Architektur

Die Stadt wird grün

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Der bewaldete Büro- und Wohnkomplex "Bosco Verticale" - vertikaler Wald - in Mailand. © Foto: Kirsten Bucher/Deutsches Architekturmuseum/dpa
Von Volkhard App · 19.11.2014
Wie sehen unsere Wohnungen und Büros in Zukunft aus? Der Internationale Hochhauspreis prämiert alle zwei Jahre wegweisende Bauten. Jetzt wurde ein mit Bäumen, Sträuchern und Pflanzen bestücktes Gebäude in Mailand ausgezeichnet.
Es grünt so grün - auch und gerade an Hochhausfassaden. Wobei die beiden im Norden Mailands gebauten Wohntürme diese Geste, urbane Geschäftigkeit mit der Natur zu versöhnen, auf die Spitze treiben. Denn die unregelmäßig hervorspringenden 18 bzw. 24 Stockwerke bilden Terrassen und Balkone, die mit Tausenden von Sträuchern und zirka 800 Bäumen bestückt sind. Jeder Bewohner soll so Zugang zu einem eigenen Garten, wenn nicht gar zu einem Miniaturwald haben. Dem Binnenklima sind die rund 20.000 Pflanzen sehr zuträglich. Der Gewinner Stefano Boeri:

"Ja, es geht um Harmonie, um die Balance zwischen urbaner und natürlicher Sphäre. Und es geht um die Verschiedenheit der Gebäude in der Stadt - darum, dass die Hochhäuser sich nicht alle mit ihren glänzenden Fassaden ähnlich sehen. Wir bringen organisches Leben in unsere Bauten: mit Pflanzen, dann aber auch mit Vögeln und Insekten. Eine sehr wichtige Konzeption, die in die Zukunft weist."
Ein Experiment
Eine Preisvergabe, die überzeugt. Womöglich aber ist auch diese üppige Begrünung nur ein Trost für den Verlust von natürlicher Lebensqualität in der städtischen Gesellschaft, vielleicht nährt das Grün eine Illusion:
"Das ist der Punkt! Eine Illusion wäre es, würde man das Grün als bloße Dekoration verwenden. Wir nehmen jedoch in Mailand richtige Pflanzen und Bäume. Und wir haben in den vergangenen Monaten gesehen, dass die Natur zurückkehrt. Genau das schätzen wir an diesem Experiment - denn um ein solches handelt es sich: um ein Experiment, dessen Verlauf wir genau verfolgen. Dieses Projekt macht mich glücklich, es ist innovativ."
Ökologische Standards und nachhaltige Wohnform
Diese Wohnungen sollen Schule machen und andernorts auch für nicht so betuchte Bürger erschwinglich sein. Zu den fünf Bauten, die von der Jury in die engere Wahl genommen worden sind, zählen auch die vom Büro Jean Nouvel konzipierten Türme in Sydney, die Wohnungen und Geschäfte beherbergen und umlaufend begrünt sind. Vom selben Büro stammt in Rotterdam ein Hotelmassiv, das durch unregelmäßige Fenstersetzung und raffinierten Lichteinfall beeindruckt. Während ein für Chengdu in China von New Yorker Architekten entworfenes Gebäude der Mischnutzung dient und sich, so heißt es, gut in die City einfügt und die Bürger zum Verweilen einlädt. Sehr unterschiedlich in Standort, Nutzung und Konzeption sind also die ausgewählten Bauten. Der Architekt und Juryvorsitzende Christoph Ingenhoven über die allgemeinen Bewertungskriterien:
"Was uns interessierte, war ein gemischt genutztes, auch zum Wohnen, jedenfalls nicht nur zu Bürozwecken gedachtes Gebäude in einer großen, dicht besiedelten Stadt. Das ist der Hochhaus-Typus, der uns vorschwebte auf der Suche nach dem Gewinner. Hinzu kommen die ganzen qualitativen Fragestellungen: Wie ist das Haus gemacht, entspricht es neuesten und womöglich sogar zukunftsorientierten ökologischen Standards, leistet es einen Beitrag zum Experimentellen, hilft es uns und anderen weiter bei der Suche nach der noch besseren Form und Methode? Und wie lebt man in dem Haus: Ist es eine nachhaltige Wohn- , Arbeits- und Lebensform? Oder erscheint es eher oberflächlich - die Welt ja voller oberflächlicher Lösungen."
Trend zu gemischt genutzten Häusern
Zum sechsten Mal ist dieser Preis verliehen worden, alle zwei Jahre werden internationale Hochhäuser beurteilt. Wieweit sind im Blick auf das zurückliegende Jahrzehnt architektonische und soziale Entwicklungen erkennbar? Peter Cachola Schmal, Direktor des Deutschen Architekturmuseums:
"Wir machen das seit zehn Jahren und stellen fest, dass sich der Fokus von Geschäftshochhäusern auf Wohnhochhäuser und Mixed-Used-Gebäude verlagert hat - die wir in Europa manchmal haben, in Deutschland jedoch noch nicht. Aber sie kommen überall in der Welt - und das sind Hotels, Wohnungen und Geschäfte in einem Gebäude."
Bürger sehen Entwicklung kritisch
Die Vermehrung der eigenwillig gebauten, kommerziellen Türme wird allerdings nicht nur in Metropolen wie London kritisch diskutiert. Faszination und das Gefühl der Entfremdung durchdringen sich bei nicht wenigen Bürgern:
"Also, in London soll es um 250 neue Türme gehen - die werden das Antlitz der Stadt komplett verändern. Das ist natürlich eine große Diskussion wert. Solch eine Dynamik haben wir bei uns nicht. In Frankfurt z.B. geht es darum, dass vielleicht in den nächsten fünf, sechs bis zehn Jahren zehn neue Wohnhochhäuser entstehen könnten, vielleicht zehn bis 15 andere noch, doch es wächst und wächst in einem anderen Tempo. Und das hat nichts mit London zu tun oder der Entwicklung in Toronto, wo 150 neue Häuser geplant sind oder in den ganzen asiatischen Städten."
Im Deutschen Architekturmuseum werden zur Zeit die aktuellen Wettbewerbsbeiträge vorgestellt, und eine weitere Schau befasst sich mit dem Frankfurter Hochhaus-Boom. Für die Preisverleihung war mit der Paulskirche ein höchst traditionsreicher Ort ausgewählt worden. Die Pressekonferenz hingegen fand, ganz authentisch, im 44. Stockwerk der Deka-Bank statt, die diesen Wettbewerb mitorganisiert und -finanziert. Eine Zentrale aus Stahl und Glas. Die Stadt liegt einem da zu Füßen, das jedenfalls ist der Eindruck in den Höhen des Geschäfts.
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