Architektur und Erinnerung

Gabi Dolff-Bonekämper im Gespräch mit Hanns Ostermann · 06.09.2013
Am Sonntag ist "Tag des offenen Denkmals" - das Motto: "Jenseits des Guten und Schönen". Es sei wichtig, unbequeme Denkmale zu behalten, um nicht zu vergessen, dass "Geschichte tatsächlich stattgefunden hat", erklärt Gabi Dolff-Bonekämper, Professorin für Denkmalpflege.
Hanns Ostermann: Bunker oder Industrieanlagen gehören dazu, vor allem auch Relikte aus der Nazi-Zeit. Am Sonntag wird bundesweit zum "Tag des offenen Denkmals" eingeladen. Diesmal ist das Motto ein ganz besonderes: "Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?".

Allein das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, das frühere Heim der Hitler-Jugend in Stuttgart, oder auch das zum Teil zerstörte Frauen-KZ Ravensbrück sind nur drei Beispiele, wie beklemmend Geschichte auch heute noch erfahrbar ist.

Wie wichtig sind diese Denkmale? Was dürfen sie uns kosten? - Darüber habe ich mit Gabi Dolff-Bonekämper gesprochen, sie ist Professorin für Denkmalpflege an der Technischen Universität in Berlin.

Meine erste Frage an sie: Welches unangenehme Denkmal würden Sie "empfehlen", um dem Motto des Sonntags gerecht zu werden?

Gabi Dolff-Bonekämper: Ein richtig unangenehmes Denkmal - da stellen Sie mir eine interessante Frage, weil natürlich ist auch Berlin voll mit unangenehmen Denkmalen. Aber in Berlin sind schon so viele so intensiv bearbeitet, dass sie dann durch intensive Zuwendung, Deutung und Auseinandersetzung schon gar nicht mehr so unangenehm sind, weil man stolz darauf ist, sie bearbeitet zu haben. Das ist interessant, weil es letztlich dann zeigt, dass das unangenehm sein ein vorübergehender Status des Denkmals oder auch ein langwieriger sein kann und nicht unbedingt nur damit abhängt, wie fies es ist.

Ostermann: Dann setzen wir uns mal kurz ins Auto und fahren nach Nürnberg. Das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, ist das aus Ihrer Sicht ein unbequemes Denkmal?

Dolff-Bonekämper: Oh, enorm, gerade und aus verschiedenen Gründen, weil wir könnten jetzt nicht sagen, die Architekturen wären besonders fies, wenn Sie den Ausdruck gestatten wollen, weil die sind ja besonders prächtig gemeint und die könnten einen natürlich dann auf andere Weise besonders ärgern, nicht wegen Hässlichkeit, sondern weil sie den Ort besetzen mit der Erinnerung an ein Regime, an das man nicht so gern erinnert. Und dass sie dann auch noch so groß sind und so viel Raum einnehmen und ein ganzes Gelände damit blockieren, das könnte man auch als unangenehm betrachten.

Ostermann: Der Erhalt dieses Geländes kostet viel, viel Geld. Wenn jemand sagt, warum reißt man diese monströsen Gebäude und Anlagen nicht einfach ab, was würden Sie antworten?
Hitler nimmt eine Parade des Reichsarbeitsdienstes auf dem Zeppelin-Feld in Nürnberg ab, 7.9.1938
Adolf Hitler nimmt im Jahr 1938 eine Parade auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg ab.© AP Archiv
"Die räumliche Inszenierung"
Dolff-Bonekämper: Auf keinen Fall! Auf keinen Fall abreißen, weil damit wird man zwar das Gebäude los, aber nicht die Geschichte. Deswegen ist es unendlich viel wichtiger, die Gebäude zu behalten, um nicht zu vergessen, dass die Geschichte tatsächlich stattgefunden hat dort in Nürnberg und wie sie stattgefunden hat. Und wie die räumliche Inszenierung gewesen ist, das kann man tatsächlich auch nur im Raum erfahren, und gerade für die Reichsparteitage in Nürnberg war die räumliche Inszenierung ja extrem wichtig, weil es da ja um eine Choreographie und um Bewegung und um Stillstand ging und das alles für große Massen, und insofern war gerade die Raumhaltigkeit der gesamten Nazi-Aufmärsche ja prägend für das ganze Regime.

Ostermann: Aber ließe man die Gebäude einstürzen, könnte das auch als Zeichen dafür gesehen werden, dass Ideologien sehr brüchig sind.

Dolff-Bonekämper: Na ja, eingestürzte Gebäude werden dann irgendwann zu Gefahrenquellen und dann werden sie zu den sogenannten verborgenen Orten und werden attraktiv für Stadtpioniere. Dann irgendwann sind sie nur noch ein Schutthaufen und dann kann man nicht mehr wirklich erkennen, welche strukturierende Wirkung sie auf den Raum hatten. Im Einzelfall ist es durchaus auch denkbar und ist auch schon gemacht worden, dass man Gebäude verfallen lässt, kontrolliert verfallen lässt, um Gefahren abzuwehren. Aber in Nürnberg fände ich das unangemessen.

Ostermann: Jetzt haben wir über unangenehme Denkmale gesprochen, die insbesondere historisch belastet sind. Welche anderen unangenehmen Denkmäler fallen Ihnen ein?

Dolff-Bonekämper: Das ist eine gute Frage, weil unangenehm ist ja immer eine Frage der Empfindung und wer empfindet was als unangenehm. Da gibt es die Geschichten der Geschmacksurteile, die sich bekanntlich stets wandeln, und da wird dann etwas als unangenehm empfunden, weil es eventuell zu nah ist in der Stilgeschichte und eventuell noch mit unangenehmen Erinnerungen an eigene biographische Fakten verbunden ist, wie lange Zeit die Architektur der 60er, sogar der 50er-Jahre und jetzt der 70er.

Aber das unterwirft sich sozusagen dem stets im Fortschreiten begriffenen Geschmacksurteil von Fachwelten und auch von großem Publika. Da, würde ich sagen, kann man selten irgendwas als dauerhaft unangenehm bezeichnen. Eigentlich sind vor allen Dingen die unbequemen Baudenkmale diejenigen, die einen erinnern oder Ereignisse evozieren, die die meisten Menschen nicht so gerne vor sich sehen. So empfinde ich den Begriff.

Ostermann: In Deutschland gibt es rund 1,3 Millionen Kulturdenkmäler, von Einzeldenkmälern bis zu ganzen historischen Stadtkernen. Etwa ein Drittel von diesen Denkmalen gilt als gefährdet oder dringend sanierungsbedürftig. Nun hat der Bund ein Programm aufgelegt, 400 Millionen Euro, es gibt ein Sonderprogramm, etwa 100 Millionen Euro. Reicht das aus Ihrer Sicht?

"Mit den Anforderungen wachsen die Ausgaben"
Dolff-Bonekämper: Ach wissen Sie, wenn man in der Denkmalpflege gearbeitet hat, so wie ich 15 Jahre lang, dann weiß man, dass es am Ende natürlich niemals wirklich reicht, weil einem immer mehr einfällt und immer mehr da ist und man muss stets Prioritäten setzen, wofür man nun das Geld ausgeben möchte, wenn man dann welches bekommt. Insofern: Wie viel ist genug, die Frage kann man eigentlich nie beantworten, weil mit dem zusätzlichen oder mit dem stetigen Erfüllen der Anforderungen wachsen die Anforderungen. Das ist verrückt und klingt paradox, aber das geht den meisten Denkmalpflegern so. Meistens müssen sie aber eher mit viel weniger auskommen. Denn gerade in Berlin ist zurzeit der Plan formuliert worden vom Senat, die Zuschüsse, die das Berliner Landesdenkmalamt vergeben kann, um die Hälfte zu reduzieren, wenn ich das recht verstanden habe. Das ist eigentlich eher der realistische Fall.

Ostermann: Viele Menschen engagieren sich ehrenamtlich in diesem Bereich, um in ihrer unmittelbaren Heimat Denkmale zu schützen. Sehr viele ältere Menschen sind darunter. Wie steht es mit den jüngeren? Haben Sie da Nachwuchssorgen?

Dolff-Bonekämper: Eigentlich nicht. Ich unterrichte Studenten der Stadt- und Regionalplanung und das sind ja eigentlich diejenigen, die denken, sie wollen die Zukunft gestalten. Da könnte man sagen, da wären ihnen die Denkmale ja vielleicht eher im Weg. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn es darum geht, die Bedeutung von Orten und auch die Codierung von Orten, auch das Problematische oder eventuell halt auch das Entwicklungsfähige an Orten genauer zu bestimmen, dann sind auch die jungen Leute sofort interessiert am Bestand und verstehen auch oft gar nicht, wie es sein kann, dass etwas, was mal unter Denkmalschutz stand oder noch immer steht, nicht respektiert wird, weil sie dann nicht verstehen, dass die öffentliche Hand und die Politik zwar schützen kann, den Schutz aber auch entziehen kann, wenn andere Belange die Überhand gewinnen in der Gesamtabwägung.

Ostermann: "Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?" heißt es am Sonntag. Ich sprach mit Gabi Dolff-Bonekämper, sie ist Professorin für Denkmalpflege an der Technischen Universität in Berlin. Haben Sie vielen Dank.

Dolff-Bonekämper: Bitte sehr!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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