Architektur der Feindseligkeit

Eyal Weizman im Gespräch mit Joachim Scholl · 29.12.2009
Die israelischen Siedlungen seien Bestandteil eines ausgefeilten Sicherheitsnetzes mit dem Ziel der Überwachung und Abschottung, sagt Eyal Weizman, israelischer Architekt, Menschenrechtsaktivist und Autor des Buches "Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung".
Joachim Scholl: Eyal Weizman war vor einigen Tagen bei uns im Deutschlandradio Kultur zu Besuch und ich habe ihn eingangs gefragt, was denn einem arglosen Spaziergänger, der ohne jede Kenntnis der politischen Situation durch eine israelische Siedlung im Westjordanland oder im Gazastreifen wandert, was diesem Spaziergänger an der Architektur wohl auffällt.

Eyal Weizman: Na, wenn es ein Deutscher wäre, der so durch die Straßen wandert, dann würde der sich wohl ziemlich zu Hause fühlen. Das Ganze gleicht einem ganz typischen Vorstadtbild mit den Einfamilien-Reihenhäusern, roten Ziegeldächern und Ähnlichem. Das hebe ich auch in dem Buch hervor: die Banalität dieser gebauten Architekturlandschaft, die den ganzen ideologischen Gehalt, auch die militärische Macht, die da verbaut ist, maskiert.

Scholl: Wie müssen wir uns ein Haus eines Siedlers vorstellen, dass wir von einer Architektur der Besatzung sprechen?

Weizman: Die Art, wie ich mir diese Vorstädte anschaue, läuft darauf hinaus, dass ich Häuser als eine Art optisches Gerät sehe, das im städtebaulichen Raum verwendet wird. Man schaut: Wo stehen diese Häuser, wohin blicken sie? Sie treten in diesen Gesamtzusammenhang einer zivilmilitärischen Umgestaltung der Landschaft ein. Die Militärs überlegen bei diesen Bauten genau, auf welchen Hügel sie das Haus setzen, um eine bestmögliche Kontrolle über das Umland zu gewinnen. Sie nehmen damit eben die palästinensischen Dörfer und Städte in der Umgebung in den Blick, sie dominieren sie. Das Haus wirkt wie eine Art optische Vorrichtung, eine Art Schauinsland, was zunächst mal ganz schön ist, was aber eben vor allem dem Zwecke dient, einer perfekten Überwachung zu dienen, einer Überwachung, die durch den Staat, durch die Regierung eingerichtet wird.

Scholl: Ist diese Architektur der Besatzung, wie Sie sie analysieren, für Sie auch eine Architektur der Feindseligkeit?

Weizman: Das ist ganz sicher so. Die Architektur in Palästina dient sehr stark diesem Zweck, eine Trennung zwischen israelisch-jüdischen Siedlungen und palästinensischen Gemeinschaften herzustellen. Ganz oft sind es auch Bestandteile von ganzen Netzen an Wänden, an Zäunen. Wir kennen ja alle diesen berühmten Bau der Mauer im Westjordanland. Aber sehr häufig sind es auch die Häuser, die Bauten selbst, die eine Art Grenzwall bilden, also gebaute Grenzen in Gestalt von Häusern, Städten, kleinen Dörfern, Straßen, die keinen anderen Zweck haben, als eben diese Spaltung zwischen israelischen und palästinensischen Siedlungen herbeizuführen.

Scholl: Hat sich diese Architektur eigentlich entwickelt oder war sie schon von Beginn an der Siedlungspolitik auf diese Weise konzipiert?

Weizman: Hier muss man verstehen, dass diese Besatzungsarchitektur ihren Ursprung so im Jahre 1967 fand, also ein Jahr vor 1968. Damals befand sich die gesamte Architektur weltweit in einem Umbruch. Das, was wir heute Postmoderne nennen, ist damals entstanden und findet seine Geburtsstätte auch ganz wesentlich in dieser Ästhetik, wie sie damals etwa in der Westbank entwickelt wurde. Das Problem für die Architekten war damals: Wie bringt man den Siedler dazu, dass er wie eine Art angestammte Bevölkerung auftritt, sodass er nicht so sehr als ein Fremdling dort erscheint? Das bedingt auch, dass man sich sehr stark an die angestammte palästinensische Architektur mimikryhaft anschmiegt, sehr viel von dem, was damals als Siedlung gebaut ist, war im Grunde dieses Bestreben, den Neusiedler mehr oder minder wie einen angestammten, palästinensischen Bewohner erscheinen zu lassen.

Scholl: Das heißt, diese Art von feindlicher Architektur war damals noch gar nicht gegeben?

Weizman: Nun, ich meine, in der ersten Phase dieser Siedlungsarchitektur, also etwa vom Jahr 1967 bis 1977 – übrigens unter den sozialdemokratischen Regierungen –, da war schon bereits dieses strategische Bemühen, das Bemühen um Landnahme erkennbar, aber nicht nur als Feindseligkeit, sondern als eine Art merkwürdige, wechselseitige Anpassung, ein Mimikry. Das geht so weit, dass die heutige palästinensische Architektur sehr stark der Architektur der Siedler gleicht, denn für die Palästinenser ist diese Siedlerarchitektur eine Art Luxus, ein Anzeichen von Wohlstand. Wir haben also ein sehr komplexes Wechselspiel zwischen Siedlerarchitektur und palästinensischer Architektur, welches sozusagen diese schroffe, feindselige Entgegensetzung, von der Sie sprachen, überlagert.

Scholl: Die Architektur der israelischen Siedlungen, kritisiert und analysiert vom Architekten Eyal Weizman, er ist hier im Deutschlandradio Kultur zu Gast. Könnte man so weit gehen, Herr Weizman, dass man sagt, wenn Sie jetzt auch von den Palästinensern sprechen, die diese israelischen Siedlungen kopieren, dass beide Seiten sich im Wortsinn eine Verständigung verbauen?

Weizman: Nun, wenn es auch diesen ästhetischen Austausch zwischen den beiden Sphären gibt, so sind natürlich die realen Machtverhältnisse einfach derart, dass es die Israelis sind, welche hier die Mauern errichten. Ich habe mittlerweile mein Architekturstudio in Bethlehem eingerichtet, also mitten im palästinensischen Gebiet, auch mit palästinensischen Partnern, und wir befassen uns genau mit dieser Frage: Wie kann man diese gebaute Architektur der Macht und der Besatzung sozusagen von innen her umdrehen, sie sozusagen aushöhlen, in dem Augenblick, wo sie aus den Händen der Macht entlassen wird?

Scholl: Nun wird jeder Siedler, der dort lebt – sei es nun ein Israeli in den Siedlungen oder ein Palästinenser als Nachbar – sagen: So lange es Gewalt gibt, geht mir der Schutz meiner Familie und meiner Nachbarn vor alles. Können Sie das verstehen?

Weizman: Man muss die Fragestellung selbst infrage stellen und zunächst mal ins Auge fassen, dass diese Siedlungen selbst schon Gewalt sind. Diese Siedlungen sind auf gestohlenem Land errichtet, sie sind Bestandteil eines ausgefeilten Sicherheitsnetzes, sie dienen der Fragmentierung, der Abschottung von bestimmtem Land. Und es ist doch kein Zufall, dass, wenn man heute über diese neueste Friedensstrategie spricht, diese Roadmap, dass dann die Gleichung aufgestellt wird, Israel müsse die Siedlungen aufgeben oder das Errichten von Siedlungen aufgeben, während im Gegenzug die Palästinenser sich eben jeglicher militärischer Akte enthalten. Hier wird doch ganz eindeutig diese Gleichung von Gewalt und Siedlungstätigkeit aufgestellt.

Scholl: Ihr Buch ist vor zwei Jahren im englischen Original erschienen, jetzt wird es derzeit ins Hebräische übersetzt und erscheint dann in Israel. Mehrere Kapitel sind allerdings schon in der israelischen Öffentlichkeit bekannt geworden. Wie hat man denn auf Ihre Analyse reagiert, Herr Weizman?

Weizman: Die Übersetzung meiner Werke ins Hebräische, diese Verpflanzung nach Israel ist stets unter großem Streit erfolgt, auf eine Weise, die mich oftmals überrascht hat. Und bei diesem Buch, also "Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung", war es so, dass die ursprüngliche Fassung dann verboten wurde. 5000 Exemplare wurden zerstört, eine geplante Ausstellung konnte nicht stattfinden. Bei der jetzt erscheinenden Ausgabe ist uns schon eine gerichtliche Vorladung ins Haus geflattert. Ich möchte nicht, dass die Zuhörer jetzt etwa glaubten, dass es in Israel eine Zensur gäbe, nein, das ist nicht der Fall. Die israelische, akademische Welt ist meistens sehr kritisch gegenüber der Politik eingestellt. Aber was eben hier neu ist und was die Leute aufregt, ist, dass man bisher glaubte, Architektur sei apolitisch, sie sei aus dem schmutzigen Geschäft der Politik rauszuhalten. Und jetzt wird eben von mir die Behauptung aufgestellt, dass Architektur selbst nicht nur … nicht außerhalb der Politik stehe, sondern sogar ein Mittel und Werkzeug der Politik geworden ist.

Scholl: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Nahostkonflikt, Herr Weizman? Welche Bedeutung hat das Verhandlungsangebot, das Premier Netanjahu an die Palästinenser gemacht hat? Und es wird auch von einem temporären Baustopp gesprochen. Sind das für Sie hoffnungsvolle Zeichen?

Weizman: Ich bin ja nicht wirklich ein Journalist, aber ich kann aus historischer Sicht doch die Entwicklung beurteilen und stelle fest: Vom ersten Tag der Besatzung an gab es Pläne, die Besatzung zu ändern, und ganz häufig sind diese Pläne dann letztlich nur dem Zweck geschuldet, die Besatzung fortzusetzen – sogar bis etwa in den ersten Tagen nach der Besetzung Jerusalems im Juni 1967 bereits die erste Konzeption eines Friedensvorschlages, darin war enthalten natürlich der Vorschlag auch, die Besatzung zu beenden. Viele solche Vorschläge sind gemacht worden, die große Mauer ist selbst wiederum als ein Versuch der Beendigung der Besatzung ausgegeben worden. Ich sehe also eine Art endloses Ende der Besatzung. Immer dann, wenn hier etwas verkündet wird von einem Ende der Besatzung, bin ich mittlerweile schon vorsichtig, ich bin hellhörig geworden, dass es hier doch letztlich wieder um eine Verwandlung der Besatzungsstrategie, üblicherweise eine sehr unterdrückungsgesättigte Besatzung, geht.

Scholl: Der israelische Architekt und Menschenrechtsaktivist Eyal Weizman, ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Weizman. Das Buch "Sperrzonen. Israels Architektur der Besatzung" ist im Nautilus Verlag erschienen.