Antonio Pigafetta: „Die erste Reise um die Welt“

Augenzeuge der Kolonisierung

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Cover des Buches "Antonio Pigafetta: Die erste Reise um die Welt"
Antonio Pigafettas Buch "Die Reise um die Welt" ist ein einzigartiges Zeitdokument der frühen Neuzeit. © Wissenschaftliche Buchgesellschaft / Deutschlandradio
Von Frank Kaspar · 08.12.2020
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In der Flotte des Entdeckers Magellan segelt Antonio Pigafetta um 1520 einmal um die Welt. Aus erster Hand berichtet er von der Kolonisierung in Südostasien. In Christian Jostmanns Übersetzung erscheint sein Bericht erstmals vollständig auf Deutsch.
Am Zwieback nagen die Würmer, das Wasser ist gelb und faulig, den Seeleuten schwillt aus Vitaminmangel das Zahnfleisch an, und viele sterben an der im 16. Jahrhundert noch unbekannten Krankheit Skorbut. Kapitän Ferdinand Magellan hat von Spanien aus den Atlantik überquert und an der Südspitze Südamerikas eine Durchfahrt zum pazifischen Ozean entdeckt. Doch sein Triumph wird von Strapazen überschattet. "Ich glaube wahrlich nicht, dass man jemals wieder eine solche Reise unternehmen wird", schreibt der Chronist der Expedition, Antonio Pigafetta.

Einzigartiges Zeitdokument

Pigafettas Bericht ist ein einzigartiges Zeitdokument der frühen Neuzeit. Im Herbst 1519 heuert der junge Mann aus Norditalien bei Magellan an. Im September 1522 ist er einer von nur 18 Überlebenden, die mit dem einzig verbliebenen von fünf Schiffen nach Spanien zurückkehren. Ihre Fahrt gilt bis heute als die erste historisch dokumentierte Weltumseglung der Geschichte.
Dabei hatte Magellan keineswegs den Plan, den Erdball zu umrunden. In einem Handelsstreit zwischen Portugal und Spanien sollte er für das Königshaus von Kastilien eine westliche Route zu den lukrativen Gewürzinseln in Südostasien erschließen, denn der Seehandel in östlicher Richtung lag vertragsgemäß fest in portugiesischer Hand.

Machtansprüche und christliche Missionstätigkeit

Als Augenzeuge der Kolonisierung vermittelt Pigafetta heutigen Leserinnen und Lesern einen lebhaften Eindruck davon, wie ökonomische Interessen, politische Machtansprüche und christliche Missionstätigkeit bei diesem Unternehmen ineinandergriffen. Auf Inseln der heutigen Philippinen halten Magellans Mannschaften mit Kanonendonner Einzug, errichten Kreuze und drängen die Bevölkerung, zum Christentum zu konvertieren. Ansiedlungen von Inselbewohnern, die den Glauben der Europäer nicht annehmen wollen, brennen sie kurzerhand nieder.
Pigafetta betrachtet die Verbreitung des Christentums selbst als seine Mission. An Magellan, der im Kampf mit Einheimischen getötet wird, erinnert er mit Ehrerbietung.

Ein wacher, forschender Blick

Aber sein Reisebericht zeugt auch von einem wachen, forschenden Blick. Er enthält seitenlange Vokabellisten von in Europa unbekannten Sprachen. Besondere Aufmerksamkeit widmet Pigafetta den Umgangsformen und dem Körperschmuck der Menschen in Südostasien sowie ihren sexuellen Praktiken, die er ausgesprochen explizit beschreibt.
Liegt es an der weitgehenden Nacktheit der Inselbewohner, an ihrer vermeintlichen Naturnähe und Naivität, dass Pigafetta dabei derart ins Detail geht? War zivilisierte Zurückhaltung in Fragen des Intimen für sie in seinen Augen nicht geboten? Oder waren gebildete Europäer vor 500 Jahren auch mit Blick auf ihre eigene Sexualität weniger schamhaft als wir Heutigen?

Erstmals vollständig ins Deutsche übersetzt

Pigafettas von Christian Jostmann erstmals vollständig ins Deutsche übertragener und fachkundig kommentierter Bericht, regt zu vielen Fragen dieser Art an. Sie justieren unseren Blick auf das Eigene und das Fremde neu und fordern unsere Haltung zu Europas kolonialem Erbe heraus.

Antonio Pigafetta: "Die erste Reise um die Welt. An Bord mit Magellan"
Übersetzt und kommentiert von Christian Jostmann
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2020
272 Seiten, 28 Euro

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