Arbeitsverhältnisse an den Volkshochschulen

"Akademische Tagelöhnerei im öffentlichen Auftrag"

04:27 Minuten
In der Volkshochschule in Leipzig steht Samer Alale aus Syrien (l) mit seinem Lehrer Mounir Taoubi beim Deutsch-Unterricht im Integrationskurs an der Tafel.
In Integrationskursen vermitteln die Dozenten nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch wie das Leben hier funktioniert. © picture-alliance/dpa/Waltraud Grubitzsch
Von Sebastian Engelbrecht · 23.07.2020
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Deutschkurse sind ihr Kerngeschäft: Volkshochschulen sind so etwas wie das Rückgrat der Integration. Wer dort allerdings als Dozent oder Dozentin arbeitet, kann weder mit einer Anstellung noch mit Sozialleistungen rechnen.
Joachim Lehmann hat 16 Jahre lang Einwanderer in Integrationskursen an der Volkshochschule Friedrichshain-Kreuzberg in Berlin unterrichtet. Er vermittelte Hunderten die deutsche Sprache und Kultur – und wie das Leben hier funktioniert. "Wenn man in dem Kiez nicht nur arbeitet, sondern auch wohnt, dann trifft man immer wieder, nach vielen Jahren auch, Teilnehmer und dann kommt man ins Gespräch. Und dann hört man doch, wie wichtig so ein Integrationskurs für den Neustart in Deutschland ist."

Lehmann, ein promovierter Germanist, Ende 60, inzwischen im Ruhestand, fand es beglückend, die häufig enormen Lernfortschritte seiner Schülerinnen und Schüler zu beobachten. "Diese Integrationsaufgabe, die könnte man heute auch als systemrelevant bezeichnen. Die wurde eben auch zu einem großen Teil von den Volkshochschulen geleistet."

1500 Euro netto pro Monat

In ganz Deutschland sind die Volkshochschulen so etwas wie das Rückgrat der Integration. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge finanziert die Kurse. Aber was kommt bei den Dozentinnen und Dozenten an? 35 Euro bekommen sie für die Unterrichtsstunde, einschließlich der Vor- und Nachbereitung. Bei 25 Unterrichtsstunden pro Woche verdient ein Kursleiter an der Volkshochschule etwa 1500 Euro netto im Monat.

Genau so viel verdient zum Beispiel Dieter Hartmann, 55 Jahre alt, Romanist und Philosoph. Seit 20 Jahren unterrichtet er Deutsch an Berliner Volkshochschulen und als Ausbilder von Kursleitern. Wie alle Kursleiter ist Hartmann selbständig. Wenn er mal krank ist und eine Stunde ausfällt, bekommt er kein Honorar. Nach Krankheit, Elternzeit oder Pflege von Angehörigen gibt es für Lehrkräfte wie ihn keine Garantie, dass er wieder beschäftigt wird.

Er sagt: "Es ist aufgrund der kurzen Arbeitsverträge – wir haben Honorarverträge in der Regel über vier Wochen – keinerlei Sicherheit darüber, wieviel ich im nächsten Monat arbeiten, obwohl ich mich im Programm zum Teil um bis zu einem Jahr vorher festlegen muss und auch keine andere Arbeit annehmen kann."

Tarifvertragsähnliche Rahmenvereinbarung

"Akademische Tagelöhnerei im öffentlichen Auftrag" nennt das die Vertretung der Berliner Volkshochschuldozentinnen, zu der auch Hartmann gehört. Im Namen der Kolleginnen und Kollegen fordert er höhere Honorare – nicht nur für Integrationskurse –, eine soziale Absicherung und eine tarifvertragliche Regelung. In Berlin weiß Hartmann dabei sogar das Abgeordnetenhaus auf seiner Seite. Das Landesparlament forderte Anfang Juni den Senat auf, mit den Gewerkschaften über eine tarifvertragsähnliche Rahmenvereinbarung zu verhandeln.

Im Prinzip unterstützt auch Julia von Westerholt*) dieses Ziel, die Direktorin des Deutschen Volkshochschulverbandes mit Sitz in Bonn. Zugleich weist sie darauf hin, das Angebot der Volkshochschulen müsse für alle bezahlbar bleiben, deshalb dürften die Kosten für die Kurse nicht zu hoch sein. Die Volkshochschulen finanzieren sich zu je einem Drittel aus Teilnahmegebühren, Zuschüssen von Ländern und Gemeinden und den Mitteln des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
In der Volkshochschule in Leipzig (Sachsen) korrigieren Teilnehmer aus Tunesien, Tansania, Eritrea und Marokko beim Deutsch-Unterricht im Integrationskurs Texte an der Tafel. 
Die Kurse an Volkshochschulen sollen bezahlbar bleiben, doch gespart wird an den Honoraren der Dozenten. © picture-alliance/dpa/ Waltraud Grubitzsch

Nur ein Nebenberuf?

Hinter den Anspruch der Dozentinnen und Dozenten auf normale Arbeitnehmerrechte setzt von Westerholt aber auch ein Fragezeichen. "Die Volkshochschule ist in ihrer Gründung auch eigentlich genau von dem Kompetenzgewinn ausgegangen, dass man die Menschen, die in ihrem Hauptberuf besondere Erfahrungen haben, engagieren kann, um ihre Kompetenz und ihre Problemnähe zu den Volkshochschulen vor Ort mit einzubringen und das sozusagen als nebenberufliche Tätigkeit zu machen."

Aber die Zeiten haben sich geändert, meint Hartmann. Heute sei der abendliche Kurs des Lateinlehrers an der Volkshochschule nicht mehr das typische Angebot: "Das mag nach dem Krieg, zu Beginn typisch gewesen sein für kleinere Volkshochschulen. Gibt es zum Teil immer noch, aber der wesentliche Stundenumfang, circa 70 Prozent der Stunden in Berlin, werden im Deutsch- und Integrationssprachkursbereich gemacht. Und es gibt über 800 Dozentinnen, die arbeitnehmerähnlich hier arbeiten."

Mit 35 Euro pro Unterrichtsstunde gehören die Dozenten in Deutsch- und Integrationskursen an den Volkshochschulen übrigens zu den bestbezahlten. Für die übrigen Kursstunden liegt der durchschnittliche Stundensatz bei etwa 20 Euro.
*)Anmerkung der Redaktion: Wir haben den ursprünglich falsch geschriebenen Namen der Interviewpartnerin korrigiert.
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