Donnerstag, 18. April 2024

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70 Jahre Volksrepublik China
"Einschüchterung, Willkür und Zensur sind allgegenwärtig"

China entwickele sich vom autoritären zum totalitären System, sagte die Grünen-Politikerin Margarete Bause von der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe im Dlf. Das Land habe Interesse an guten wirtschaftlichen Kontakten zu Deutschland und Europa - Grundlage müssten aber die Menschenrechte sein.

Margarete Bause im Gespräch mit Mario Dobovisek | 01.10.2019
Margarete Bause ist Grünen-Bundestagsabgeordnete
China lehnte die Einreise der Menschenrechtspolitikerin Margarete Bause ab, mutmaßlich weil diese sich für die muslimische Minderheit der Uiguren eingesetzt hatte (dpa / ZUMA Wire)
Mario Dobovisek: 70 Jahre Gründung der Volksrepublik China – da gibt es dunkle Kapitel in dieser Geschichte, gerade mit Blick auf die Menschenrechte. Aber 70 Jahre Volksrepublik bedeuten auch einen bisher kaum da gewesenen Wirtschaftsaufstieg. Kurz vor der Sendung habe ich mit Margarete Bause gesprochen, für die Grünen im Bundestag, dort Menschenrechtspolitikerin und stellvertretende Vorsitzende der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe. – Vom Arbeiter- zum Bauernstaat und vom Bauernstaat zum hochentwickelten Industrieland. Ich habe Margarete Bause deshalb gefragt, ob sie sich mit den Chinesen auch mitfreuen kann.
Margarete Bause: Ich kann mich nicht wirklich freuen und ich glaube auch, dass sich nicht alle Chinesinnen und Chinesen freuen werden und freuen können, weil China in den letzten Jahren einen Weg von einem autoritären System zu einem totalitären System eingeschlagen hat und weil die Unterdrückung und Einschüchterung und Furcht allgegenwärtig ist, die Willkür allgegenwärtig ist, die Zensur allgegenwärtig ist. Das heißt: Der Preis für diesen durchaus auch erwähnenswerten wirtschaftlichen Erfolg ist ein zu großer, weil er auf der Unterdrückung von sehr, sehr vielen Menschen basiert.
"China hat die allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschrieben"
Dobovisek: Hat aber hunderte Millionen Chinesen aus der Armut geholt.
Bause: Das ist richtig. Das muss man auch anerkennen. Auf der anderen Seite kann das keine Entschuldigung dafür sein, mit welchen Mitteln China vorgeht, und deswegen muss es auch an uns sein, gerade die Interessen der Unterdrückten, derjenigen, auf deren Schultern im Grunde diese Leistung liegt, deren Interessen auch in Deutschland und auch weltweit anzusprechen.
Dobovisek: Wer mit und nicht gegen China arbeiten will, muss zwischen wirtschaftlichen Interessen und den eigenen wirtschaftlichen Interessen und berechtigter Kritik an Menschenrechtsverletzungen eine Balance finden, einen Kompromiss, einen Spagat. Gelingt das der Bundesregierung? Gelingt das der Kanzlerin?
Bause: Ich finde, wir müssen nicht einen Kompromiss finden, weil Menschenrechte gelten weltweit. Auch China hat die allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterschrieben. Dieser Grundlage sind wir alle verpflichtet und deswegen geht es darum, wirtschaftliche Entwicklung, wirtschaftliche Kooperation auf der Grundlage unserer gemeinsamen Standards, auf der Grundlage der weltweit gültigen Menschenrechte voranzutreiben, und nicht da irgendwelche schalen oder schwierigen Kompromisse zu finden.
Dobovisek: Was bedeutet das für die aktuelle China-Politik, zum Beispiel auch mit Blick nach Hongkong?
Bause: Das bedeutet, dass zuerst natürlich auch die Menschenrechtsverletzungen, die Unterdrückung, die Missachtung von Rechtsstaatlichkeit, die Einschüchterung, all das angesprochen werden muss, und nicht nur hinter den Kulissen, sondern wirklich auch öffentlich angesprochen werden muss.
"Kanzlerin Merkel ist nicht nach Hongkong gefahren"
Dobovisek: Aber es wird doch angesprochen.
Bause: Kanzlerin Merkel spricht das an. Das ist richtig. Aber sie ist zum Beispiel nicht nach Hongkong gefahren, was natürlich auch ein sehr, sehr klares und deutliches Zeichen der Unterstützung der Demokratiebewegung und der Rechtsstaatlichkeit ist. Ich denke, da ist durchaus noch Luft nach oben. Ich bin dankbar, dass Kanzlerin Merkel dieses Thema immer wieder auf die Agenda setzt, aber ich glaube, es braucht mehr. Es braucht wirklich eine konsistente China-Strategie in Deutschland, aber auch in Europa, dass es nicht zwischen Menschenrechten und Wirtschaftsinteressen unterschieden wird, sondern dass die Menschenrechte die Grundlage sind, auf der unsere Wirtschaftsinteressen dann verfolgt werden können.
Dobovisek: Sie sollten ja selbst Ende August Teil einer Delegationsreise des Digitalausschusses des Bundestages nach China sein. Peking lehnte Ihre Einreise ab, Frau Bause. Offenbar, weil Sie sich für die muslimische Minderheit der Uiguren eingesetzt hatten. Ist das aber nicht genau die Gefahr, dass auf diese Weise auch jeder Dialog dann abgebrochen wird?
Bause: Die Gefahr bestünde nur dann, wenn wir uns wirklich auseinanderdividieren ließen. Es muss hier eine gemeinsame Linie geben, dass Peking nicht damit durchkommt, bestimmte Einzelpersonen rauszupicken und die auf die schwarze Liste zu setzen, oder bestimmte Länder rauszupicken und denen mit Gesprächsverweigerungen oder Sanktionen oder was auch immer zu drohen, sondern wir müssen gemeinsam vorgehen, gemeinsam als Bundestag, gemeinsam als Deutschland, aber (noch sehr viel wichtiger) gemeinsam als Europa. Die Teile-und-Herrsche-Politik, die China praktiziert, um zu spalten, um die eigenen Interessen durchzusetzen, die darf nicht auf fruchtbaren Boden fallen.
"Zu einer gemeinsamen europäischen China-Strategie finden"
Dobovisek: Aber ist dieses gemeinsame Vorgehen gerade auf europäischer oder sogar globaler Ebene nicht unrealistisch, wenn wir uns die vielen unterschiedlichen Interessen ansehen?
Bause: Ich glaube, dass auf lange Sicht es eine Interessensgemeinsamkeit der europäischen Länder durchaus gibt, weil die Länder, die sich jetzt bezirzen lassen, auch von versprochenen Investitionen im Rahmen der "Belt and Road"-Initiative ...
Dobovisek: Zum Beispiel welche?
Bause: … zum Beispiel osteuropäische Länder, Griechenland, aber auch Italien, die werden sehr schnell auch die Abhängigkeit spüren, weil China macht das ja alles nicht nur aus Menschenfreundlichkeit, sondern sie versuchen natürlich, damit Abhängigkeiten herzustellen, damit politischen Einfluss zu ermöglichen und damit auch die Standards zu setzen und ihre Interessen durchzusetzen. Deswegen ist es in unser aller europäischem Interesse, wenn wir zu einer gemeinsamen europäischen China-Strategie finden, weil die Abhängigkeiten, die China aufbaut, die werden uns sehr, sehr schnell auf die Füße fallen. Die fallen zum Teil auch schon den Ländern auf die Füße und deswegen, glaube ich, ist es wichtiger denn je, dass wir mit einer gemeinsamen europäischen Stimme gegenüber China auftreten. Die Grundlage dieses Auftretens müssen unsere europäischen Werte sein und unsere gemeinsamen europäischen Standards sein.
Dobovisek: Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass China gefährlich sein kann mit all seinen militärischen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, heute wieder präsentiert auf der großen Militärparade bis hin zur großen Atomrakete. Und auf der anderen Seite die wirtschaftliche Macht. Noch einmal die Frage in die Richtung: Wie soll da ein Spagat gelingen, ohne jeweils die große Konfrontation zu suchen?
Bause: Ich glaube, wir können und sollten deutlich selbstbewusster auftreten gegenüber China. Vieles, was bei uns diskutiert wird, wir haben keine Möglichkeiten und wir sind eh schon so abhängig, das ist natürlich das chinesische Narrativ. China hat selber ein großes Interesse an guten wirtschaftlichen Kontakten, auch sonst guten Kontakten zu Deutschland, zu Europa, und dieses Pfund sollten wir nicht einfach verspielen.
China habe großes Interesse an Kontakten zu Europa
Dobovisek: Und trotzdem kommt es zu einer großen massiven Konfrontation zum Beispiel im Handelskrieg mit den USA.
Bause: Ja, und da braucht es umso mehr ein gemeinsames europäisches Auftreten, weil natürlich gerade angesichts des Handelskrieges mit den USA China ein großes Interesse hat, seine Kontakte, seine Wirtschaft, seinen Handel zu Europa auszubauen. Das ist natürlich auch unsere Stärke. Europa ist ein großer Wirtschaftsraum, ein starker Wirtschaftsraum, und wir sollten uns dieser Stärke bewusst sein und wir sollten diese Stärke auch nicht verspielen, indem Chinas Strategie aufgeht, dass sie uns gegeneinander ausspielen. Das heißt: Umso wichtiger eine gemeinsame europäische Industriepolitik, eine gemeinsame europäische Digitalpolitik gegenüber China, wo China nicht die Standards diktiert, sondern wo unsere europäischen Standards gelten.
Dobovisek: Und warum gelingt das in Europa nicht?
Bause: Weil ich glaube, dass einige Länder immer noch meinen, sie hätten einen kurzfristigen Vorteil, wenn sie bilaterale Vereinbarungen mit China schließen. Aber ich sehe auch durchaus eine größere Vorsicht gegenüber China, weil auch deutlich wird, womit dieser kurzfristige Vorteil erkauft wird. Ich sehe heftige Diskussionen auch im Europäischen Parlament, die ja zu gemeinsamen Resolutionen zum Beispiel letzte Woche im Zusammenhang mit Hongkong gekommen sind. Ich sehe da auf der einen Seite einen größeren Realitätssinn auch in vielen Ländern. Ich sehe auch, dass die Wirtschaft merkt, dass es eine Systemkonkurrenz ist und dass sie sehr vorsichtig sein müssen bei den Kooperationen. Von daher sind das für mich auch Zeichen der Hoffnung und es ist wichtig, dass Deutschland hier auch vorangeht bei der Suche oder bei dem Ringen um eine gemeinsame europäische Position, bei einem gemeinsamen europäischen Auftreten. Deutschland und Frankreich sind da der Kern und das erwarte ich mir auch von der Kanzlerin und von der Bundesregierung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.