Antonio Damasio: „Wie wir denken, wie wir fühlen“

Geistige Zuckerwatte

06:50 Minuten
Cover des Buchs "Wie wir denken, wie wir fühlen" von Atonio Antonio Damasio vor orangefarbenem Aquarellhintergrund. Das Cover zeigt bunte, organisch geformte Flächen vor weißem Hintergrund, die aussehen, als wären sie mit Wasserfarben gemalt.
Antonio Damasio schreibe packend, arbeite aber weder ernsthaft biologisch noch philosophisch, findet unsere Kritikerin. © Deutschlandradio / Carl Hanser Verlag
Von Susanne Billig · 06.10.2021
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Ist das Bewusstsein ein mysteriöses Phänomen, das sich auf biologischem Wege nicht erklären lässt? In seinem neuen Buch erteilt der Neurowissenschaftler Antonio Damasio dieser verbreiteten Ansicht eine Absage, belegt seine Überlegungen aber kaum.
Der Geist sei in mentalen "Karten" und "Bildern" organisiert und um das Bewusstsein zu erläutern, müsse man lediglich eine weitere Art von Bildern voraussetzen: Bilder vom Strom der anderen Bilder.
Der Organismus ordne den Bilderstrom, von dem er auf diese Weise Kenntnis erhalte, dem Körper zu, um dessen Ausdehnung er durch die Sinnesorgane weiß. Deshalb werde das Bewusstsein als "mein" Bewusstsein erfahren.
In seinem schmalen neuen Buch habe er nur über die Gedanken schreiben wollen, die ihm am wichtigsten seien, erklärt der berühmte portugiesische Neurowissenschaftler Antonio Damasio, der seit Jahrzehnten als Professor in den USA lehrt, in der Einleitung.

Zur Bedeutung von Gefühlen

In kurzen, ohne Überleitungen aneinander gereihten Kapiteln konzentriert er seine Theorien darum auf ihren Kern. Weil er auf wissenschaftlich anspruchsvollere Erläuterungen – etwa der Gehirnarchitektur oder der Arbeitsweise von Neuronen – verzichtet, bleibt dennoch Platz für vielfältige Betrachtungen.
Spannend lesen sich vor allem seine Gedanken zur Bedeutung von Gefühlen. Er sieht sie als die im Stammhirn lokalisierte Basis höherer geistiger Funktionen bis hin zum Bewusstsein.
Auch seine Überlegungen zur künstlichen Intelligenz kommen frisch daher, geht der Neurowissenschaftler doch davon aus, dass es echte Intelligenz nicht geben kann, wenn KI-Expertinnen und -Experten weiterhin auf körperlose Computer setzen, die nicht, wie der Mensch, auch aus Ahnungen, Sehnsüchten, Schmerzen und einem breiten Spektrum weiterer Gefühle lernen können.

Wenig Auseinandersetzung mit Einwänden

Seit vielen Jahren legt Antonio Damasio ein populärwissenschaftliches Buch nach dem anderen vor, die sich alle gut verkaufen. Leider ermüdet es inzwischen, wie wenig er sich darin mit Einwänden, Fragen und der ganzen Breite und Fülle seines Fachgebiets auseinandersetzt. Offenbar interessiert ihn das einfach nicht.
Wie viel Sinn hat es dann, all das einmal mehr zu sagen? Damasio führt bis auf wenige Ausnahmen – ein paar grobe Gehirnareal-Zeichnungen auf den letzten Buchseiten, eine lange Literaturliste im Anhang, in denen seine eigenen Werke reichlich auftauchen – keinerlei empirischen Belege für seine Überlegungen an, betreibt also keine ernsthafte Biologie.
Aber auch ernsthafte Philosophie betreibt er nicht, denn er klärt seine Begriffe nicht, diskutiert sie nicht mit Mitbewerberinnen und Mitbewerbern auf diesem Gebiet, setzt sich weder mit den historischen noch mit den aktuellen, hochinteressanten Debatten um die Philosophie des Geistes auseinander.

Poetisch aufgeladene Sprache

Stattdessen punktet er einmal mehr mit seiner starken, metaphorisch und poetisch aufgeladenen Sprache und scheut sich nicht, Worte wie "Initiationsriten", "Erleuchtung" oder "Zeremonien" auf die Seiten zu werfen. Das liest sich im ersten Moment packend.
Doch sobald man den Sprachbildern auf den wissenschaftlichen Grund zu gehen versucht, entpuppt sich ein Großteil dieses Textes leider einmal mehr als geistige Zuckerwatte.

Antonio Damasio: "Wie wir denken, wie wir fühlen. Die Ursprünge unseres Bewusstseins"
Aus dem Englischen von Sebastian Vogel
Carl Hanser Verlag, München
192 Seiten, 22 Euro

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