Antifolk in den Nullerjahren

Frischzellenkur für den Folk

Adam Green während eines Konzertes im Ringlokschuppen in Bielefeld am 11. September 2007
Adam Green-Konzert im Jahr 2007: In Gesang, Gestus und Erscheinung wirken die Moldy Peaches kindlich-naiv. © imago / teutopress
Von Juliane Reil · 08.08.2018
Anfang des Jahrtausends erschien das Debütalbum von Adam Green und Kimya Dawson alias The Moldy Peaches. Sie waren Teil einer bis dahin, zumindest in Europa, wenig bekannten Musikszene: Antifolk. Auch wenn das Genre schnell wieder verschwand, hinterließ es Spuren.
Zwei Erwachsene in Hasenkostüm und Umhang – als ob man sie vergessen hat vom Kindergeburtstag abzuholen. In Gesang, Gestus und Erscheinung wirken die Moldy Peaches kindlich-naiv.
Bei ihren Songtexten auf ihrem selbstbetitelten Debüt tun sich jedoch Abgründe auf: Kimya Dawson mit dem bunten Afro und der blasse, schlaksige Adam Green singen über Desillusion und Ohnmachtsgefühl.
"New York ist wie ein Friedhof". Mit solchen Zeilen treffen die zwei New Yorker den Nerv der Zeit. Dass das Album der beiden ausgerechnet am 11. September 2001 erscheint, ist jedoch purer Zufall. Damals werden die Moldy Peaches über Nacht bekannt und Stars einer kleinen Szene, die sich "Antifolk" nennt.

Anti meint hier nicht Ablehnung

Die Vorsilbe "Anti" ist jedoch nicht als Ablehnung der Folktradition zu verstehen, erklärt der Musikjournalist Jonas Engelmann. "Also, es ging nicht darum zu sagen: 'Folk war alles Mist und wir machen jetzt Anti-Folk.' Es gab mal ein Zitat von einem der zentralen Figuren des Anti-Folk und der hat gesagt, dass Antifolk für Folk das gewesen ist, was Punk für die Rockmusik gewesen ist. So eine Art Frischzellenkur des Gegebenen."
Das Zitat stammt von einem Singer/Sonwriter namens Lach. Schon Mitte der 80er Jahre eröffnete er in New York das SideWalk Cafe. Für die neu aufkeimenden Antifolk-Szene, die eher aus Einzelgängern bestand, wurde es zum Treffpunkt. In den späten 90ern traten dort auf den regelmäßigen Open Mic Sessions zum Beispiel der junge Beck und auch die Moldy Peaches auf.
Was all diesen Künstlern gemeinsam war: Es interessierte sie nicht unbedingt, politischen Protest zu artikulieren – wie etwa eine Joan Baez oder ein junger Bob Dylan es taten, sondern, so Engelmann. "eher so ein absurdes, naives, ironisches Moment, was es ja auch mal im Folk gab. Sei es bei der New Yorker Folk-Variante wie den Fugs, die eher so eine dilettantische Weise erprobt haben und nicht dieses Ernste und Getragene, was für die Antimusiker eher so ein bisschen abschreckend wirkte."

Do-It-Yourself-Gedanke

Der Gedanke des Do-It-Yourself, den man dem Punk entlehnte, zählte. Die Antifolker gingen geradezu offensiv mit der eigenen Stümperhaftigkeit um.
Sie waren schluffige Antihelden, die sich gegenseitig unterstützten. In der Verweigerung lag ihre Coolness – die auch ihre Vermarktung betraf. Kommerzielles Interesse fehlte. Stattdessen tauschten sie in New York Kassetten mit ihren Songs aus. Nicht nur deshalb dauerte es gut 20 Jahre, bis sie von außen überhaupt wahrgenommen wurden. Engelmann sagt:
"Es gibt jetzt nicht den großen Antifolk-Stil, den man jetzt darüber stülpen könnte, wie bei Punk oder Hiphop. Es ist ja doch sehr unterschiedlich. Es gibt klassische Singer/Songwriter. Es gibt Theaterperformance-Konzepte wie Dufus. Es gab die Moldy Peaches, die nochmal eine eigene Variante von Antifolk gespielt haben. Es gab also ganz viele verschiedene Stile, die irgendwie unter diesem Begriff liefen."
Auf dem neoliberalen Markt der Popmusik konnten sich die Antifolker nicht lange halten. Kollegen, die besser zu vermarkten waren, wie Mumford & Sons und die Fleetfoxes verdrängten sie, zumal der Humor von Adam Green & Co. sich schnell abnutzte. Angesichts der veränderten politischen Weltlage würde die Vogel-Strauß-Taktik der Antifolker heute vermutlich nicht mehr funktionieren.
Spuren der Schrulligkeit
Dass "Weirdness" in den nuller Jahren cool wurde, dazu haben die Antifolker beigetragen. Musik von Künstler wie Devendra Banhart, Joanna Newsom und CocoRosie, die mit dem Skurril-Schrulligen spielen, wäre ohne den Antifolk nicht denkbar gewesen. Das Besondere der Folker – war nicht ihre Musik – sondern das Streben nach Indivualismus und ihre Haltung.
Engelmann: "Einerseits die eigene Kunst oder das, was man schafft, für wichtig zu halten. Aber dann eben auch nicht das Wichtigste auf der Welt und darüber auch lachen zu können."

Am 10. August erscheint die Platte, die den Antifolk bekannt gemacht hat, in einer Neuauflage: das Debüt der Moldy Peaches wird von Rough Trade noch einmal als "Re-issue" veröffentlicht. Als CD, aber auch als rote Vinylscheibe mit einer Bonus 7‘‘.

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