Aranesisch

Wenn Sprache durch Liebe verschwindet

04:28 Minuten
Blick auf das Arantal. Im Vordergrund ein Dorf mit Wohnhäusern und Kirche, im Hintergrund die Pyrenäen.
Im Arantal leben 10.000 Menschen. Schätzungsweise 17 Prozent von ihnen sprechen noch Aranesisch. © picture alliance / dpa / Reinhard Kaufhold
Von Oliver Neuroth · 24.06.2019
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In Montreal treffen sich derzeit Sprachwissenschaftler aus aller Welt, um darüber zu beraten, wie man aussterbende Sprachen am Leben erhalten kann. Dazu gehört auch das Aranesische: Eine Sprache, die nur in einem einzigen Pyrenäen-Tal gesprochen wird.
Saftig grüne Weiden, die von Wanderwegen durchkreuzt werden. Ein Bach, der jetzt im Frühsommer fast ein reißender Strom ist. Die Sonne scheint vom blauen Himmel.
In der Ferne: knapp 3.000 Meter hohe Berge, deren Spitzen noch schneebedeckt sind. Wer im Val d’Aran steht, dem wohl bekanntesten Pyrenäen-Tal, könnte auch meinen, in den Alpen zu sein. Wäre da nicht die spezielle Sprache der Bewohner.
Monica spricht Aranesisch, wenn sie in eine der Bäckereien von Vielha kommt, dem Hauptort des Tals. "Heute ist ein schöner Tag", sagt Monica. Auf Spanisch klingt das ganz anders.
Bäcker José mag es, wenn seine Kunden Aranesisch sprechen. Das sei natürlich keine Pflicht, sagt er lachend. Aber er wolle die Kultur seiner Heimat pflegen, vor allem die eigene Sprache:
"Ich spreche mit allen Leuten aus dem Tal Aranesisch. Aber wenn wir ehrlich sind, ist es eine Unterart des Okzitanischen."

Das Aranesische hat viel vom Katalanischen

Eine romanische Sprache, die vor allem im südlichen Drittel Frankreichs und in Monaco gesprochen wird – ein bis zwei Millionen Menschen verwenden das Okzitanische nach Schätzungen im täglichen Leben. Katalonien ist die einzige Region, in der eine Form des Okzitanischen den Status einer Amtssprache hat – nämlich das Aranesische.
Das katalanische Autonomiestatut aus dem Jahr 2006 gibt der Sprache diesen Rang. Jusèp Sans ist der Präsident des Instituts für aranesische Studien in Vielha. Er stellt klar: Das Aranesische hat viele Elemente der Katalanischen Sprache:
"Die Sprache hat aber auch einige Charakteristiken, die sie klar vom Katalanischen unterscheiden. Zum Beispiel das Doppel-L, das im Aranesischen immer ein L-H ist. Oder das N mit der Tilde, das ist bei uns ein n-h. Das sind charakteristische Formen, die aus dem Mittelalter kommen – aus einer Rechtschreibung, die sich 'grafia classica' nennt."
Doch diese Rechtschreibung beherrschen heutzutage nicht mehr allzu viele Menschen. Etwa ein Drittel der rund 10.000 Einwohner des Val d’Arans kann Aranesisch schreiben. 80 Prozent der Bewohner versteht die Sprache – doch tagtäglich verwendet wird sie von nur noch schätzungsweise 17 Prozent, also etwa 1.700 Menschen.

Zuwanderung und Liebe lassen die Sprache verschwinden

Vor zehn Jahren waren es noch 2.300. Die Zahlen kommen vom katalanischen Statistikinstitut. Aranesisch-Forscher Sans macht für diese Entwicklung die Einwanderung mitverantwortlich: Tausende Menschen sind in den vergangenen Jahren zugezogen, weil es viele Arbeitsplätze im Tourismus gibt. Das Val d’Aran gehört zu den wichtigsten Skigebieten Spaniens.
"All diese Migranten kamen aus südamerikanischen Ländern, aus Rumänien oder den Maghreb-Staaten. Klar, sie sprechen andere Sprachen. Durch diese Menschen wuchs die Einwohnerzahl im Tal und es sank der Anteil der Menschen stark, die unsere Sprache tagtäglich sprechen. Denn eine kleine Bevölkerungsgruppe, wie wir es sind, kommt mit der Sprache natürlich nicht gegen mehrere tausend Zugezogene an."
Doch nicht nur der Zuzug im großen Stil macht dem Aranesischen zu schaffen - auch familiäre Veränderungen im Kleinen:
"Wenn in einem Drei-Personen-Haushalt, in dem alle Aranesisch sprechen, der Sohn eine Frau heiratet, die nur Spanisch spricht, führt das mittelfristig dazu, dass in diesem Haushalt zu 70 Prozent Spanisch gesprochen wird. Das belegen Studien, die wir gemacht haben. Dazu kommt es also, wenn sich ein spanisch-sprechender Mensch in einen aranasisch-sprechenden verliebt", sagt der Sprachforscher schmunzelnd und fügt hinzu, dass er grundsätzlich natürlich nichts gegen Liebesbeziehungen zwischen dem Val d’Aran und dem restlichen Spanien einzuwenden hat.
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