Arbeitsmarktexperte über Hartz IV-Sanktionen

"Das Jobcenter ist dafür da, Probleme anzugehen"

08:27 Minuten
Eine Frau steht mit einem Schild während der mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit von Hartz-IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Sozialgericht Gotha hält die Praxis, nach der Hartz-IV-Empfängern Leistungskürzungen drohen, wenn sie ihren Pflichten nicht nachkommen, für verfassungswidrig. Daher hat es einen Fall in Karlsruhe vorgelegt. Das Urteil wird in der Regel einige Monate nach der Verhandlung verkündet. Foto: Sebastian Gollnow/dpa | Verwendung weltweit
Sind Sanktionen ein Angriff auf die Menschenwürde? Protest gegen Hartz-IV-Sanktionen vor dem Bundesverfassungsgericht. © picture alliance/dpa /Sebastian Gollnow
Holger Schäfer im Gespräch mit Dieter Kassel · 05.11.2019
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Hartz IV-Kürzungen verstoßen laut Bundesverfassungsgericht teils gegen das Grundgesetz. Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft dagegen meint: Sanktionierte seien schneller wieder im Arbeitsmarkt.
Sanktionen gegen Hartz IV-Empfänger sind zum Teil unzulässig und eine Reihe von Kürzungen und Streichungen sind unvereinbar mit dem Grundgesetz. Zu diesem Urteil kamen die Richter des Bundesverfassungsgerichtes am heutigen 5. November. Die Bundesagentur für Arbeit soll aber grundsätzlich weiterhin Maßnahmen ergreifen dürfen, wenn Arbeitslose nicht mit dem zuständigen Jobcenter zusammenarbeiten.
Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge hatte im Deutschlandfunk Kultur gefordert, die Sanktionen grundsätzlich für nicht rechtens zu erklären. Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, widerspricht entschieden. Hartz IV, so Schäfer, fuße auf dem "Prinzip von Leistung und Gegenleistung". Und was die Gesellschaft für diese Leistungen erwarte, sei "dass derjenige sich bemüht, künftig ohne diese Leistungen auszukommen. Und das ist, glaube ich, auch etwas, das die meisten Menschen als gerecht empfinden".

Wichtiger Kontakt zu Hartz IV-Empfängern

Es sei wissenschaftlich untersucht und erwiesen, dass Hartz IV-Empfänger, die sanktioniert worden seien, "im Anschluss schneller in den Arbeitsmarkt zurückkehren als diejenigen, die nicht sanktioniert worden sind".
Im übrigen, sagt Schäfer, müsse schon einiges passieren, ehe Sanktionen verhängt würden. Kein Jobcenter-Mitarbeiter mache dies gerne. Für den Arbeitsmarktexperten haben die Jobcenter eine wichtige Funktion, denn:
"Wir müssen davon ausgehen, dass Hartz IV-Empfänger, um sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, vielfältige Unterstützung brauchen. Es gibt ganz unterschiedliche Problemlagen: Der eine ist gering qualifiziert, der andere hat irgendwelche psychosozialen Hindernisse. Dann gibt es welche, die eine Kinderbetreuung brauchen. Das sind verschiedene Probleme – und das Jobcenter ist genau dafür da, diese Probleme anzugehen."

Jobcenter nur noch Auszahlungsstellen

Wenn die Mitarbeiter aber überhaupt keine Handhabe hätten, mit den Menschen in Kontakt zu treten – der eine oder andere müsse auch aus einer Art Lethargie herausgeholt werden – "wird es sehr schwierig, irgendwelche Integrationsmaßnahmen oder Pläne zu entwickeln, wie man aus diese Lage wiederherauskommen könnte". In diesem Fall würden die Jobcenter zu reinen Auszahlungsstellen herabgestuft.
(mkn)
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