Arbeitsexperte über Funktion von Betriebsräten

"Wichtig ist das psychologische Empowerment"

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Die Illustration zeigt eine Gruppe von Arbeitnehmern, die sich zu einem Finger Richtung Arbeitgeber formiert. P
Für die Kluft zwischen Chefetage und Angestellten braucht es oft den Betriebsrat als Brücke. Doch wie sichtbar sind sie für Arbeitnehmer? © imago-images.de / Eva Beer
Carsten Schermuly im Gespräch mit Axel Rahmlow · 04.02.2020
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Viele Mitarbeiter wüssten nicht, wie Betriebsräte arbeiten und welchen Nutzen sie haben, sagt der Arbeitsexperte Carsten Schermuly. Doch ob eine Firma nun einen Betriebsrat habe oder nicht - wichtig sei vor allem die seelische Zufriedenheit am Arbeitsplatz.
Der Anteil der Firmen mit Betriebsrat sinkt. "Die betriebliche Mitbestimmung befindet sich seit geraumer Zeit auf dem Rückzug", heißt es in einer Analyse für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung aus dem Jahr 2018. Nach den jüngsten Zahlen arbeiten in Westdeutschland nur noch 42 Prozent der Beschäftigten in einer Firma mit Betriebsrat, im Osten sind es 35 Prozent.
Für den Arbeitsexperten und Wirtschaftspsychologen Carsten Schermuly sind Betriebsräte auch 100 Jahre nach ihrer gesetzlichen Verankerung noch immer ein wichtiges Gerüst der Arbeitnehmervertretung. Die Komplexität einer sich rasant wandelnden Arbeitswelt stelle eine so große Herausforderung dar, "dass sich nicht jeder Mitarbeiter um jedes einzelne Thema kümmern oder darin kompetent sein kann". Deshalb seien Betriebsräte sinnvoll.

Direkter Draht nur in kleinen Unternehmen

Gerade von jungen Startups ist häufiger zu hören, Betriebsräte seien in ihrer Struktur zu behäbig, um mit dem Tempo der Arbeitswelt 4.0 Schritt halten zu können. Der Anspruch vieler Unternehmensgründer: Er oder sie hat einen direkten Draht zu seinen/ihren Mitarbeitern und spricht über Probleme und Bedürfnisse auch direkt mit ihnen. "Das funktioniert natürlich super mit 20 Mitarbeitern, das funktioniert klasse auch mit 30 Mitarbeitern. Aber ab 100, ab 200, 500 oder vielleicht auch ab 1000 Mitarbeitern ist das natürlich wesentlich schwieriger", sagt Schermuly.
Wichtig sei in einem Unternehmen vor allem "das psychologische Empowerment" der Belegschaft. Dabei gehe es "um das Erleben von Selbstbestimmung, um das Erleben von Einfluss, von Bedeutsamkeit und von Kompetenz am Arbeitsplatz". Seien diese vier Facetten erfüllt, "dann fühlen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empowert". Und dadurch würden sie auch glücklicher. Schermuly hat in seiner eigenen Studie zutage gefördert, dass dieses Glücksgefühl auch Einfluss auf das Renteneintrittsalter habe: Wer den Eindruck habe, in allen vier Facetten zum Zuge zu kommen, gehe bis zu fünf Jahre später in Rente als andere.

Wie sollten Betriebsräte auftreten?

Das könne durch viele verschiedene Maßnahmen gefördert werden , unter Umständen auch ohne Betriebsrat. Doch in verschiedenen Bereichen brauche es eben Experten wie einen Betriebsrat, die der Chefetage beratend zur Seiten stehen.
Schermuly sagt weiter, sein Eindruck sei, dass heutzutage im Arbeitsalltag viele gar nicht so recht wüssten, welche Aufgaben ein Betriebsrat eigentlich habe. Die Betriebsräte sollten sich deshalb auch Gedanken darüber machen, wie sichtbar sie eigentlich für die Mitarbeiter seien und wie sie wahrgenommen würden. "Für viele ist der Betriebsrat oder die Gewerkschaft ein alter Mann, der abends in der Talkshow sitzt und sich mit Christian Lindner streitet." Und das reiche nicht.
(mkn)
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