Arabische Touristen in der Schweiz

Heidi Halal

Eine Muslimin mit Kopftuch schaut auf den Lungernsee im Kanton Obwalden in der Schweiz.
Eine Muslimin mit Kopftuch schaut auf den Lungernsee im Kanton Obwalden in der Schweiz. © imago/Geisser
Von Kai Adler · 26.08.2018
Verschleierte Frauen vor idyllischer Bergkulisse: In der Schweiz ist dies ein gängiges Bild. Touristen aus den Golfstaaten reisen in den Sommermonaten zuhauf ins kühle Alpenland und haben viel Geld im Portemonnaie. Aber die Einheimischen fremdeln.
Wie eine Spielzeugeisenbahn zum Mitfahren wirkt der kleine Zug: Bunt bestrichen und auf Rädern fährt er Touristen zur Stadtbesichtigung durch den Ort.
"Wir heißen die Gäste auf unserer Tour mit der Bödeli-Bahn willkommen. Bödeli heißt diese Gegend zwischen dem Brienzer und dem Thuner See. Der Name Interlaken leitet sich von dem lateinischen Begriff inter lagos ab, was so viel heißt wie 'zwischen den Seen'."

Hochzeitsreise von Katar nach Interlaken

Interlaken mit seinen gerade mal fünfeinhalbtausend Einwohnern gehört zu den beliebtesten Tourismusorten der Schweiz. Die kleine Besichtigungsbahn ist kaum zum Stehen gekommen, schon sind die zwei Wagons wieder gefüllt - mit chinesischen, indischen und arabischen Gästen.
"We are from Katar, we stayed in Luzern for three nights and today we come to Interlaken."
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Teure Schweiz: Ferntouristen kommen, Europäer bleiben weg.© Deutschlandradio / Kai Adler
Das junge Paar aus Katar hält Händchen, sie schmiegt sich schutzsuchend an ihn. Ihr Honeymoon, sagt er und wirkt in Jeans und Shirt sehr westlich. Sie möchte lieber nicht antworten. An ihren Händen sind noch Reste der Hennabemalung von ihrer Hochzeitsfeier. Das hübsche Gesicht ist von einem hellen Kopftuch umrahmt, der Körper von einem weiten Gewand verhüllt.
Der Guide erklärt weiter: "Now in front of you is the Aere river, which runs down from the Grindelwald area and traverses to the lakes of Brienz and Thun."
Vom Stadtzentrum aus geht es über eine Brücke weiter in den Stadtteil Unterseen. Grelltürkis mit weißen Kronen schäumt die Aare durch den Ort, so als hätte ein Maler bei der Gestaltung des Flusses im Überschwang zu viel Farbe verwendet. Die Berge liegen im Hintergrund wie frisch geputzt, auf den Gipfeln blitzt silbrigweiß der Schnee.
Tassen in rot-weiß, Kuhglocken, Schokolade
Der Souvenirhandel blüht wie lange nicht.© Kai Adler
"On the left you see the two oldest wooden houses in this area, owned by the same family since many generations."
Wenige Fahrminuten später erreicht die Bödelibahn den Ortsteil Matten. Eine Bergdorfkulisse, die fast zu perfekt scheint. Die historischen Bauernhäuser wirken unbewohnt, so sauber sind sie, fast möchte man die Geranien in den Blumenkästen befühlen und auf ihre Echtheit prüfen.
"Have you heard of the name Hardermannli? The Harder Man is the name of the face in the Harder mountain, we will stop at the best place to see it."

Den Europäern ist die Schweiz zu teuer

Der kleine Zug kommt unterhalb des großen Felsens zum Stehen. Hardermannli: Der Fels auf dem Berg Harder Kulm bei Interlaken sieht von hier unten betrachtet aus wie ein riesiges Gesicht mit Schnauzbart. Grimmig blickt der Hardermann auf das Wallis. Hier unten, wo sich schon an diesem Vormittag die Touristenmassen tummeln, lebten früher ausschließlich Bauern, dann kamen die Besucher und mit ihnen neue Einkünfte.
Seit einigen Jahren kommen vor allem Ferntouristen. Heute ist nur ein älteres Ehepaar aus Europa dabei. Unter den Wartenden: Frauen in Saris, einige sind auch in den Niqab, den arabischen Ganzkörperschleier gehüllt. Eine Touristengruppe kommt aus Fernasien. Die Seilbahn wird sie für 38 Franken pro Person in nicht einmal zehn Minuten auf den Harder Kulm in 1322 Meter Höhe befördern.
Bergtourismus ohne Wandern - über den schmalen Weg zwischen Seilbahn und Aussichtsplattform schieben sich die Menschen, nur ein paar Meter weiter beginnt bereits die Gaststätte.
"Als der Massentourismus angefangen hat, das ist wie in Venedig oder Paris, das wird immer schlimmer. Es ist so, wir sind hier der Top Spot der Touristen in der Schweiz. Wir haben hier einen sehr starken Rückgang gehabt von den europäischen Ländern. Das ist natürlich bedingt auch durch den Wechselkurs, deshalb haben wir immer saisonweise, also im Moment ist die Arab Season, vorher waren die Inder, die Inder Season und jetzt kommen langsam die Chinesen."

Halal-Burger im Bergrestaurant

Dieter Eggerter leitet das Bergrestaurant seit über zehn Jahren. Eigentlich habe er immer auf einem Flughafen arbeiten wollen, sagt er, nun bewirtet er eben jene Gäste, die dort gelandet sind. Fast jeder hier oben ist ein Fernreisegast. Das ist der Trend.
"Die Kommunikation mit denen, das ganze Verhalten, das ist ganz anders als früher. Die ersten Inder, die wussten noch nicht einmal, was Toiletten sind oder die ganzen Angewohnheiten der Chinesen, die hatten auch ein bisschen Probleme, sich in der Welt zurechtzufinden. Die Araber kommen seit fünf Jahren, seither haben wir den Boom, und am Anfang waren sie alle verschleiert. Heute trägt vielleicht noch ein Prozent Burka. Die Araber sind einfach unsere liebsten Gäste. Die möchten alles kennenlernen, die nehmen jetzt zwei Mal Pizza, dazu zwei Mal Fondue und noch einen Smoothie und einen Orangenjus. Die sind nett und außerdem ist die Kaufkraft einfach riesig. Sie essen doppelt so viel wie ein Schweizer."
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Idylle von oben. Die Gondel macht es möglich.© Kai Adler
Das Fondue hier oben wird selbstverständlich ohne Alkohol zubereitet und auch der Burger ist ganz halal, den muslimischen Speisevorschriften entsprechend. Die Kuhglocken, Schlüsselanhänger mit Alpenblumenintarsien und Käppis mit Schweizer Kreuz am Souvenirstand kommen bei allen gut an, sagt der Restaurantleiter.
Die Aussichtsplattform gibt den Blick frei auf das kleine Städtchen, das zwischen den von Bergketten gesäumten Thuner und Brienzersee liegt: Inter lagos, zwischen den Seen - Interlaken. Obwohl die Plattform nur etwas für Schwindelfreie ist, ist hier kaum ein Platz mehr zu bekommen - besonders jener neben der Plastikkuh, die über dem Wallis thront, ist für Selfies heiß begehrt. Der Himmel hängt voller Paraglider.
"Wir haben den weltgrößten Start von Tandemflügen. Wir haben 170 Leute, die das anbieten. Früher durfte eine Frau nur mit einer Frau fliegen, heute ist das alles anders. Vor ein paar Jahren sind die alle noch verwickelt gekommen, heute zeigen die lieber die schöne Tasche auf dem Tisch, das hat sich total geändert."

Snapchat und Facebook statt Reisebüro

Die Tasche auf dem Tisch ist ein kleines, goldfarben verziertes Reiseköfferchen von Louis Vuitton und gehört zu der 30-jährigen Amna. Die Lehrerin aus dem Oman ist mit ihren beiden jüngeren Brüdern angereist. Sie trägt einen weiten Anzug aus teurem Stoff, die Haare sind von einem Kopftuch verhüllt, das Gesicht ist sorgsam geschminkt.
"We are looking fo the good weather, in my home town it is about 40 or 50 degrees. I find lots of people from my country. We saw this in social media and we decided to come here, it is more on snapchat than on facebook."
Die Social Influencer schreiben über die Schweiz, posten Videos und Fotos. So entdeckten Amna und ihre Brüder das Alpenland, jetzt sind sie hier.
Noch schneller als hinauf fährt die Seilbahn vom Harder Kulm wieder hinab ins Wallis. Ein kurzer Spaziergang führt die Hauptstraße entlang - sie gleicht eher einem Boulevard, so breit ist sie, so prachtvoll sind die Hotels hier. Die nobelste Adresse aber liegt gleich im Stadtzentrum: das Hotel Jungfrau Victoria. Von hier aus lässt sich die große Flaniermeile um die Höhematte, eine von Bäumen gesäumt Wiese, gut überblicken.
In der Empfangshalle plätschert ein Springbrunnen, gesprochen wird nur in gedämpfter Lautstärke. Durch eine Glaswand lässt sich vom Empfang aus direkt in den Cigar Room mit dem Guckkasten schauen, in dem ein Humidor die dort lagernden Zigarrenblätter in feinen Nebel hüllt. 570 Euro die Nacht kostet hier das kleinste Zimmer, mehrere Tausend die Suite.

Auf der Sonnenterasse gleich vor dem Haus ist an diesem späten Vormittag noch kaum etwas los. Später, so sagt Peter Kerckhoff, würden hier die arabischen Gäste sitzen. Kerckhoff, gelbes Polo-Shirt, dezentes, teures Parfum, sorgfältige Rasur, ist Hoteldirektor im Ruhestand. Jahrzehntelang hat er ein Nobelhaus im Ort geleitet. Er kennt den Tourismus in der Region seit den 60er-Jahren.
Blick auf das Hotel "Jungfrau Victoria"
Vor allem Ferntouristen trifft man auf der Terrasse des Luxushotels.© Kai Adler

Zuerst Russen, dann Chinesen, jetzt Araber

"Die Russen haben Interlaken verlassen. Man sieht ganz wenige russische Gäste noch. Wir haben nach einem neuen Markt gesucht. Der erste Fremdenmarkt, den wir bearbeitet haben, war der japanische. Nachher haben wir nach anderen Möglichkeiten gesucht, China war noch keine Rede davon, Indien überhaupt nicht, also haben wir dann viele Reisen gemacht in diese Gebiete und haben die Leute hierhergeholt."
Der gebürtige Holländer war einer der ersten, der Kontakte hergestellt hat.
"Der erste Kontakt mit den Golfstaaten, das war in Dubai, das war 1981. Das war sehr schwierig, denn man konnte nicht gut mit den Leuten verhandeln. Sie verhandeln alles mit Handschlag. Wenn man mit Verträgen kommt und sagt, das müssen sie unterschreiben, dann haben sie gesagt, no, no, no. Either you trust me or you don't."

Nach den ersten Kontakten ging es über zum "Angriff der Golfstaaten", wie Peter Kerckhoff kriegerisch formuliert. Inzwischen ist der Besucher aus dieser Region der Hauptgast im Hotel Jungfrau Victoria sowie in anderen Nobelhäusern Interlakens.
"Er wird von Hoteliers mit sehr viel Sorge umgeben. Zum Beispiel: Im Hotel gibt es einen Kompass, dass sie beten können, wann immer sie wollen. Und auch mit dem Essen, mit den Zeiten. Die essen zu anderen Zeiten als wir."
Ein paar Schritte weiter, auf der anderen Straßenseite des Hotel Jungfrau Victoria gelegen, befindet sich eine andere Institution Interlakens: das Grand Café Schuh. Es ist eines der ältesten Café-Häuser der Stadt, unter anderem soll Adenauer hier häufig Gast gewesen sein. Der Hauspianist trug zu jener Zeit wahrscheinlich keine Turnschuhe, aber gegeben hat es ihn sicher schon damals. Auf der Terrasse sitzt Renato Julier bei Kaffee und Kipferli. Er betreut für "Interlaken Tourismus" den Markt aus der Golfregion.
"Wir bearbeiten diesen Markt, da sind die Tour Operator, das sind die Agents, die in den Reisebüros vor Ort arbeiten. Die besuchen wir in Oman, in Katar, in Saudi-Arabien, wo auch immer. Wir haben auch einen Märktevertrag mit Schweiztourismus. Wenn wir dann unsere Sales Calls organisieren, helfen die uns auch bei der Organisation."

100.000 Übernachtungen aus den Golfstaaten

40.000 Einwohner hat die Gemeinde und verbucht jährlich rund 100.000 Übernachtungen allein aus den Golfstaaten. Renato Julier schaut über die Höhematte, jene Wiese im Zentrum des Ortes, auf dem im Fünfminutentakt die Paraglider landen. Ein sattes Lächeln macht sich auf seinem Gesicht breit.
"Die Araber sind auch wirtschaftlich sehr interessant: Die Ausgaben pro Tag belaufen sich auf 430 Schweizer Franken pro Person und pro Tag. Wenn man das weltweit vergleicht innerhalb der Märkte, die wir haben, dann ist das absolute Spitze. Wenn sie hier durch Interlaken schlendern, die vielen Geschäfte mit diesen Luxury Brands, wo sie einkaufen können. Die Araber lieben diese Erlebnisangebote - und Shopping ist auch ein Erlebnis."
Dass im altehrwürdigen Café Schuh neben den klassischen Kipferli und der Büntner Nusstorte inzwischen auch Halal-Buffet serviert wird, ist für Renato Julier eine Selbstverständlichkeit. Den muslimischen Speisevorschriften könne man inzwischen in allen größeren Restaurants der Stadt gerecht werden, sagt er und gerät ins Schwärmen.
"Wir haben einige Angebote, die sind richtig zugeschnitten für die Araber hier: Dann fährt ein Araber nach Stechelberg, kann mit der Bahn hoch, kann die Aussicht genießen. Jetzt krieg ich einen Halal-Burger, also wirklich einen zertifizierten Halal-Burger. Es gibt ein paar Informationen in arabischer Sprache. Dann geht der wieder runter, geht ein paar Wasserfälle anschauen, geht zum Brienzer See. Der ist eigentlich sehr einfach im Handling. Viele stellen sich den komplizierter vor, als er ist. Er ist neugierig, er ist wissbedürftig, also muss man ihn schon unterstützen vor Ort."
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Vermittler zwischen zwei Welten: Emad Boutrous erklärt arabischen Touristen, was sie in der Schweiz unternehmen können.© Kai Adler
Wir verlassen das Café und laufen wenige Schritte die Hauptstraße "Höheweg" weiter. Hinter einem roten Tisch, auf dem weiß das Schweizer Kreuz prangt, steht ein junger Mann in rotem Polo-Shirt. Unter seinem Käppi schauen Locken hervor. Sein Lächeln wirkt zurückgenommen, aber ausgesprochen freundlich und einladend.
"Ich arbeite für Jungfrauenbahnen im Sommer für Araber. Ich berate sie hier für die Region. Ich sage ihnen, was sie machen können: Sie gehen gern auf das Jungfraujoch, um Schnee zu sehen. Wir haben auch Grindelwald First, das ist eine Gondelbahn, da fahren sie mit der Gondel hoch und können sie auch ein paar Aktivitäten machen wie First Glider oder Mountain Car oder Mountain Scooter. Die Schweiz ist für sie ein Paradies. Sie haben hier zwei Seen, Wasserfälle haben sie auch jede Menge, Schnee im Sommer, das gibt es nicht in jedem Land. Das Jungfraujoch ist für sie ein zweites Mekka."
"Heidiland" nennt Emad Boutrous die Schweiz und es ist nicht klar, ob er das ironisch meint. Fast zehn Stunden pro Tag steht der gebürtige Ägypter im Sommer hinter dem Informationsstand in der Hauptstraße Interlakens zwischen Uhren-Shops, Souvenirläden und Nobel-Hotels. Auf seinem Shirt ist das Logo der Jungfraubahnen zu erkennen: "Top of Europe" steht da. Der Tourismusveranstalter ist sein Arbeitgeber und Anbieter vieler Ausflüge vor Ort. Auf dem Tisch liegen Broschüren in arabischer Sprache.

Spontane Araber treffen auf durchorganisierte Schweizer

"Die Araber sind spontan unterwegs, sie entscheiden gern kurzfristig, sie wachen um 9:10 Uhr auf und sagen, wir fahren auf's Joch vielleicht um 12 Uhr, und das ist dann zu spät. Sie haben keinen Plan. Es ist schwierig, mit Arabern eine geführte Tour zu machen. Wir haben das probiert, aber es hat nicht geklappt. Sie wollen einfach frei sein. Dann müssen sie einen Sitzplatz reservieren, Zug buchen und das ist auch schwierig, sie zu überzeugen, dass sie keinen Platz haben, wenn sie nicht buchen, dass sie zwei, drei Stunden stehen müssen. Sowas muss ich gut rüberbringen, Argumente vorbringen, damit sie reservieren, damit sie einen Platz haben."
Emad Boutrous hat in seiner Heimat Ägypten Germanistik studiert und dort als Tourismusführer gearbeitet. Zusammen mit seiner Schweizer Frau ist er nach mehreren gemeinsamen Jahren in Ägypten mit den Unruhen 2011 nach Interlaken gezogen. Trotz Sprachkenntnissen und einer gewissen Vertrautheit sei es ein Kulturschock gewesen, erzählt er. Ideale Voraussetzungen also, um nun für die arabischen Touristen als Kulturvermittler zu arbeiten.
Per Whatsapp ist er rund um die Uhr für die Gäste erreichbar. Doch auch er hat Schwierigkeiten, manches zu vermitteln - etwa die Regeln beim Autofahren, die in der Schweiz gelten. Immer wieder würden die Besucher der Golfregion schwere Unfälle verursachen und beispielsweise zwischen den Bahnschranken parken, nicht wissend, wie ein Bahnübergang funktioniert.
Ein junger Mann aus Katar kommt vorbei, er sucht nach Ausflugstipps. Emad empfiehlt ihm eine Tour mit dem Jetboat. Ich fahre mit. Ein Kleinbus hält direkt vor seinem Stand, holt die Gäste ab und bringt uns in das nur wenige Kilometer entfernte Brienz und an seinen See.
Der liegt ruhig und schattig da, wie gemalt. Doch hier geht es nicht um die Natur, sondern um Action. Andrea sitzt schon im Boot.
"The first meters we are not allowed to go with full speed, this is the rule we have in Switzerland, to protect the shoreline. After that we are allowed to speed up the boat!"

Action-Touren im Sitzen

Andreas Boot ist gefüllt mit Gästen aus der Golfregion. Die Frauen haben sich Mützen oder geliehene Regenjacken über die Schleier gestülpt, denn nun wird es nass. Im Stundentakt jagt Andrea mit dem gefüllten Jetboat über den Brienzer See, immer mit elf Passagieren, ihr Kollege fährt stündlich nochmal so viele. Andrea plaudert mit den Gästen. Sie kommen aus Katar und den Vereinigten Emiraten.
"Wir sind immer ausgebucht", erzählt sie und beschleunigt das Boot, das nun mit rasanter Geschwindigkeit über den stillen See fliegt. Die Gäste johlen, besonders wenn Andrea Spins, die 360 Grad Umdrehungen, mit dem Boot macht.
Inmitten des Sees bringt sie das Boot zum Stehen. Still und klar, in tiefem Türkis liegt der Brienzer See da. So als könnten ihm die Boote, die täglich auf seiner Oberfläche dahin rasen, nichts anhaben. Die Luft ist angenehm warm, eine sanfte Brise weht. Im Koran, hatte Emad, der Ägypter, gesagt, sei das Paradies als ein Ort von Seen und Bergen beschrieben. Hier lässt sich das leicht nachvollziehen.
Andrea erklärt auf Englisch: 260 Meter ist der See hier tief. Sein Wasser speist sich aus den Gletschern der umliegenden Berge und ist so klar, dass die Fische darin nur schwer überleben können. Sie finden nichts zu fressen.
Anderthalb Stunden später werden die Bootsgäste - nass und durchgerüttelt - vom Minibus wieder dort herausgelassen, wo sie abgeholt wurden: Im Zentrum Interlakens, zwischen Uhrengeschäften und Luxusboutiquen. Ich frage mich, wieviel Uhrgeschäfte braucht es? Und gebe die Frage weiter an Harris Islamovic, der im schicken Anzug Uhren zum Preis von 15.000 bis 20.000 Euro anbietet.
"Ich denke, solange es sich rendiert, gibt es - glaube ich - kein Limit. Wir müssen den Asiaten, den Chinesen danken, denn das würde hier nicht bestehen ohne diese Kundschaft. Die anderen Geschäfte sind noch exklusiver. Die haben Uhren im Wert von mehrere Hunderttausend Franken."

Exquisite Uhren als Souvenir

Es sind vor allem chinesische, nicht arabische Kunden, die hier kaufen, erzählt er, aber zahlungskräftig sind sie alle. Und abgeschirmt. Große, noch exquisitere Uhren-Läden oder Luxus-Boutiquen und auch die edlen Hotels wollen über ihre Klienten nicht sprechen, warum auch? Hinein kommt nur, wer Geld hat. Sehr, sehr viel Geld.
Abseits vom Zentrum, abseits von den Uhren-Geschäften, befindet sich das Hotel Rössli im Stadtteil Unterseen. Es ist Nachmittag, die alten Gäste sind verabschiedet, die neuen noch nicht gekommen.
Das kleine Hotel wirkt von außen wie ein Bauernhaus, einst stiegen die Kutscher hier ab, Durchreisende aus der Region. Es wirkt so normal, dass es in dieser Umgebung Exotenstatus genießt. Touristen können hier ab 70 Euro die Nacht ein Zimmer buchen. In der holzvertäfelten Bibliothek gibt es den ganzen Tag über Tee und Kaffee. Das kleine Hotel wird bereits in der zweiten Generation familiengeführt, Gäste werden hier gern bewirtet - nicht unbedingt aber die arabischen.
"Wir schütteln Hände, wir fragen wie war der Tag, kann ich was tun - da kommen wir auch wieder an die Grenze mit den arabischen Gästen, weil mit der verhüllten Frau darf mein Mann nicht reden, ich darf dem Mann nicht in die Augen schauen, wir dürfen nicht Hände schütteln, es ist nicht sehr angenehm, weil wir hier offen sind. Es gibt eben Berührungsängste, die wir nicht wollen. Und dann denke ich, okay, dann sind die in einem Vier-, Fünf-Sterne-Haus besser aufgehoben, weil dort die Distanz besser gewahrt wird."

Missverständnisse auf beiden Seiten

Nadine Admirat ist eine zierliche junge Frau mit offenem Gesicht. Seit vier Jahren betreibt sie das Hotel zusammen mit ihrem Mann.
"Sie möchten gern Zimmerservice haben, sie möchten gern in Privatsphäre essen, wir können das nicht bieten. Sie möchten Kofferservice, Wäscheservice, jeden Tag Handtücher wechseln. Sie reisen als Familie, sie sind gern willkommen, auch die Kinder, nur möchten sie halt nicht zahlen für die Kinder. Oder sie buchen ein Doppelzimmer und sie kommen zu viert, sie buchen ein Dreibettzimmer und kommen zu fünft."
Ihr Mann habe Gäste schon nachts aus dem Zimmer holen müssen, weil diese heimlich zu viele Personen dort untergebracht hätten, erzählt sie.
"Dann haben wir oft Probleme mit dem Badezimmer. Sie schrauben den Duschkopf ab, um ihr Geschäft zu reinigen. Seit diesem Jahr verlangen wir eine Unterschrift, dass sie das Zimmer nicht überfluten können, sonst müssen sie bezahlen. Seit sie unterschreiben müssen, klappt das. Muss aber sagen, dass sind nicht nur die Araber, das sind auch die Inder, teilweise auch die Chinesen, aber vor allem die Araber."
Sie betont, dass sie allen Gästen gegenüber offen sei. Aber der kleine Hotelbetrieb käme mit den neuen Besuchern oft an seine Grenzen.
Wie mit den zahlungskräftigen, aber fremden Gästen und ihrer Kultur umzugehen sei, darüber sind sich die Schweizer insgesamt uneins. Die Burka ist seit 2016 im Kanton Tessin offiziell verboten, im kommenden Jahr soll es landesweit eine Volksabstimmung über das anstößige Kleidungsstück geben. Vorangebracht hat das die rechtsnationale Schweizerische Volkspartei, die auch schon das Minarettverbot erwirkt hat.
In einem Café in Unterseen treffe ich Franz Christ: fedriger grauer Haarschnitt, Bikerboots, schwarze Jeansjacke. Er ist Präsident der ortsansässigen Parteivertretung und sich selbst nicht sicher, ob die Abstimmung zum landesweiten Burkaverbot tatsächlich stattfinden wird.
"Das Burkaverbot, das wird nicht explizit für Touristen gemacht. In Interlaken ist ja vor allem der Tourismus betroffen. Deshalb würde ich hoffen, dass man mit diesem Gesetz den Leuten freundlich begegnet und versucht, das nicht durchzusetzen. Aber sonst in der Schweiz gibt es schon solche Tendenzen, wo sich viele Muslime niedergelassen haben, und es muss klar sein, dass wir uns in der Schweiz nicht dem Islamismus beugen. Wenn man sich auch noch die Bevölkerungsraten anschaut, die Geburtenraten, dann würde ich mal die Prognose wagen, dass in 30 Jahren die Mehrheit im Nationalrat muslimisch ist."

Was tun, wenn das Burka-Verbot kommt?

Die Hochrechnung ist gewagt, denn der Statistik zufolge sind 5,1% der Schweizer Bevölkerung Muslime. Hinzu kommen Muslime, deren Asylgesuch noch nicht entschieden ist.* Kaum eine Muslima, die in der Schweiz lebt, trägt Burka. Die zahlungskräftigen Touristinnen aus Saudi-Arabien hingegen schon. Schwierige Sache. Denn wenn ein Burkaverbot gilt, dann gilt es ja für alle. Womöglich bleiben die reichen Araber dann weg. Franz Christ wiegt seinen Kopf.
Das Zentrum Interlakens füllt sich am späten Nachmittag, fast alle Bänke auf der Höhematte, Interlakens Flaniermeile, sind nun besetzt. Nicht wenige der Frauen hier tragen Niqab und sogar Burka. Auf einer Bank sitzt Mohammed Abdallah mit seiner Nichte und zwei Schwestern. Die Frauen tragen schwarze Burka, haben jedoch für den Moment die Gesichtsverhüllung abgenommen.
"Du fragst nach dem Essen und wie wir zurecht kommen? Nun, das Schwierigste war erst einmal, das Visum zu bekommen, eine zweimonatige Prozedur. Was das Essen angeht: Es ist für uns kein Problem, von Christen oder Juden Essen serviert zu bekommen. Wichtig ist einfach, dass es der Scharia gemäß weder Alkohol noch Schwein enthält, dann ist alles okay. Was die Kultur angeht, die Kleidung, ja da gibt es Unterschiede und manchmal Schwierigkeiten wegen des Niqab, des Ganzkörperschleiers. Manchmal lachen Menschen über uns und zeigen auf uns. Einmal, da wollten wir in Genf zu Mittag essen, da hat eine alte Frau von ihrem Balkon heruntergerufen, dass wir drinnen essen sollen. Das ist Rassismus. Aber ich kann nicht sagen, dass solche Erlebnisse für die Schweiz stehen, nein, die Menschen hier sind offen und tolerant."
Die Gruppe ist schon zum zweiten Mal von Saudi-Arabien in die Schweiz gereist, um während der heißen Sommermonate hier zu urlauben.
"Meine Schwestern und meine Nichte tragen Burka. Sie öffnen sie, wann immer sie das brauchen. Das ist eine religiöse Vorschrift, keine kulturelle. Diese Länder, die die Burka schon verboten haben - nun, es geschieht angeblich aus Sicherheitsgründen. Aber wenn diese Gefahr nicht existiert, ist das meiner Meinung nach einfach Rassismus."

"In der Schweiz gibt es auch arme Leute!"

Unterdessen halten sich in Interlaken die meisten Geschäftsleute an die Devise: "Wes Brot ich eß, des Lied ich sing." Hotels, Luxus-Läden, Uhren-Geschäfte, Souvenirläden – sie alle profitieren, Burka hin oder her.
Lucie Ramu nicht. Sie hat zwischen Bahnhof und Zentrum ihren Stand aufgebaut und sitzt da, wie aus der Zeit gefallen: weiße kurze Haare, Brille, Stricknadeln in der Hand, hinter einem Tischchen, auf dem allerlei Selbstgenähtes und -gestricktes aufgereiht ist: kleine Tierfiguren und Pulswärmer mit aufwändig eingearbeitetem Perlenschmuck. 45 Franken kosten die Pulswärmer. Eigentlich ein schönes Souvenir für jemanden, der seine Handgelenke bedeckt halten muss, oder?
"Die sind zu teuer für die Araber. Die kommen mit Golduhren, mit Ketten, alles - und dann nehmen sie das Handy und tippen ein und sagen: too much. Und ich habe da zehn Stunden dran zu tun, bis ich da die Perlen aufgezogen habe, das sind zwischen 700 und 800 Perlen."
85 Jahre ist sie alt und längst Rentnerin. Sie hat in einem Nachbarort im Verkehrsbüro gearbeitet und Gästebuchungen verwaltet. Seit fast zehn Jahren verkauft sie nun ihr Handwerk.
"Das ist mein Hobby und das mache ich zusätzlich zu meiner kleinen Rente. Ich will die Rente aufbessern, in der Schweiz gibt es auch arme Leute."
Pferdekutsche mit teilweise verschleierten Passagieren
Vor allem die arabischen Gäste drehen gerne eine Runde mit der Kutsche - oder zwei, drei.© Kai Adler
Für die meisten Einheimischen ist die Arbeit im Tourismus einfach ein Job, den sie brauchen. Hansueli Gotti wartet an diesem Abend mit seiner Pferdekutsche auf Kundschaft. Der 30-Jährige passionierte Pferdekenner ist auf einem Bauernhof aufgewachsen, schon seine Großeltern kommen von hier.
Eigentlich hat er Anstreicher gelernt, arbeitet aber im Sommer als Reitlehrer und Kutscher für die Touristen. "Besonders die Araber lieben die Pferdefahrten", sagt er. Mit seinem langen blonden Pferdeschwanz und den zwei Dreadzöpfen unterm Strohhut fällt er auf.
"Wir haben fixe Preise, teilweise, wenn es denen Spaß macht, die bleiben zwei, drei Runden. Die zahlen egal was, wirklich, von denen könnte man vielleicht 200 Franken verlangen die halbe Stunde, egal, die würden zahlen. Aber am schlimmsten sind die Inder, das ist das schlimmste, die haben das Gefühl, die sind die Könige von Interlaken, nur weil sie ein wenig Geld haben. Die vor dem Fahren diskutieren wegen dem Preis, während dem Fahren wegen dem Preis, überall anhalten, mitten auf der Straße, egal, ob vor mir ein Bus ist oder nicht, Fotos machen. Die haben keinen Respekt vor gar nichts."

Kutschfahrer lernt Arabisch

Die Sonne taucht die zwei Kirchtürme des Ortes in warmes Orange. Hansueli fährt die Kutsche hinaus ins Nachbarsdorf, dorthin, wo seine Familie herkommt. Heute sind Tell-Festspiele, ein großes Freilichttheater-Event. Hansueli holt zwei einheimische Zuschauerinnen mit der Kutsche ab und bringt sie zu den Festspielen nach Interlaken. Eine halbe Stunde dauert die Fahrt.
Kühe grasen auf saftig grünen Wiesen, von dem aufgeregten Tourismus in Interlaken ist nichts mehr zu spüren. Fahrten wie diese macht Hansueli besonders gern. Dann philosophiert er über die unterschiedlichen Gäste. Und über die Araber im Besonderen, auf die er sich geschickt eingestellt hat.
"Die sind auch respektlos, aber die hören irgendwann mal auf, vor allem, wenn du die Sprache kannst. Ich hab das gelernt, also die wichtigsten arabischen Begriffe, die ich hier gebrauche. Das ist La, das heißt nein, dann Hallas, das bedeutet fertig, dann schuf, hina und when, das heißt schau, dort, wo. Dann wenn es zwei Personen sind für eine halbe Stunde, das heißt nossa und hamzi 50, sittin ist 60, sebein ist 70. Wenn du das ein bisschen beherrscht, geht das!"
Hallas, zurück in Interlaken, die Kutschfahrt ist beendet. Es ist früher Abend, in den Straßen macht sich eine fast mediterrane sommerliche Stimmung breit. Noch immer landen Paraglider auf der Höhematte. An der Straße steht ein Verkaufswagen, davor hat sich eine Schlange gebildet, es gibt Eis - die Kugel für 3 Franken 50.
Auf der Terrasse des mondänen Hotel Jungfrau Victoria ist nun kein Platz mehr zu bekommen. Viele junge Paare und wenige Familien sitzen dort und genießen die beschwingte abendliche Stimmung. Der Kleidung nach zu schließen, sind es ausschließlich arabische Gäste. Auf dem Rasenstück zwischen Terrasse und Straße ist ein Flügel aufgebaut, ein Pianist in schickem Anzug spielt Beatlesklassiker.
Hansueli, der Kutscher, hat dem Pferd einen Schluck Wasser gebracht und ist schon längst wieder aufgebrochen mit neuen Gästen. Erst um halb elf wird er seine Arbeit beenden, ganz genau so, wie seine Kundschaft es wünscht. Und dann: Hallas.

*) Wir haben die fehlerhafte Angabe im Nachhinein korrigiert.
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