Architektur als Verdrängungskultur

Vorgestellt von Nikolaus Bernau · 10.05.2005
Das Buch Rosenfelds ist erstmals im Jahr 2000 in Los Angeles erschienen. Entstanden ist es aus den bis auf das Jahr 1988 zurückgehenden Forschungen Rosenfelds über die Gedenkkultur in Deutschland, vor allem aber in München.
Ihm war, damals noch Student, aufgefallen, wie wenig das Münchner Stadtbild geprägt zu sein schien von den Zerstörungen des Krieges und wie sehr die Stadt mit sich im reinen zu sein schien. Dabei ist München immerhin "Hauptstadt der Bewegung" gewesen, hier begann der Aufstieg des Politikers Hitler, hier wurde mit den Münchner Verträgen die Unterwerfung der Tschechoslowakei von den europäischen Politikern beschlossen.

Nichts davon fand er aber im Stadtbild wieder. Rosenfelds These ist, dass der Wiederaufbau Münchens in weitgehend den Strukturen, die auch vor dem Krieg schon zu sehen waren, Teil einer Verdrängungskultur ist. Er kritisiert hart etwa die scheinbar spurenlosen Rekonstruktionen, etwa vom Cuvilier-Theater oder vom Rathaus.

Das ist hart zu lesen in einer Zeit, die vom Wiedererstehen der Schlösser in Berlin, Potsdam und Braunschweig schwärmt, die in Halberstadt das Rathaus wiedererstehen ließ und in Dresden für die Rekonstruktion der Frauenkirche eines der berühmtesten Anti-Kriegsdenkmäler überhaupt opferte

Rosenfeld hat eine solche Fülle von Indizien, Debatten im Stadtrat, Petitionen, Archivalien, Neubauplänen, Umbaugedanken zusammengetragen, dass er seine Behauptung einer systematischen Verdrängungspolitik gut begründet. Er widmet sich dabei nicht nur der Architektur und dem spezifisch bayrischen Heimatstil der frühen fünfziger Jahre, sondern auch den vielen Denkmalpflege- und den Denkmaldebatten.

Und da kommt dann schon einiges zusammen, was unwillkürlich an das Geschehen auch in anderen deutschen Städten erinnert. Etwa die weitgehende Ausblendung von Juden in den fünfziger und sechziger Jahren aus dem Erinnern, die Konzentration auf den deutschen Widerstand in dieser Zeit, der allerdings immer christlich uminterpretiert wird, indem etwa auf die Denkmäler Worte wie "Leidensweg" geschrieben werden, die eindeutig auf die Passion Christi hinweisen und damit auch auf die christliche Erlösungshoffung.

In den siebziger Jahren beginnt dann die Enddeckung der jüdischen Opfer, aber erst viel später wendet man sich auch den Sinti und den Roma, den Homosexuellen, den Zwangsarbeitern zu.

Vor allem ist überraschend, wie lange man die originalen Orte ignoriert hat, etwa den Königsplatz mit den Resten der Ehrentempel, die von Hitler für seinen 1923 erschossenen Kampfgenossen errichtet worden waren, oder dem Braunen Haus, das ja jetzt ein Münchner Forschungszentrum für den Nationalsozialismus aufnehmen soll

Rosenfeld schildert die Verdrängung streng chronologisch und sehr gut lesbar. Allerdings gibt es aus der Perspektive eines klassischen Historikers ein erhebliches methodisches Problem des Buches: Rosenfeld betrachtet die gesamte Geschichte des Gedenkens von einem Standort aus, der klar macht: Er weiß, wie richtiges Gedenken auszusehen hat. Richtiges Gedenken ist für Rosenfeld ganz offensichtlich die Art und Weise, wie wir uns seit den späten achtziger Jahren der Nazizeit zuwenden.

Das heißt, dass die originalen Orte im Zentrum des Interesses stehen sollen, das individuelle und intellektuelle Erinnern wichtiger ist als das gemeinsame und auf einer wie auch immer vagen Gefühlsbasis entstandene. Und an diesem Maßstab misst er die gesamte Geschichte des Gedenkens in München.

Das ist ein Problem, weil dadurch alle Entwicklungen auf das schließliche Ziel hin zugeschnitten werden: Gutes Gedenken funktioniert immer mehr so, wie wir es heute tun. Das ist eigentlich ahistorisch, denn man muss jedes Erinnern immer auch aus den Nöten der Zeit heraus verstehen.

Aber das schmälert den Wert des Werks nicht. Man muss sich eben daran gewöhnen, dass Rosenfeld das Gedenken immer auch gleich bewertet. Und wenn man diese Bewertungen überliest, ist das Buch ungeheuer lehrreich – und öffnet einem die Augen, wenn man vor einem einfachen Stein steht und da nur steht: den Toten. Das ist nach der Lektüre von Rosenfeld einfach zu erkennen als klassische Verdrängungsstrategie.

Service:
Das Buch "Architektur und Gedächtnis. München und Nationalsozialismus. Strategien des Vergessens" von Gavriel D. Rosenfeld ist im Spätherbst 2004 erschienen im Verlag Dölling und Galitz, hat 612 Seiten und kostet 29,80 Euro.