Arbeitsvermittlung für Geflüchtete

Per Start-up zur Integration

07:46 Minuten
Ein junger Geflüchteter räumt ein Kühlregal im Supermarkt ein und blickt dabei in die Kamera.
Das Ziel ist die Festanstellung. Insbesondere im Einzelnhandel bieten sich Möglichkeiten, sagt Zarah Bruhn vom Start-up Social-Bee. © picture-alliance/dpa/Patrick Pleul
Von Regina Steffens und Michael Watzke · 10.08.2020
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Geflüchtete suchen Arbeit. Dabei behilflich ist ihnen ein Münchner Start-up, das besonders nachhaltige Beschäftigungsverhältnisse vermitteln will — in Zeiten von Corona eine erhebliche Herausforderung.
"Ehrlich gesagt, Angst habe ich nicht. Auch als alle zu Hause saßen und viele Firmen zugemacht haben, bin ich jeden Tag zur Arbeit gegangen. Mir macht die Arbeit auch richtig Spaß."
Fahima Hamidzada ist zufrieden, auch wenn sie jeden Tag drei Stunden Fahrtweg auf sich nimmt. Letzte Woche endete ihre Probezeit. Sie ist fest angestellt, bei einem großen Logistikunternehmen in München.
"Den halben Tag bin ich beschäftigt mit den Bestellungen und der Ausgabe von Berufskleidung, zum Beispiel Sicherheitsschuhe für unsere Lagermitarbeiter. Nach meiner Pause — eine Stunde —, fängt der Empfang wieder an. Da bin ich mit den Kunden in Kontakt. Die rufen an und fragen nach ihren Waren, ihren Bestellungen oder wann sie etwas abholen können."

Ein Start-up integriert Geflüchtete

Eigentlich ist Fahima Hamidzada (42) Lehrerin. Bevor sie vor sechs Jahren aus Afghanistan flüchten musste, unterrichtete sie in ihrem Heimatland Englisch. Als Lehrerin an einer deutschen Schule arbeiten? Dafür reichte ihre Qualifikation nicht, sie hätte in Deutschland studieren müssen. Nur: Als alleinerziehende Mutter von drei Teenagern war das unmöglich.
Ihren jetzigen Job als Sachbearbeiterin fand Fahima mithilfe von "Social-Bee", einem Münchner Start-up, das Geflüchtete in den Arbeitsmarkt integriert. Social-Bee nennt sich selbst "Integrationsdienstleister". Das Unternehmen arbeitet mit rund 70 Firmen zusammen und vermittelt Geflüchtete, zunächst als Zeitarbeiter. Ziel: eine langfristige Beschäftigung.
"Das ist vor allem Lager und Logistik", erklärt Zarah Bruhn, die 29-jährige Gründerin von Social-Bee. "Da kann man sich sehr gut hocharbeiten. Der Einzelhandel — also Supermärkte, aber auch Möbelläden — ist ein riesengroßer Bereich. Aber darunter fällt auch der Pralinenladen um die Ecke, der Ein-Mann-Malermeister, der quasi Kollegen sucht. Es ist tatsächlich sehr bunt — bis hin zum Dax-Unternehmen bei Daimler."

Niedrige Anforderungen

Bruhn vergleicht das Modell mit einem Sprungbrett: Geflüchtete springen über den Niedriglohnsektor in die Arbeitswelt und können sich dann hocharbeiten. Die Anforderungen für eine Anstellung bei Social-Bee sind bewusst niedrig: Geflüchtete müssen Asyl beantragt haben und Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 vorlegen.
Wenn Arbeitgeber berufliche Abschlüsse nicht anerkennen, sind die meisten Geflüchteten offen für eine Umschulung. Social-Bee fördert sie mit Weiterbildungen und Sprachkursen, kümmert sich um Arbeitserlaubnisse und persönliche Probleme der Geflüchteten, wie auch bei Fahima Hamidzada.
"Die Erfahrung mit Social-Bee war super gut. Die waren immer sehr hilfreich und sehr hilfsbereit. Am Anfang hatte ich noch Probleme mit dem Computer, da mir Computerkenntnisse fehlen. Da haben die mir dann geholfen. Ich habe eine harte Zeit hinter mir: bis 17 Uhr arbeiten und dann noch anderthalb Stunde Computertraining. Alle Probleme gelöst zu bekommen, das war auch eine harte Arbeit."

Die Coronakrise trifft vor allem Geflüchtete

Wie Fahima Hamidzada fanden bisher 250 Geflüchtete über Social-Bee eine langfristige Beschäftigung. Das war vor Corona. Nun sei plötzlich alles sehr schwer, sagt Zarah Bruhn, die gerade selbst aus dem Homeoffice arbeitet.
"Wir konnten auch nicht alle Mitarbeiter halten. Viele Kunden haben gesagt: Während Corona können wir niemanden beschäftigen. Das tat uns besonders weh. Für die versuchen wir jetzt eine Perspektive zu schaffen und sie noch zu vermitteln. Da ist natürlich viel Betreuung gefragt, damit die nicht in ein Loch fallen."
Durch Corona haben 30 Geflüchtete ihren Job verloren, ein Drittel der Kunden, die Social-Bee derzeit betreut. Das Start-up und seine Schützlinge hatten mit zusätzlichen Schwierigkeiten zu kämpfen.
"Die Gefahr von Shutdowns in Gemeinschaftsunterkünften war auch hoch. Da ist es natürlich auch nicht so einfach, die ganzen Gesundheitsbestimmungen einzuhalten. Da waren schon gefährdete Herkunftsgebiete dabei, das kann man so sagen. Bei uns kam es zwar nicht zu einer vollständigen Schließung, aber wir sind einem überproportionalen Risiko ausgesetzt.
Das andere natürlich: Wir arbeiten mit Geringqualifizierten. Und gerade Geringqualifizierte in Zeitarbeit sind in solchen Krisen normalerweise die ersten, die von Unternehmen nicht gehalten werden. Während Höherqualifizierte und langjährige Mitarbeiter eher bleiben oder in Kurzarbeit geschickt werden können. Zumindest aus unserer Perspektive würde ich daher schon sagen, dass Geflüchtete überproportional betroffen sind."

Kaum Homeoffice-Jobs

Das belegen auch Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Die Zahl der Arbeitslosen mit ausländischem Pass stieg im März und April viermal so stark an wie die von Arbeitslosen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Social-Bee kann sich derzeit vor Bewerbungen von Geflüchteten kaum retten.
Nur annehmen kann Zarah Bruhn niemanden, auch wenn sie gerne würde. Wichtig sind jetzt die Mitarbeiter, die gerade vor dem Nichts stehen:
"Viel dramatischer ist eigentlich das Emotionale, zu sagen: Ich hatte gerade erst einen Job und jetzt verliert man die Perspektive wieder. Da können wir nur sagen: Ihr seid die ersten, um die wir uns kümmern, sobald es wieder aufwärts geht. Da Hoffnung zu geben, ist sehr wichtig."
Ein Problem beim "Hoffnung geben": Social-Bee vermittelt hauptsächlich in die Jobs, die sich kaum ins Homeoffice übertragen lassen und gerade kaum gefragt sind. Erst sprangen die Gastronomie und Hotellerie ab, dann kleine Produktionsunternehmen.

Nicht jeder Job kommt in Betracht

Doch es habe auch kleine positive Effekte gegeben, sagt Bruhn. Supermärkte hätten vermehrt nach Personal gesucht. Genauso gesucht: Erntehelfer oder Sicherheitspersonal.
"Ehrlich gesagt: Wir haben uns dort auch umgesehen. Aber alle Zeitarbeiterfirmen stürzen sich da gerade drauf. Unser Modell ist aber: Wo finden Sie eine langfristige Stelle? Deshalb tun wir uns bei Erntehelfern oder Security schwer. Das ist nicht unser Modell und wir sind auch nicht die Günstigen am Markt."

Schulungen für Unternehmen

Denn Unternehmen zahlen Social-Bee einen festen Satz. Dafür schult das Start-up seine Kunden in Sachen Chancengleichheit oder bei der Frage: Wie schulen wir die Belegschaft im Umgang mit Geflüchteten? Welche Kulturprobleme können auftauchen?
Die Idee von Social-Bee lebt von dieser engen Bindung an ein Unternehmen. Insofern ist das Start-up auch finanziell auf seine Partner angewiesen. Nur so können Bruhn und ihr Team den Geflüchteten einen Stundenlohn von mindestens zehn Euro zahlen, außerdem einen Aufschlag für Krankheit, Urlaub und Feiertage und ein Nahverkehrsticket.

Endlich unter Leute kommen

Fahima Hamidzada verdiente so im ersten Jahr etwa 1500 Euro im Monat. Für ein Leben in München nicht viel. Jetzt, mit Festanstellung, verdient sie etwas mehr.
"Für mich persönlich geht es nicht nur ums Verdienen, sondern darum, mit Leuten zusammenarbeiten, Leute zu treffen. Das ist einfach: Es geht nicht nur ums Verdienen. Ich glaube, das würde vielen so gehen."
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