Antoine Leiris: "Meinen Hass bekommt ihr nicht"

Bericht aus einer Welt des Schmerzes

Der Journalist Antoine Leiris, der seine Frau bei den Terroranschlägen im Pariser Bataclan verlor und darüber ein Buch schrieb.
Der Journalist Antoine Leiris, der seine Frau bei den Terroranschlägen im Pariser Bataclan verlor und darüber ein Buch schrieb. © AFP / Dominique Faget
Von Kolja Mensing · 26.05.2016
Der französische Journalist Antoine Leiris verlor bei den Anschlägen von Paris seine Frau. In dem Band "Meinen Hass bekommt ihr nicht" hat er notiert, was dieser Verlust für ihn und seinen zweijährigen Sohn bedeutet.
Es ist ein ruhiger Abend. Antoine Leiris hat seinen Sohn Melvil ins Bett gebracht; seine Frau Hélène hat sich mit einem Freund verabredet, um ein Konzert zu besuchen.
Um 22.37 Uhr kündigt das Summen des Handys eine SMS an: "Seid ihr in Sicherheit?" Leiris schaltet den Fernseher an und erfährt, dass es einen Anschlag auf das Stade des France gegeben hat. Dann läuft ein Schriftband über den unteren Rand des Bildschirms: "Attentat im Bataclan." Das ist der Club, in den seine Frau an diesem Abend gehen wollte.
24 Stunden später weiß Antoine Leiris, dass Hélène tot ist, und noch einmal zwei Tage später postet er bei Facebook einen Text, der sich an die Attentäter von Paris richtet und über 200.000 Mal geteilt werden soll:
"Freitagabend habt ihr das Leben eines außerordentlichen Wesens geraubt, das der Liebe meines Lebens, der Mutter meines Sohnes, aber meinen Hass bekommt ihr nicht …"
Aus dem Posting ist jetzt ein Buch geworden. Unter dem Titel "Meinen Hass bekommt ihr nicht" erzählt der französische Journalist Antoine Leiris von den Tagen zwischen dem Mord an seiner Frau und ihrer Beerdigung. Es geht um das endlose Warten auf die Todesnachricht, den Besuch in der Gerichtsmedizin und seinem Versuch, den so genannten Notfallpsychologen auszuweichen.

Grausame Politiker-Floskeln

Er beschreibt die Wut seines zweijährigen Sohnes, als er erfährt dass die Mutter nicht mehr nach Hause kommen wird, und zitiert die grausamen Floskeln, mit denen Politiker und Kommentatoren zu den Ereignissen vom 13. November Stellung beziehen. "All diese Toten dürfen nicht nutzlos sein", das ist einer der Sätze: "Ach, es gibt also nützliche Tote?"
Antoine Leiris hat ein Buch geschrieben, in dem es nicht um Hass geht und auch nicht um Politik. Es geht um einen Mann, der von einem Tag auf den anderen in eine Parallelwelt wechselt, in der es nur noch ihn und den Kummer gibt, und die stärksten Momente dieses schmalen, gerade einmal 140 Seiten langen Bandes sind die, wenn er durch die trüben, schlierigen Fenster dieser Welt zurück in den Alltag schaut.
Wenn er zum Beispiel "aus einer gewissen Distanz" verfolgt, wie der Stromableser an seiner Tür klingelt und mit "Grobschlächtigkeit der Lebenden" die Wohnung betritt, um dann "sorgsam Zahlen auf sein Blatt zu übertragen".
Diese kühlen Miniaturen treffen mehr als das berührende Facebook-Posting, das dem Buch vorausgegangen ist, und "Meinen Hass bekommt ihr nicht" ist darum nicht nur ein Stück Selbsterfahrungsprosa, sondern: ein literarisches Debüt. Und das ist zugleich die grausame Pointe dieses Texte. Antoine Leiris schreibt:
"Ich hätte mir gewünscht, dass mein erste Buch eine Geschichte wäre, aber auf keinen Fall meine. Ich hätte die Wörter gern geliebt, ohne sie fürchten zu müssen."

Antoine Leiris: "Meinen Hass bekommt ihr nicht"
Aus dem Französischen von Doris Heinemann.
Blanvalet, München 2016
144 Seiten, 12 Euro

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