Apocalyptica: "Cell-0"

Musik für monumentales Kopfkino

06:24 Minuten
Apocalyptica
Rocker, die auf Cellos schrammeln: Apocalyptica. © Odyssey Music Network
Von Marcel Anders · 08.01.2020
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Eigentlich haben die vier Finnen von Apocalyptica Instrumentalmusik mit Celli und Schlagzeug gemacht, dann haben sie sich einen Sänger dazugeholt. Das kam nicht so gut an. Jetzt kehren sie mit "Cell-0" zu ihrem Kerngeschäft zurück.
Es begann als Spaßprojekt – und wurde zum Big Business: Mit ihren Instrumental-Versionen von Metallica-Hits wurden die Cellisten von Apocalyptica Anfang der 90er selbst zu Rockstars. Jetzt – nach vier Millionen verkaufter Tonträger und Vorstößen in die konventionelle Rockmusik – besinnen sich die ehemaligen Studenten der Sibelius Academy von Helsinki ihrer Anfänge und vielleicht auch ihres Kerngeschäfts: Auf ihrem neuen Album "Cell-0" setzen sie wieder ausschließlich auf Streichinstrumente und kreieren ein Kopfkino der etwas anderen Art.
"Nachdem wir so viel Erfolg mit Vokalstücken hatten, wollten wir beim letzten Album 'Shadowmaker' einfach mal sehen, wie weit wir gehen können", sagt Eicca Toppinen. "Wir haben einen Sänger verpflichtet und Stücke geschrieben, die sehr Song-orientiert, also traditionell ausgerichtet waren. Und ich halte das Ergebnis immer noch für toll. Aber: Es lief halt nicht gut, weil die Fans es für das falsche Album für diese Band hielten. Eine Erfahrung, die uns die Augen geöffnet hat. In dem Sinne, dass wir wieder zum Kern, zum Ursprung unserer Musik zurückkehren wollten."

Album machen, ohne an Verkaufszahlen zu denken

Diesen Kurswechsel vollziehen Apocalyptica mit "Cell-0", ihrem ersten Album nach fünfjähriger Studio-Pause. Ein Werk, mit dem sich die Band aus Helsinki an ihren Anfängen orientiert: An reinen Instrumental-Stücken, die das Trio um Eicca Toppinen lediglich mit Celli und Schlagzeug komponiert – und bewusst auf Keyboards und Gesang verzichtet. Diese Klangfarben, so der 44-Jährige, seien ein reines Zugeständnis an die Musikindustrie gewesen, die den Sound des Trios zusehends kommerzialisieren wollte. Das habe zwar zwischenzeitlich funktioniert, aber auch für viel Frust, eine starke Verwässerung und eine kreative Sackgasse gesorgt. Aus der wollen sich Apocalyptica nun befreien.
"Wir haben gesagt: Lasst uns ein Album machen, ohne dabei an Verkaufszahlen, Radio-Einsätze und diesen ganzen Quatsch zu denken. Lasst uns einfach ein tolles Album machen, das wir lieben."
Der neue, alte Ansatz glänzt durch Spielfreude, Ideenreichtum, Virtuosität und eine cineastische Bildsprache. "Cell-0" ist ein Hybrid aus Prog-Rock, Metal und Klassik – Pink Floyd, Vangelis, Metallica und Wagner. Mit rasanten Stil- und Tempi-Wechseln, einem beeindruckenden Spektrum an Atmosphären und Stimmungen und einer starken visuellen Qualität: Die neun Stücke sind wie Soundtracks zu kleinen Spielfilmen und bringen das Kopfkino des Hörers zum Glühen.
"Das ist das Schöne an Instrumental-Musik: Man muss sie nicht groß erklären, sondern es obliegt dem Hörer, sie auf seine Weise zu entdecken. Mit den Songtiteln können wir zwar andeuten, was uns beim Schreiben durch den Kopf gegangen ist, aber die Stücke sind sehr cineastisch und lösen bei jedem andere Gedanken und Gefühle aus. Abhängig davon, was sich im Unterbewusstsein abspielt. Gute Musik hat die Fähigkeit, das zum Vorschein zu bringen."

Musik wie aus Hollywoodfilmen

Überhaupt haben die Stücke von Apocalyptica eine ähnliche Wirkung wie die Werke von großen Filmkomponisten wie Hans Zimmer, Danny Elfman oder John Williams. Die 54 Minuten von "Cell-0" verführen dazu, in monumentale Schlachten, wilde Verfolgungsjagden, mystische Landschaften und romantisches Schwelgen einzutauchen – ein visionäres Element, das die Finnen auch für Hollywood interessant machen dürfte. Sofern Eicca Toppinen nicht zu viel aus dem Nähkästchen plaudert. Einige Kompositionen, so der blonde Hüne, hätten einen ganz trivialen Hintergrund:
"Das Stück 'Rise' habe ich Anfang 2019 geschrieben – als ich mit dem Trinken aufgehört habe. Wer weiß, vielleicht hat seine optimistische Stimmung ja damit zu tun. Denn Musik zu schreiben – oder ganz allgemein Kunst zu schaffen – ist, als ob man eine Erfahrung oder ein Erlebnis durch seine eigene Persönlichkeit filtert und irgendwie herauslässt."
Mit "Cell-0" geht es Eicca Toppinen um einen Schlussstrich unter faule Kompromisse. Apocalyptica machen wieder, was ihnen Spaß macht und was sie am besten können. Dafür gibt es ein wachsendes Publikum – wie der Erfolg von Bands wie Mogwai und Long Distance Calling zeigt. Und Apocalyptica haben ein unschlagbares Herausstellungsmerkmal: ihre Celli.
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