Antizionismus und Antisemitismus in der DDR

PLO-Bomben, Ex-Nazis und Waffenlieferungen

10:32 Minuten
Staatsratsvorsitzender Erich Honecker und Yasser Arafat heben ihre Gläser zum Antoßen an.
Erich Honecker gab 1982 in Ost-Berlin ein Dinner zu Ehren von PLO-Chef Yassir Arafat: Auf welcher Seite die DDR im Nahostkonflikt stand, war immer klar. © imago images / Werner Schulze
Von Jens Rosbach · 22.05.2020
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Offiziell war Antisemitismus in der DDR kein Problem. Zugleich lieferte die Regierung Waffen an Israels Feinde. Neue Studien zeigen, wie ausgeprägt die Israel- und Judenfeindlichkeit im Arbeiter- und Bauernstaat war.
"In der Deutschen Demokratischen Republik sind die Ursachen des Antisemitismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden."
Die DDR hatte mit Nazi-Vergangenheit und Rassenwahn gründlich aufgeräumt - propagierte Karl Eduard von Schnitzler immer wieder in seiner Fernsehsendung "Der Schwarze Kanal":
"Die Rassenfrage als Klassenfrage erkannt – und schon wird das Unerklärliche erklärlich und verständlich. Deshalb ist der Antisemitismus in der Deutschen Demokratischen Republik kein Problem und unserer Jugend völlig fremd."

Waffenlieferungen an Israels Feinde

Herbst 1973. Die DDR liefert zwölf MiG-Jagdflugzeuge, samt Munition, an die syrische Armee. Syrien beschießt damit, im Jom-Kippur-Krieg, die von Israel besetzten Golanhöhen. DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker hat die Militärhilfe höchstpersönlich genehmigt – dass deutsche Waffen Juden töten, stört ihn offenbar nicht.
Kein Einzelfall. Jeffrey Herf, Professor an der Universität Maryland, sichtet seit Jahren DDR-Regierungsakten. So kann er heute, als erster Forscher, den enormen Umfang der Waffenlieferungen dokumentieren, die Ost-Berlin über Jahrzehnte hinweg Israels Feinden zukommen ließ: wie Syrien, Ägypten, Irak, Libyen - sowie arabischen Terrororganisationen.
Waffen, die zum Teil verkauft und zum Teil gespendet wurden: "750.000 Kalaschnikow-Sturmgewehre, 120 MiG-Jagdflugzeuge, 180.000 Tretminen, 235.000 Granaten, 25.000 Panzerbüchsen und 25 Millionen Patronen unterschiedlicher Kaliber."
Weitere Ostblockstaaten, vor allem die Sowjetunion, leisteten noch mehr Militärhilfe. Denn sie betrachteten den jüdischen Staat, der von den USA unterstützt wurde, als amerikanische Speerspitze im Nahen Osten. So hetzten DDR-Medien gegen den Zionismus, und DDR-Diplomaten diffamierten Israel als rassistischen Staat - selbst in der UNO.
Historiker Herf resümiert in seinem vielbeachteten Buch "Unerklärte Kriege gegen Israel", dass der jüdische Staat in den Augen der DDR keine Existenzberechtigung hatte:
"Der jüdische Staat war ganz böse und hatte keine moralische und politische Legitimität. Die Konsequenz musste sein: das Ende des jüdischen Staates."

Druck auf jüdische Gemeinden

"Die Deutsche Demokratische Republik wird nicht nachlassen, die gerechte Sache des palästinensischen Volkes zu unterstützen," proklamierte etwa Erich Honecker 1982, bei einem Treffen mit PLO-Chef Jassir Arafat in Ostberlin. "Für besonders wichtig halten wir die einheitliche Aktion der arabischen Staaten, aller antiimperialistischen und patriotischen Kräfte."
Die DDR drängte die eigenen jüdischen Gemeinden immer wieder, ebenfalls Stellung gegen Israel zu beziehen. So sollten – nach einem Beschluss des Politbüros - während des Sechstagekrieges prominente ostdeutsche Juden die angebliche "Aggression" Israels in einem offenen Brief verurteilen.
Doch in einem einmaligen Akt des Widerstands weigerte sich ein Großteil. In der Nazi-Zeit seien die Juden in Deutschland ermordet worden, nunmehr ließen sie ihr Leben im Nahen Osten, begründete etwa der Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR seine Weigerung. Historiker Herf:
"Die haben gesagt: 'Wir haben die Erinnerung an den Holocaust immer noch im Kopf, und wir werden diesen Brief nicht unterschreiben'."

Die Stasi versteckte den westdeutschen Rechtsterroristen

Die DDR - offiziell ein antifaschistischer Staat - bekämpfte Israel durch Waffenlieferungen an seine Gegner, diffamierte den Zionismus und versuchte, jüdische Gemeinden zu instrumentalisieren.
Hinter den Kulissen arbeitete Ost-Berlin selbst mit Neonazis zusammen. In seinem Buch "Zielobjekt Rechts" zeigt der Berliner Investigativjournalist Andreas Förster, wie das Ministerium für Staatssicherheit westdeutsche Rechtsterroristen in der DDR versteckte.
"Sie erhielten Hilfe, sie erhielten Geld – und es ging auch nicht darum, in der Bundesrepublik eine neonazistische Gefahr zu entschärfen oder eine rechtsterroristische Gefahr zu entschärfen: Wenn die da drüben irgendwelche Bomben zünden, dann ist das nicht unser Problem!"
So nahm die DDR 1981 den geflohenen Rechtsterroristen Udo Albrecht aus der Bundesrepublik auf, lotete eine Zusammenarbeit mit ihm aus und ließ ihn ungehindert in den Libanon weiterreisen. Försters Buch deckt auf, dass Albrecht bereits seit 1970 PLO-Aktivist war und Waffen an palästinensische Terrorzellen lieferte.
Davon profitierte auch die Gruppe Schwarzer September, die zu jener Zeit den Anschlag auf die israelische Mannschaft im olympischen Dorf in München vorbereitete. Samuel Salzborn, Antisemitismusforscher an der Universität Gießen, bilanziert: Stasi und Neonazi-Terroristen gingen – trotz aller ideologischen Gegensätze - eine pragmatische Koalition ein, um einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen.
"Und diese Feindbilder, sowohl der Rechtsterroristen wie auch des Ministeriums für Staatssicherheit, waren eben zu diesem Zeitpunkt Amerika und Israel. Man kann daran relativ deutlich sehen, dass der proklamierte Antifaschismus der DDR, den man sich immer auf die Fahnen geschrieben hat, letztlich eine große Lüge gewesen ist und dass man nur ein Banner vor sich hergetragen hat, das mit der Realität nichts zu tun hatte."

Ehemalige KZ-Aufseher liefen frei herum

Im sogenannten Arbeiter- und Bauernstaat liefen sogar ehemalige NS-Täter frei herum - selbst einstige KZ-Aufseher. Das belegt die Studie "Auschwitz und Staatssicherheit" des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, die im vergangenen Jahr erschienen ist.
Darin findet sich eine ernüchternde Statistik: Im Vernichtungslager Auschwitz arbeiteten einst rund 8.000 SS-Leute, von denen bis zu 6.500 den Krieg überlebten. Von deutschen Gerichten angeklagt und verurteilt wurden in der sowjetischen Besatzungszone – und später in der DDR – lediglich 35 KZ-Täter. Dabei waren viele Auschwitz-Mörder nach dem Krieg in Ostdeutschland geblieben.
"Bis auf wenige Ausnahmen ist nie systematisch nach Auschwitz-Tätern in der DDR gesucht worden." Henry Leide, der Autor der Studie, hat in der Rostocker Außenstelle der Stasi-Unterlagenbehörde zahlreiche NS-Akten analysiert.
Er räumt ein, dass auch die Bundesrepublik Nazitäter ungestraft davonkommen ließ. Allerdings habe sich der Westen nie damit gebrüstet, die braune Vergangenheit vorbildhaft aufzuarbeiten – im Gegensatz zu DDR.
Bei seinem scheinheiligen Spiel habe Ostberlin sogar KZ-Täter als Stasi-Mitarbeiter angeworben. "Die Anwerbung von Männern, die dringend tatverdächtig waren, ist natürlich moralisch äußerst fragwürdig gewesen und kaum mit dem antifaschistischen Anspruch der DDR auf einen Nenner zu bringen."
Waffenlieferungen an arabische Staaten, Kooperation mit Terroristen, die Nichtverfolgung von NS-Mördern: Forscher gehen davon aus, dass der Arbeiter- und Bauernstaat nicht allein aus einer Logik des Kalten Krieges so handelte. Sondern auch aus einer Judenfeindschaft heraus.
Sozialwissenschaftler Salzborn spricht von einem sekundären Antisemitismus, der dazu diente, die eigene braune Vergangenheit zu relativieren. Dies habe sich etwa in einer Täter-Opfer-Umkehr ausgedrückt:
"Das heißt konkret, dass Israel mit dem Nationalsozialismus verglichen wird, gleichgestellt wird, und am Ende sogar behauptet wird: Das, was der Staat Israel mit den Palästinensern mache, sei mindestens genauso schlimm, wenn nicht gar schlimmer, als das, was der Nationalsozialismus mit den Jüdinnen und Juden getan habe. Und ein wichtiges Moment dabei ist gewesen, durch diese Täter-Opfer-Umkehr die eigene Schuld, die eigene Verantwortung abzuwehren."

Keine Rebellion gegen Nazi-Eltern

Der Gießener Professor erinnert daran, dass es in der DDR - neben der staatlichen Israelfeindschaft - auch Alltags-Antisemitismus gab, geschändete jüdische Friedhöfe und eigene Neonazis. Die offizielle Geschichtsbewältigung – mit ihren Kranzniederlegungen und Gedenkstättenbesuchen - sei oft formelhaft geblieben.
Nach Ansicht von Salzborn haben in den DDR-Familien die Kinder kaum gegen die Nazi-Eltern rebelliert, so seien viele rechte Denkmuster in Ostdeutschland bis heute nicht aufgearbeitet worden: "Weshalb gerade die Bevölkerung sehr viel empfänglicher ist für solche Einstellungen, wie sie die AfD und andere vertreten. Das hat damit zu tun, dass es eine lange, intergenerationelle Tradierung solcher Einstellungen gibt. Aber viele sehen es nicht und thematisieren es nicht."
Der Wissenschaftler fordert eine differenziertere Sichtweise auf die Historie. Natürlich sei die DDR ein autoritärer Staat gewesen - gleichwohl habe es auch Übereinstimmungen gegeben zwischen Regierung und Volk. So seien die staatliche Israelfeindschaft und der Antizionismus von der Bevölkerung teilweise mitgetragen worden, erklärt Samuel Salzborn.
Ein längst nicht abgeschlossenes Kapitel, resümiert der Forscher, selbst 30 Jahre nach dem Mauerfall: "Ich glaube - so traurig das auch ist - dass wir in Bezug auf die Frage des Antisemitismus in der DDR nicht am Ende, sondern am Anfang der Forschung stehen."

Weiterführende Literatur

Samuel Salzborn: "Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern"
Hentrich & Hentrich Verlag, 2020

Jeffrey Herf: "Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche Linke 1967-1989."
Wallstein Verlag Göttingen, 2019

Henry Leide: "Auschwitz und Staatssicherheit. Strafverfolgung. Propaganda und Geheimhaltung in der DDR"
Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, Berlin 2019
hier als kostenloser PDF-Download

Andreas Förster: "Zielobjekt Rechts. Wie die Stasi die westdeutsche Neonaziszene unterwanderte."
Christoph-Links-Verlag Berlin, 2018

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