Arbeitswelt

Immer unterwegs

Teil des Berliner Hauptbahnhofs (tief), aufgenommen am 12.09.2013. Der Bahnhof beherbergt fünf Verteilerebenen, der Höhenunterschied zwischen der obersten und untersten Ebene liegt bei 25 Metern. Foto: Peter Endig
Beruflich mobil ist, wer mehr als zehn Stunden pro Woche außerhalb seines Wohnortes arbeitet. © picture alliance / dpa / Peter Endig
Von Brigitte Schulz · 29.07.2014
Für ihre Dienstreisen legen die Deutschen viel mehr Kilometer zurück als für ihren Urlaub. Jeder Fünfte ist beruflich mobil, Tendenz steigend. Hinzu kommen die Selbstständigen, die von Projekt zu Projekt arbeiten und die Pendler.
Schon jetzt ist jeder fünfte Berufstätige in Deutschland mobil oder hochmobil - so beschreiben Wissenschaftler Personen, die viel unterwegs sind. Diese Entwicklung ist ambivalent. Einerseits schätzen vor allem die gut Ausgebildeten die damit verbundene Freiheit und Abwechslung, andererseits verursacht das ständige Reisen zunehmend Stress und Gesundheitsprobleme.
Beruflich mobil ist, wer mehr als zehn Stunden pro Woche außerhalb seines Wohnortes arbeitet, so lautet die Definition laut der sogenannten ECaTT-Norm, die sich auf die Ergebnisse eines EU-Forschungsprojektes stützt. Immer mehr Menschen sind häufiger und länger unterwegs. Trendforscher glauben, dass wir damit erst am Anfang einer Entwicklung stehen: Schon in zehn Jahren könnte sich die Zahl der Jobnomaden verdoppelt haben:
"Auf jeden Fall werden wir mobiler sein im Jahr 2025, wobei man sagen muss, dass das natürlich nicht 100 Prozent für alle Menschen gilt, sondern für einen Prozentsatz von sagen wir 30 bis 40 Prozent und natürlich ein Flugmeilenkonto ansammeln werden, was mit heutigen vielleicht nicht zu vergleichen ist,"
sagt Trendforscher Sven Janszky. Er hat ein Buch darüber geschrieben, wie wir in zehn Jahren arbeiten werden - die steigende Mobilität steht dabei an vorderster Stelle. Dabei dachte man noch vor wenigen Jahren, technische Errungenschaften und moderne Kommunikationsmittel würden die Berufsmobilität drastisch verringern - genau das Gegenteil ist der Fall.
Wann ist Arbeitszeit, wann ist Freizeit
Janszky: "Erstaunlicherweise nimmt ja beides zu, also sowohl die Nutzung moderner Technik und Videotelefonie und Konferenzen in 3-D-virtuellen Räumen, nimmt eben alles zu, aber es nimmt eben auch die Fliegerei zu und die Mobilität insgesamt."
Vor dem Flughafen Berlin-Tegel stehen zahlreiche Taxen.
Das mobile Leben will gelernt sein - zum Beispiel Fluhafenfahrten - etwa zum Flughafen Tegel.© picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Gründe für die steigende Mobilität gibt es viele: befristete Arbeitsverträge, fehlende Stellenangebote im ländlichen Raum, die Globalisierung der Märkte. Das mobile Leben will gelernt sein, das haben auch die Untersuchungen der Mobilitätsforscherin Gerlinde Vogl ergeben:
"Dann gibt es natürlich Belastungen, die einhergehen mit dieser ständigen Erreichbarkeit, diese Entgrenzung, also wann ist Arbeitszeit, wann ist Freizeit, wann bin ich erreichbar wann bin ich nicht erreichbar, man wird sozusagen selber zum Kontrolleur seiner Leistungsverausgabung und das will auch erlernt sein. Man braucht natürlich starke Fähigkeiten im kommunikativen Bereich und im Bereich von Selbstorganisation."
Geschlechtshierarchische Arbeitsteilung
Gerlinde Vogl hat im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung die Auswirkungen von Dienstreisen erforscht und fand heraus, dass es vor allem für Frauen schwer ist, Familie und berufliches Unterwegssein zu vereinbaren: Nur sechs Prozent Frauen mit Kindern arbeiten beruflich mobil, bei den Männern dagegen sind es 26 Prozent:
"In unseren Forschungen haben wir festgestellt, dass hochmobile Männer häufig Frauen zu Hause haben, die eben diese immobile Rolle übernehmen und den Männern den Rücken freihalten und auch viele Sachen abfangen und organisieren, wohingegen hochmobile Frauen entweder alleinstehend sind oder ebenfalls mit mobilen Männern zusammen sind. Von daher kann man schon sagen, dass die Tendenz geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung hier durchaus der Fall ist."
Fragt man Hochmobile, was ihnen das Leben erleichtern würde, so äußern sie meist relativ einfache Wünsche: Aufwärmmöglichkeiten auf Bahnsteigen, bessere Informationen, Abteile speziell für Pendler, wo diese ungestört arbeiten oder schlafen können. Vor allem jedoch müsste die Umwelt mehr Verständnis für ihre Situation zeigen, so die Universitätsprofessorin Martina Schrader Kniffki:
"Obwohl viele Leute sehr mobil sind, fehlt so ne bestimmte Art der Akzeptanz, dass man da immer wieder darauf hingewiesen wird, dass man eigentlich an dem Ort leben sollte, an dem man arbeitet. Das ist so ein kleines fast moralisches Ding, was an der Uni läuft, auch wenn man sehr präsent ist, dass man da gar nicht auf die Idee kommt, dass man da irgendwelche Forderungen stellen würde oder sagen würde, das müsste eigentlich anders laufen."
Das könnte sich mit dem wachsenden Fachkräftemangel ändern - und zwar nicht nur für heute schon gut bezahlte Akademiker, sondern auch für die unzähligen Monteure, Bau- und Facharbeiter, die als Wochenendpendler unterwegs sind. Denn ihre Situation ist ungleich schwieriger: Bis heute haben sie wenig Einfluss auf ihre Arbeitszeiten und ihr Lohn reicht meistens nicht einmal aus, um sich ein Einzelzimmer zu leisten.
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