Antipoden des deutschen Katholizismus

12.09.2007
Unter den gegenwärtigen Kritikern der katholischen Kirche ist er sicher der bekannteste und auch der produktivste, auch wenn er im nächsten Jahr seinen 80. Geburtstag feiert: der Schweizer Theologe Hans Küng. Angeeckt mit der Amtskirche ist der Dogmatiker mit fast jedem Buch seit seiner katholischen Promotion über den protestantischen Theologen Karl Barth.
Mit dem Buch "Unfehlbar? Eine Anfrage", erschienen 1970, kam es zum endgültigen Bruch knapp zehn Jahre später. Genau diesen Zeitraum zwischen Nachwehen des Zweiten Vatikanischen Konzils und Studentenunruhen am einen und dem Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis am anderen Ende verhandelt der zweite Band von Küngs Memoiren: "Mein Beitrag zu einer Erinnerungskultur in meiner Kirche, der katholischen".

Küng beschreibt darin die Jahre, die er an der Universität Tübingen mit einem anderen prominenten Theologen teilt: mit Joseph Ratzinger, seit April 2005 Papst Benedikt XVI. Beide sind fast gleich alt, Küng geboren 1928, Ratzinger ein Jahr älter. Beide stammen aus vergleichbar konservativ-katholischem Milieu, sind sich ab einem frühen Zeitpunkt ihrer theologischen Laufbahn immer wieder begegnet, sind durch ihre Arbeit beim Zweiten Vatikanischen Konzil geprägt worden - und doch bald so weit auseinandergedriftet, dass Küng sie selbst als Antipoden der Entwicklungsmöglichkeiten des deutschen Katholizismus interpretiert.

Küng nimmt die Herausforderung als Zeitgenosse an: Der Blick auf das Werden des Joseph Ratzinger ist ein Hauptstrang seines Buches. Küng zeichnet das Bild eines trotz gemeinsamer Autofahrten und gelegentlicher Opernbesuche scheuen Menschen, der als glänzender Dogmatiker unter anderem auf Küngs Betreiben an die katholische Fakultät in Tübingen geholt wurde, der aber nach den als Schock erlebten Studentenunruhen in den sicheren Schoß von Mutter Kirche flüchtete und wissenschaftlich stagnierte. Und sich dabei vom Kollegen zum Gegenspieler entwickelte.

Doch Küng will seine Jahre als Professor für katholische Dogmatik, das ist der zweite Strang seiner Lebenserinnerungen, nicht nur von ihrem Ende mit dem Entzug der Lehrerlaubnis her sehen. Zumal dieser ja nicht das Ende seiner Universitätskarriere darstellte, die er als Professor am Institut für ökumenische Forschung weiterführte. Nicht nur als Kämpfer für innerkirchliche Freiheit will er sich verstanden wissen, sondern auch als Vertreter theologischer Wahrheit.

Um die Inhalte geht es ihm - und so rollt Küng die inhaltlichen Streitpunkte jener Jahre auf: die Auseinandersetzungen um den Pflichtzölibat für Priester, Debatten um die Eucharistie, Streit über die Unfehlbarkeit des Papstes, die Küng verstanden wissen will als eine in Gott gegebene Unzerstörbarkeit des Kirche, ungeachtet ihrer historisch unvermeidlichen Irrtümer. Alles Debatten, die auch heute noch offen sind. Debatten aber auch, die inzwischen merkwürdig abgestanden wirken und bei denen Küngs immer noch engagierte Darstellung ins Gedächtnis zurückruft, dass es hier wirklich einmal um Herzensthemen einer großen Zahl reformbewegter Christen ging.

Die neu entdeckte Faszination am Glanz des Papsttums überstrahlt inzwischen häufig den Streit um Inhalte und Reformen. Und auch Hans Küng muss in seinen Darstellungen - notgedrungen - mindestens so viel über die Machenschaften hinter den Kulissen und damit doch wieder über seine Auseinandersetzung mit der Institution Kirche schreiben. Dafür ist Küng ein Zeitzeuge ersten Ranges, bewegt er sich doch trotz seiner inhaltlich zunehmenden Außenseiterrolle seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil in einer schwindelerregend großen Zahl kirchlicher Zirkel. Das liest sich spannend, manchmal mit absurdem Humor (wann hat man je gehört, dass man einer Vorladung der Inquisition antworten kann mit einem Telegramm: "Leider verhindert. Brief folgt"?), immer wieder aber auch als Drama menschlichen Versagens.

Küng schont niemanden, er nennt Namen, Daten, Taten, wenn auch meist verbunden mit der Beteuerung: an ihm liege es nicht, wenn das Gespräch abgebrochen sei. Einer immerhin hat das Angebot angenommen, ausgerechnet der große Geheimnisvolle: Joseph Ratzinger. Im September 2005 hat sich Hans Küng in der päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo mit Benedikt XVI. getroffen. Aber darüber will er im Detail erst im dritten und letzten Band seiner Memoiren berichten.

Rezensiert von Kirsten Dietrich

Hans Küng: Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen
Piper Verlag 2007
719 S., 24,90 Euro