerlich um den Wiederaufbau der Stadt.
    Tatsache ist - ob man das gut findet oder nicht - dass Venedigs Bürgermeister einen politisch unkorrekten Denkanstoß gegeben hat, der in Italien mitnichten nur Empörung und Ablehnung hervorruft. Bleibt abzuwarten, ob es tatsächlich zum Verkauf kommt oder ob der Staat doch die Mittel hat, Brugnaros Verkaufsaktion von Klimt und Co. zu vereiteln. Venedigs Bürgermeister erklärte allerdings bereits, dass er sich von keinem "fernen" römischen Minister oder sonst wem irgendetwas verbieten lassen werde.