Aprikosen und Wein von der Ostsee

Ist Meck-Pomm bald die neue Toskana?

12:54 Minuten
Reife Aprikosen hängen an einem Baum der Obstbauversuchsstation vom Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung in Müncheberg.
Reife Aprikosen kommen bald nicht mehr nur aus dem Süden. Auf Usedom werden 5900 Aprikosen-, 300 Nektarinen- sowie 300 Pfirsichbäume angepflanzt. © picture alliance/ ZB/ Patrick Pleul
Von Silke Hasselmann · 10.02.2020
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Wein, Safran oder Aprikosen aus Mecklenburg-Vorpommern. Landwirte beginnen, auf Kulturpflanzen zu setzen, die mit langen Trockenperioden umgehen können. Wer im Klimawandel Vorteile sieht, muss auch die Nachteile akzeptieren, warnt die Politik.
"Ja, in der Tat ist mir das schon untergekommen, dass nicht alle Menschen den Klimawandel negativ finden. Menschen, die sagen: "Na, das ist doch wunderbar. Dann haben wir doch hier bald Cote-d´Azur-Verhältnisse wie in der Mittelmeerregion". Und das wäre doch für den Tourismus dann ideal. Also diese Sicht der Dinge gibt es durchaus ernsthaft", erzählt Stefan Porembski, Botanik-Professor an der Universität Rostock.
"Ich sage dann, dass man dann bitte betrachten sollte, neben dem ökonomischen Aspekt des Tourismus, dass leider Gottes unsere Ökosysteme überhaupt nicht angepasst sind."

Südfrüchte aus Mecklenburg-Vorpommern

Darauf werden wir später genauer zu sprechen kommen. Denn Stefan Porembski ist auch der Direktor des Botanischen Gartens Rostock, und dort, so sagt er, lassen sich bereits erste Folgewirkungen des Klimawandels auf die heimische Vegetation beobachten. Doch für den Moment reden wir über eine weitere vorteilhaft erscheinende Folge des beschleunigten Klimawandels: Südfrüchte - angebaut auf freiem Feld in Mecklenburg-Vorpommern.
"Im Moment würde ich sagen, für Dinge, die noch nicht ganz winterhart sind, wird es schwierig. Aber wenn wir an Mandeln beispielsweise denken, also das sind durchaus ernstzunehmend Optionen. In der Tat: Dinge wie Aprikosen. Lavendel habe ich schon gehört und von Safran-Anbau. Also das sind alles Dinge, die im Mittelmeerraum seit langem kultiviert werden."
"Auf Usedom wurden jetzt sechs Hektar Aprikosenbäume gepflanzt. Es gibt Leute, die pflanzen Melonen an! Also vor 30 Jahren hätte man noch gesagt: Was soll das?", sagt Stefan Schmidt aus Rattey, einem Dörfchen am nordöstlichen Rand des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte. Er kennt die Obstbauern von der Rostocker Inselmühle, die im vorigen Herbst eine Ackerfläche auf der vorpommerschen Insel Usedom in eine Obstplantage verwandelten. Bald sollen dort insgesamt 5.900 Aprikosen-, 300 Nektarinen- sowie 300 Pfirsichbäume köstliche Früchte ausbilden. Unter freiem Himmel, wohlgemerkt!

Norddeutsche Weine gewinnen Preise

Stefan Schmidt selbst ist studierter Weinbauer und Kellermeister im Schlossgut Rattey. Wein aus Mecklenburg-Vorpommern? Ja, sagt Schmidt, gibt es wieder seit rund 20 Jahren und wird auch bei Wettbewerben in den klassischen südlichen Weinbaugegenden prämiert.
"Ahh, hier die Urkunden!"
"Ja, die habe ich gerade gerahmt. Das ist die Ausbeute von der Verkostung 2019. Wir haben hier ausschließlich 2018er Weine vorgestellt."
"Also das sind neun, das muss ich den Hörern kurz sagen."
"Ja, eine goldene und acht silberne."
Diplom-Oenologe Stefan Schmidt schaut durch ein Refrakometer, um den Oechslegrad der gelesenen Trauben zu bestimmen. 
Weinlese in Mecklenburg-Vorpommern: Winzer Stefan Schmidt prüft die Qualität der Trauben.© picture alliance/dpa/Stefan Sauer
Auf insgesamt fünf Hektar verteilt, gedeihen die wenig bekannten Rebsorten Solaris, Regent und Phoenix immer besser. Norddeutschlands größtes Weinanbaugebiet bietet den Rebstöcken ein sehr günstiges Bodenprofil, das sie auch in anhaltenden Trockenphasen mit genügend Feuchtigkeit versorgt. Hier scheint die Sonne im Frühjahr und Sommer bis zu einer Stunde länger als in Süddeutschland, und weil das Winterklima zusehends mild wird, beginne die frostfreie Blüte- und Reifephase immer eher im Jahr. Für den einzigen Mecklenburger Landwein extrem wichtig!
"Mittlerweile haben wir die früheste Lese überhaupt im Jahr 2018 gehabt. Da haben wir beim Solaris am 31. August angefangen mit der Weinlese. Das ist unglaublich! Wenn mir das einer vor 20 Jahren gesagt hätte, in Mecklenburg haben wir mal eine Weinlese im August, dann hätte ich gesagt: Spinn mal weiter."

Weinwirtschaft steht vor einem Umbruch

Auch auf der noch nördlicher gelegenen Ostseeinsel Rügen werde mittlerweile Wein angebaut, ergänzt Kellermeister Stefan Schmidt.
"Ja, es ist so: Der Klimawandel hat uns natürlich ein bisschen beflügelt hier oben im Norden, und der bringt natürlich einiges Kopfzerbrechen für die Winzer im Süden. Die überlegen jetzt zum Beispiel schon, ob sie nicht aus der Südlage rausgehen und vielleicht schon Flächen nehmen, die Richtung Norden zeigen. Oder ob sie nicht mehr die Flächen unten an den Flüssen wie Rhein oder Mosel haben, sondern dass die weiter nach oben gehen, wo vielleicht ein Grad, eineinhalb Grad weniger Temperatur ist. Ich sage mal, die Weinwirtschaft steht da auch vor einem Umbruch. Und - tja: Wer hätte vor zwanzig, dreißig Jahren gedacht, dass die typisch französischen und spanischen Rebsorten mal hier in Deutschland angebaut werden? Naja, Chardonnay vielleicht noch -, aber Cabernet Sauvignon oder Merlot - also, dass die typischen französischen und spanischen Rebsorten auch einmal in Deutschland angebaut werden? Also das hat kaum einer für möglich gehalten. Wir müssen gucken, wo die Reise hingeht. Aber wir wollen mitfahren!"

Mecklenburg-Vorpommern steuert auf Mittelmeerklima zu

Zurück in Rostock beim Direktor des Botanischen Gartens, Stefan Porembski. Er kennt die Klimamodelle, nach denen Mecklenburg-Vorpommern mittelfristig auf eine Art Mittelmeerklima zusteuert und im Jahresdurchschnitt mit etwas mehr Niederschlag rechnen kann als bislang. Nachschub für die angegriffenen Grundwasserspeicher. Das müsste eigentlich gut klingen in den Ohren eines Pflanzenkundlers. Doch bei der so wichtigen Wasserverteilung steckt der Teufel im Detail, denn es wird voraussichtlich vor allem in den Wintermonaten regnen.
"Das Problem ist nur: Gerade, wenn die Pflanzen das Wasser brauchen - im Frühjahr und im Sommer -, können wir im Moment gerade extreme Defizite verzeichnen. Zum Teil wird der Grundwasserspiegel im Herbst und Winter wieder aufgefüllt. Aber das reicht längst nicht aus, um die Nachfrage der Pflanzen später zu erfüllen. Wir können dramatische Veränderungen in der Waldvegetation schon sehen. Fast alle heimischen Baumarten zeigen massive Trockenschäden. Das heißt: In den heimischen Naturwäldern werden wir, wenn es so weitergeht, einen dramatischen Wandel in der Artenzusammensetzung sehen."
Der Politiker Christian Pegel (SPD), Energie- und Verkehrsminister von Mecklenburg-Vorpommern, im Porträt.
Christian Pegel gestaltet die "norddeutsche Toskana" mit.© dpa-Zentralbild/ Jens Büttner
Schwerin, Schlossstraße. Hier arbeitet Minister Christian Pegel, das Kabinettsmitglied mit den meisten Fachbereichen: Energie, Verkehr, Infrastruktur, Digitalisierung, Landesplanung, Bauen. Fast alles wird auch vom Thema "Klimawandel" berührt, und so befasst sich Christian Pegel immer mal wieder mit Klimamodellen und daraus abgeleiteten möglichen Folgen für das nordostdeutsche Küstenland.
"Mir fällt es immer schwer die positiven Seiten zu betonen, weil ich dann die Sorge habe, dass wir relativieren, dass wir eine Riesenaufgabe haben", sagt der SPD-Politiker und räumt dann doch ein, dass längere milde Winterperioden der Baubranche erlauben, Häuser und Straßen ohne Unterbrechungen zu bauen. Weniger frostbedingte Schlaglöcher in den Straßen seien ebenso von Vorteil wie der geringere Heizaufwand.
"Aber es kann auch jederzeit schnell wieder ein kalter Winter kommen. Von daher bedeutet es nicht, dass ich künftig keine Heizung mehr einbaue, wie das vielleicht südlichere europäische Länder tun. Aber wir werden sicherlich die härteren Winter eher seltener antreffen, als in der Vergangenheit, und das ist dann für manchen, der Schnee schieben oder gegen Eis streuen muss oder heizen muss, ein zunächst empfundener Vorteil."

Lebensgefühl wie am Mittelmeer

Die Aussicht auf heißere Sommer mit viel Sonnenschein und längeren Trockenperioden wiederum klingt zunächst, als könnte man dereinst im Ostseeküstenland Meck-Pomm ein Lebensgefühl wie heute am Mittelmeer genießen. Ja, sagt Minister Christian Pegel. Auch er höre so etwas gelegentlich von Bürgern. Aber:
"Das spielt ja gedanklich ein bisschen mit der Überlegung, dass Klimawandel bedeuten würde, dass wir einfach die südeuropäischen Verhältnisse hier hoch schieben und alles andere verändert sich nicht."
Er hält das für einen Denkfehler. So dürfe man nicht nur die vergleichsweise geringen Wechselwirkungen zwischen dem Klima und dem kleinen Binnenmeer Ostsee vor der eigenen Haustür betrachten. Viel wichtiger seien die großräumigen Wärme- und Kältetransporte in den Ozeanen. Denn die halten unser bislang gemäßigtes kontinentales Klima aufrecht.
"Wenn die unterbrochen werden, dann werden wir so deutliche Wetterveränderungen haben, dass möglicherweise nicht ein nettes Wohlfühlklima eintritt, wo alle begeistert sind und Urlaub machen können, sondern wo wir mit einem Mal im touristischen Bereich eine Situation haben, wo wir quasi zwischen unbeherrschbarem Wetter und warmem Wetter hin- und herschwanken."

"Wer Vorteile will, muss Nachteile mögen"

Außerdem sagt der Schweriner Energie- und Verkehrsminister: Wer die Vorzüge von Mittelmeerklima haben will, der müsste auch die Nachteile mögen.
"Dann verbinden sich damit auch Dinge, die wir gar nicht auf der Uhr haben. Am Ende des Tages habe ich zumindest Diskussionen in meinem Umfeld in Erinnerung, wie sehr manche Menschen Insekten und Spinnen und andere Tierarten, die mit größerer Wärme einhergehen, fürchten. Ich bin sehr vorsichtig zu sagen: Das ist ein Gewinnerthema für das Tourismusland."
"Also was Positives sehe ich nicht dabei. Das ist ein riesengroßes Experiment mit ungewissem Ausgang, und ich würde mal vorhersehen, dass das mit einem negativen Ausgang verbunden ist."
…legt sich auch Stefan Porembski über die möglichen Folgen eines beschleunigten Klimawandels fest. Wobei: Was negativ ist, liegt oft im Auge des Betrachters, zumal die Natur auch in Mecklenburg-Vorpommern zum großen Teil eine von Menschenhand gestaltete Kulturlandschaft ist.

Fichte und Buche werden verschwinden

Außerdem gilt auch in der Botanik: Allem Ende wohnt ein Anfang inne. Und ein Ende sei schon jetzt bei etlichen der uns vertrauten Pflanzen und Ökosystemen in Sicht, weil sie den zuletzt langen Trockenperioden nur noch wenig entgegenzusetzen haben. Auch aus Mecklenburg-Vorpommern werden vor allem angepflanzte Nadelgehölze wie die Fichte oder Laubbäume wie die majestätische Buche verschwinden, sagt der Botanik-Professor.
"Baumarten, die an Trockenheit angepasst sind wie die Robinien beispielsweise, die ja nicht in Mitteleuropa heimisch sind, die werden davon profitieren. Was wir auf jeden Fall schon registrieren können, ist, dass Ökosysteme wie Moore, die sehr an Wasser gebunden sind, massive Probleme bekommen haben. Dass da dann die entsprechenden Lebensgemeinschaften sich verändern werden und andererseits können wir jetzt schon beobachten, dass Lebensräume, die durch sehr wärmeliebende Pflanzen charakterisiert sind, die trockenheitsliebend sind, auf Sandflächen beispielsweise, Dünenvegetation unter anderem oder auf Felsköpfen, diesen Arten geht's prima. Die sind natürlicherweise angepasst an Trockenperioden und lange Dürrephasen. Und da könnten wir uns vorstellen, dass diese Arten sich dann weiter ausbreiten."

Umbau der Botanischen Gärten

Die schöne Moorwiese des Botanischen Gartens Rostock, eine Heimat von Orchideen, ist vor kurzem "trockengefallen", wie Direktor Porembski es ausdrückt. Das Grundwasserquellgebiet versiegt. Und zwar ohne direkten menschlichen Einfluss durch Abgraben, sondern wegen zu vieler langandauernder Trockenphasen ohne Regen. Nicht das einzige Opfer des beschleunigten Klimawandels und Anlass, neu über die Sammlung nachzudenken.
"Also in den Jahren 2018/2019 haben wir beispielsweise in Rostock Niederschlagshöhen gehabt, die um mindestens 30 Prozent unter dem langjährigen Mittel gelegen haben. Da können wir beobachten, dass wir Grundwasserstände so niedrig haben, wie wir das noch nie gemessen haben. Das können wir beispielsweise im Botanischen Garten nachvollziehen. Der Botanische Garten in Rostock, wie wir ihn jetzt hier haben, ist 1939 gegründet worden. Und in der Form, das merken wir, kann er nicht mehr weiterführt werden. Er muss deutlich umgebaut werden, und da denken wir im Netzwerk der deutschen Botanischen Gärten schon darüber nach, welche Pflanzenarten, welche Bäume, welche Kräuter können wir in Zukunft anpflanzen in den Schausammlungen? Und inwieweit können wir das, was wir in den Botanischen Gärten haben, vielleicht mal in die Natur herausbringen, damit wir Ökosysteme wie Wald oder Moore langfristig erhalten können?"

Geschwindigkeit des Wandels ist das Problem

Das Erdklima wandelt sich ständig. Auch in der Region des heutigen Landes Mecklenburg-Vorpommern wechselten sich Eis- und Warmzeiten, kamen bestimmte Pflanzen und Tiere und verschwanden wieder. Die meisten passten sich dem tausende Jahre währenden Wandel an. Warum sollte das diesmal anders sein, selbst wenn es schon in den nächsten Jahrzehnten zu einem Mittelmeerklima an der Ostseeküste käme? Stefan Porembski schüttelt den Kopf:
"Weil der Vorgang so schnell erfolgen wird, dass wahrscheinlich viele Arten gar nicht hinterherkommen können. Wir können davon ausgehen, dass viele Ökosysteme - vor allem Wald-Ökosysteme - großflächig zusammenbrechen, ohne dass sich in der kurzen Zeit dann andere Arten gleichzeitig etablieren können. Also der Zeitfaktor, die Geschwindigkeit - das ist das große Problem dabei."
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