Apothekerin über Aufstellungen nach Hellinger

"Aufstellungsarbeit hat meine Wahrnehmung verändert"

Zu sehen sind mehrere Playmobil-Figuren sowie einfache Holz-Figuren, die von einer Person auf einem Tisch aufgestellt werden.
Mit einer "Familienaufstellung" sollen Probleme oder Beziehungen sichtbar gemacht werden. © imago/ epd-Bild/ Werner Krueper
Elke Bartels im Gespräch mit Marietta Schwarz · 10.11.2018
Der Klient sucht sich Menschen, die anderen Menschen verkörpern. Dann stellt er sie ohne Vorgaben im Raum auf. Unklar ist, was dann passiert. Die Apothekerin Elke Barthels spricht von einem "wissendem Feld", in dem sich Gefühle der gemeinten Personen an ihre Stellvertreter übertragen.
Marietta Schwarz: Die so genannte Familienaufstellung nach Bert Hellinger war ja eine Zeitlang ziemlich umstritten, was aber auch mit der Person Hellingers zu tun hatte. Inzwischen geht es bei solchen Aufstellungen aber längst nicht mehr nur um den familiären Kontext. Was passiert eigentlich mit einem, wenn man in einer solchen Situation 'aufgestellt' wird, haben wir uns und eine Expertin gefragt, nämlich Elke Barthels. Sie ist Apothekerin und macht auch selbst Aufstellungen. Was ist das eigentlich genau?
Elke Bartels: Aufstellung bedeutet, dass man etwas sichtbar macht – Schwierigkeiten, Bewegungen, Gefühle, Beziehungen werden sichtbar gemacht. Das kennzeichnet die Aufstellungsarbeit.
Schwarz: Sichtbar gemacht mit verschiedenen Menschen im Raum.
Bartels: Zum Beispiel mit verschiedenen Menschen im Raum. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.
Schwarz: Und dann gibt es in der Gruppe immer einen, der seine Situation oder sein Problem aufstellen lässt von einem Leiter, einer Leiterin, wie Sie es jetzt zum Beispiel machen, die dann anleitet.
Bartels: Genau. Also das Aufstellen an sich, das macht der Klient. Das heißt, er sucht sich erst mal die Stellvertreter, die stellen sich dann in die Mitte, und der Klient nimmt dann diese Stellvertreter und führt sie dorthin, wo er das Gefühl hat, dass sie dort richtig sind. Wenn dann die Aufstellung beginnt, dann gehen diese Stellvertreter mit ihren Bewegungen, und daraus ergibt sich dann das Bild sozusagen.

Man zapft das "wissende Feld" an

Schwarz: Es scheint ja tatsächlich so zu sein, dass bei einer solchen Aufstellung, wo ja Menschen in einem Raum zueinander positioniert werden, Energien fließen.
Bartels: Genau. Also Basis des Ganzen ist das morphische oder auch morphogenetische Feld, was ganz schwer zu erklären ist, weil das ist so die Hypothese, dass dort alle Informationen gespeichert werden, und das wird auch als wissendes Feld bezeichnet, und dieses Feld sozusagen, das zapft man an mit so einer Aufstellung.
Schwarz: Unser Thema der Sendung ist ja "In deiner Haut", sprich das In-eine-andere-Haut-Schlüpfen. Jetzt habe ich gerade bei Wikipedia noch mal nachgelesen, da steht dann ganz deutlich: Familienaufstellungen sind keine Rollenspiele. Was unterscheidet die Aufstellung von einem Rollenspiel, und wo schlüpft man aber dann vielleicht doch in eine Rolle oder eine Funktion?
Bartels: Ein Rollenspiel, denke ich, da werden bestimmte Dinge vorgegeben, die dann gespielt werden. Bei einer Aufstellung ist der Ausgang immer eine konkrete Frage. Das heißt, es gibt immer jemanden, der so eine Aufstellung leitet. Dann kommt die konkrete Frage, und der Aufstellungsleiter entscheidet dann, welche Person oder welche Dinge aufgestellt werden. Dieses Aufgestelltwerden muss man sich dann so vorstellen, dass derjenige, also der Klient sozusagen, bestimmte Personen als Stellvertreter nimmt, und diese Stellvertreter, die gehen eben als Stellvertreter in diese Aufstellung, in eine Rolle. Aber es ist kein Rollenspiel, weil sie gehen dann mit den Informationen, die sie aus diesem Feld bekommen.
Schwarz: Aus dem Feld.
Bartels: Ja. Ich erzähle vielleicht die Geschichte, meine allererste Aufstellung. Ich mit aller Skepsis und völlig unerfahren, war als Stellvertreterin für eine Großmutter, und für mich war so dieser Satz wichtig, also wenn du nichts spürst, dann bleibst du einfach da stehen. Ich stand dann da, und dann habe ich wie eine Hand gespürt auf meiner rechten Schulter, die mich dann zu Boden gedrückt hat. Es war niemand in meiner Nähe. Das war für mich so ein ganz ausschlaggebender Moment, dass ich dachte 'Wow, da ist irgendwas'. Ich weiß nicht, was das war, aber es war etwas, was mich zu Boden gedrückt hat.
Schwarz: Und Sie sind dann zu Boden gegangen.
Bartels: Ich bin dann zu Boden gegangen, und das war dann auch letztlich stimmig für diese Aufstellung, dass ich einfach gar nichts hören und sehen wollte. Ich habe mir Augen, Ohren und alles zugehalten, aber diese Hand, die ich gespürt habe, das war für mich ausschlaggebend.
Schwarz: Haben Sie ähnliche Erfahrungen in anderen Aufstellungen gemacht?
Bartels: Ja. Ich habe viele Aufstellungen gemacht, und es gibt Erfahrungen, die man gar nicht so beschreiben kann. Erfahrungen zum Beispiel, auch freudige Momente, ganz traurige Momente, berührende Momente. Ganz unterschiedlich.
Schwarz: Ich wollte gerade fragen, das ist ja nicht unbedingt eine angenehme Situation, wenn die Hand auf der Schulter einen niederdrückt.
Bartels: Es ist so, dass man in dieser Rolle wirklich nur in dieser Rolle ist. Das heißt, man sollte seine eigene Persönlichkeit, seine Bewertung auch völlig ausschalten, und das ist, denke ich, überhaupt ein ganz großes Kriterium auch, dass man die Bewertung völlig außen vor lässt. Man nimmt es einfach so wie es kommt, wie es sich zeigt. Das ist auch das Phänomen des Aufstellens.

"Aufstellungsarbeit auch im Coaching"

Schwarz: Das heißt, man ist in einer Funktion und tut das für einen anderen?
Bartels: Ja, genau so. Wir sprechen jetzt hier über das Familienaufstellen, aber es ist ja so, dass diese Aufstellungsarbeit auch heute zum Beispiel im Coaching einen ganz großen Anteil auch hat, das heißt also auch im beruflichen Kontext wird aufgestellt. Ich hatte neulich eine Begegnung in der U-Bahn. Da saßen mir zwei junge Leute gegenüber, da ging es auch um ein berufliches Problem, und da sagt dann die Dame, es ist ein tolles Tool, um Bewegungen sichtbar zu machen, um Probleme sichtbar zu machen. Dieses Sichtbarmachen, das kennzeichnet, glaube ich, diese ganze Aufstellungsarbeit.
Schwarz: Und wie läuft das Handwerk, also wie gehen Sie vor, wenn Sie andere Leute anleiten, um diese Kraft, diese Energie frei werden zu lassen, von der Sie eingangs gesprochen haben?
Bartels: Darf ich dazu auch ein Beispiel erzählen? Ich habe gerade vor 14 Tagen … Also meine Mutter ist verstorben, und es ging darum zu entscheiden mit meinem Bruder und seiner Lebensgefährtin, ob sie noch mal in ihre Wohnung gehen kann oder ob sie in ein Heim kommt. Wir haben alle mit Gänsehaut da gesessen, wir wollten das nicht entscheiden. Ich habe dann diese Aufstellung vorgeschlagen, die beiden hatten das Wort noch nie gehört. Die waren aber so offen, das zu machen mit mir, und wir waren jetzt nur zu dritt. Ich habe dann einen bestimmten Verlauf vorgegeben. Mein Bruder und ich sozusagen die Entscheider, und seine Lebensgefährtin, das war die Stellvertreterin für meine Mutter. Es war ganz toll, muss ich einfach mal so sagen, obwohl das kein guter Anlass war, aber es war wirklich so, dass wir ein ganz eindeutiges Ergebnis hatten. Die beiden waren hinterher völlig fasziniert von dem, was mit ihnen passiert ist, gerade die Lebensgefährtin meines Bruders, die sofort in der Rolle meiner Mutter war, die ihre Ängste gespürt hat, ihren Kummer gespürt hat und die gleich auch angefangen hat zu weinen.
Schwarz: Das heißt, so eine Aufstellung liefert Antworten.
Bartels: Liefert Antworten, kann man so sagen.
Schwarz: Und wichtig ist ja dann auch, dass diejenigen, die an diesem Prozess beteiligt sind, diesen Antworten vertrauen, Glauben schenken.
Bartels: Ja. Das ist sicherlich richtig. Es spielt sich auf der Seelenebene ab. Das heißt, man geht jetzt nicht raus und erzählt allen davon, und man geht auch nicht aus der Tür und es ist alles schon passiert. Das kann durchaus längere Zeiträume in Anspruch nehmen, bis sich so etwas umsetzt.
Schwarz: Wie ist das eigentlich in einer Gruppe? Sie haben gerade erzählt, Sie waren schon mal in der Rolle, dass Ihnen die Großmutter die Hand auf die Schultern gelegt hat, Sie waren selbst die Großmutter. Stellen Sie fest, dass man in ähnliche Rollen gepackt wird oder ist es ganz unterschiedlich?
Bartels: Das ist ganz unterschiedlich. Ich sage mal, zumeist dauern diese Seminare ein Wochenende, wie auch immer, manchmal merkt man schon, aha, dieses Wochenende hast du die Mutterrolle, dann ist man häufiger in der Mutterrolle, man kann aber genauso gut auch die Tochter sein, die Ehefrau. Also es ist ganz unterschiedlich.

"Ich bin empathischer geworden"

Schwarz: Und wie unterscheidet sich das jetzt von Ihrer Arbeit zum Beispiel als Apothekerin, diese Erfahrung?
Bartels: Diese Aufstellungsarbeit hat meine Wahrnehmung verändert. Ich bin neutraler geworden in meinen Urteilen. Ich glaube auch selbst in meinem Apothekenalltag, wo es ja jetzt ums Beraten und ums Verkaufen von Medikamenten auch geht, sehe ich eher den Menschen. Das heißt, ich bin empathischer geworden. Das heißt, ich kann oder gehe anders auf die Menschen zu.
Schwarz: Das ist interessant, obwohl Sie ja auch erklärt haben, dass es eigentlich mit den Menschen dann erst mal gar nicht so viel zu tun hat.
Bartels: Das ist schon richtig, aber letztlich macht es was mit einem selber, weil man geht in diese neutrale Rolle, wo man doch sonst sehr, also ich zumindest war immer vorurteilsbehaftet, und das legt man dann, weil man eben in diese Aufstellungsarbeit immer ganz neutral reingehen sollte.
Schwarz: Das heißt, man stellt da auch so einen Filter ab, den eigenen.
Bartels: Ja, genau, diesen ganzen eigenen Wertefilter, den man so hat, den stellt man ab oder versucht es.
Schwarz: Wem würden Sie denn einen solchen Rollenwechsel empfehlen, oder wem würden Sie eine solche Aufstellung, sage ich mal, empfehlen?
Bartels: Jeder, der offen ist dafür. Manche sagen ja von vornherein 'Ach du liebe Güte, esoterischer Hokuspokus kommt gar nicht infrage'. Also das geht dann auch gar nicht, aber jeder, der dafür offen ist und in irgendeiner Form ein Problem hat, wie gesagt, wenn es nur die Planung der nächsten Urlaubsreise ist, kann man dort eine gute Hilfestellung bekommen.
Schwarz: Vielen Dank für das Gespräch!
Bartels: Sehr gerne!
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