Architektur

Wegweisender Baumeister

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Der niederländische Architekt Rem Koolhaas. © picture alliance / dpa
Von Klaus Englert · 17.11.2014
Seine Bauten sind unverwechselbar und spiegeln die Spannungen und Widersprüche eines Ortes: Rem Koolhaas ist der wohl wichtigste Vertreter moderner Architektur. Mit 70 denkt er noch lange nicht ans Aufhören.
Das Rotterdamer "Office of Metropolitan Architecture" (OMA) von Rem Koolhaas gilt weltweit als Kaderschmiede für aufstrebende Architekten. Aus fernen Ländern kommen frisch Diplomierte, um einen der heiß begehrten Praktikumsstellen bei OMA zu ergattern. Kaum jemand unter den weltweiten Architekten-Stars hat seine Gesellenjahre nicht bei Rem Koolhaas verbracht. Dabei erwartet niemand eine entspannte Büro-Atmosphäre. Tatsächlich überträgt sich der rüde Charme der angrenzenden, breiten Verkehrsschneise auf das Großraumbüro von OMA.
Rem Koolhaas stört das nicht. Er sieht darin kreatives Chaos, von dem er sich inspirieren lässt:
"Es sind hier so viele Geheimnisse verborgen, so viele Dinge, die sich unserem Verstehen entziehen. Das alles sind Latenzen, die geborgen und gestaltet werden müssten."
Rem Koolhaas liebt keineswegs die glatten, spiegelnden Oberflächen, die properen Bürotürme und banalen signature buildings in den neuen blühenden Stadtlandschaften.
Widersprüche des Stadtraums
Vielmehr zeigt sich Koolhaas immer wieder offen für Diskrepanzen und Widersprüche im Stadtraum. Offen für unerwartete architektonische Herausforderungen. Das macht seine Bauwerke singulär und unverwechselbar.
Als Koolhaas vor zwölf Jahren in Essen dazu eingeladen wurde, sich produktiv mit dem Weltkulturerbe Zeche Zollverein auseinanderzusetzen, war er fasziniert von der menschenabweisenden Maschine Kohlenwäsche. In die riesige Maschine implantierte er die moderne Ausstellungsarchitektur des Ruhr-Museums:
"Wir installierten in das Gebäude ein Museumsprogramm. Dabei entstand eine Konfrontation, eine kreative Spannung zwischen beidem. Das ist interessanter als eine konsumistische, nostalgische Haltung zur Vergangenheit."
Rem Koolhaas, der seine Kindheit in Jakarta verbrachte, hatte schon immer einen offenen Horizont. Als Architekt ist er andauernd unterwegs zu den zahlreichen Projekten, die gerade in Asien, Amerika oder Europa gebaut werden. Dabei versteht er sich als jemand, der beständig über den Tellerrand seiner Disziplin hinausschaut: Als Drehbuchautor, Urbanist, Architekturtheoretiker, Harvard-Professor, Schriftsteller und Biennale-Kurator hat er so manches Dogma umgestoßen und den Weg in neue Denkgefilde geebnet. Seine Kritik an der eigenen Disziplin hat er immer wieder herausgestellt:
"Mir geht es nicht allein darum, die gegenwärtigen Bedingungen zu verstehen. Ich möchte den Architektenberuf neu erfinden, ihm einen neuen Begriffsapparat zur Verfügung stellen, ein neues Vokabular, um die Verhältnisse besser verstehen zu können."
Für seine Architektur, welche die Spannungen und Widersprüche eines Ortes zu bündeln scheint, aber auch für seine denkerischen Vorstöße ins Neuland dürfte Koolhaas bislang alle wichtigen Preise erhalten haben, die in der Architektur zu vergeben sind.
Großprojekte überall auf der Welt
Seit Ende der neunziger Jahre läuft die Maschine Rem Koolhaas auf Hochtouren. Ein Ende ist bei dem sportlich durchtrainierten Siebzigjährigen nicht absehbar.
Momentan pendelt der kosmopolitische Niederländer weltweit zwischen einem guten Dutzend Projekte hin und her: Beispielsweise baut er im Moskauer Gorki-Park eine Ausstellungshalle, in Washington eine grüne Brückenlandschaft und in Berlin den Axel Springer Campus.
Und immer wieder zieht es Koolhaas ins geliebte New York, wo er sich derzeit an der Regierungsinitiative "Rebuild by Design" beteiligt. Das Motto dieser neuen Herausforderung lautet: Katastrophenschutz nach den Verwüstungen durch Hurrikan Sandy. Der 70-jährige Koolhaas scheint sich an die Zeilen zu erinnern, die er einst als junger Architekt schrieb, als er vom kollektiven Aufbau Manhattans an der Schwelle zum 20. Jahrhundert schwärmte.
"Manhattan verwandelte sich in ein Laboratorium, um die Potentiale modernen Lebens in einem radikalen, kollektiven Akt experimentell zu realisieren. Ein freier Zusammenschluss aus Projektentwicklern, Visionären, Schriftstellern, Architekten transformierte die Stadt in eine radikale und lebendige demokratische Maschine und machte alle Neuankömmlinge zu New Yorker."
Nachdenken über die öffentliche Rolle der Architektur
Faszination für das Potenzial von Architektur, Leidenschaft für einen Neuanfang ist Rem Koolhaas geblieben. Deswegen veröffentlichte er kürzlich "Das Projekt Japan", ein faszinierendes Buch über den kollektiven Aufbruch der Metabolisten, der japanischen Avantgarde der sechziger Jahre. Nostalgie würde sich Rem Koolhaas verbieten. Aber eine Spur Melancholie ist dennoch herauszuhören:
"Der Metabolismus war die letzte Bewegung, in der die Architektur eine öffentliche Rolle innehatte. Außerdem gab es einen engen Kontakt zwischen Regierung und Architekten, um ein nationales Projekt zu verwirklichen. Zwar verändern wir noch heute die Welt, indem wir neue Technologien erschaffen. Doch der mit diesen Zielen verbundene Optimismus ist verflogen."
Rem Koolhaas verspürt kein bisschen Müdigkeit. Wahrscheinlich setzt er sich morgen wieder in den Flieger, um neuen Orten, neuen Projekten entgegenzusteuern.
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