Antifaschist Stefan Lux

Fanal gegen den Nationalsozialismus

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Cover des Buchs "Lux. Gegen den Nationalsozialismus und die Lethargie der Welt" von Rüdiger Strempel vor einem orangenen Aquarellhintergrund
Ein bemerkenswerter Unbekannter der deutschen Geschichte erhält seine erste Biografie: Stefan Lux. © Osburg Verlag
Rüdiger Strempel im Gespräch mit Florian Felix Weyh · 04.04.2020
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Das Buch "Lux. Gegen den Nationalsozialismus und die Lethargie der Welt" widmet sich dem deutschsprachigen jüdischen Journalisten und Juristen Stefan Lux. Er wählte 1936 ein radikales Mittel, um die Welt vor dem NS-Regime zu warnen.
Florian Felix Weyh: In Diktaturen gilt der Einzelne wenig bis gar nichts. Doch was macht er, wenn er sich dem Unrecht nicht fügen will? Druckt er Flugblätter wie die Geschwister Scholl, wird er zum Attentäter wie Johann Georg Elser, oder geht er einfach namenlos im Strudel der Geschichte unter? Wer sich mit Stefan Lux befasst, lese ich in einem Buch, stößt rasch an Grenzen. Die Quellenlage ist dürftig, und scheinbar vielversprechende Spuren laufen allzu oft ins Leere. Verfolgt hat diese Spuren der Autor Rüdiger Strempel. Wer war Stefan Lux, und warum wissen wir alle nichts über ihn, Sie aber schon?
Rüdiger Strempel: Die Fragen sind beide gar nicht so ganz einfach zu beantworten. Wer war Stefan Lux? Die Frage ist schon relativ schwierig zu beantworten, was man daran sieht, dass es eigentlich in einem Satz fast nicht geht. Stefan Lux war ein deutschsprachiger, jüdischer, aus dem Habsburgerreich stammender Journalist und Jurist, der dann nach dem Ersten Weltkrieg auch noch als Filmschaffender tätig war und sich sehr frühzeitig dem Thema des Antisemitismus und des Totalitarismus gewidmet hat. Er hat das Unheil des Nationalsozialismus heraufziehen sehen, hat frühzeitig versucht zu warnen, hat aber festgestellt, dass man einfach nicht hören wollte, was ihn dann letzten Endes zu seiner Tat bewogen hat, über die wir hier ja auch sprechen.
Weyh: Diese Tat müssen Sie erklären.
Strempel: Ja, Stefan Lux hat sich im Juli 1936 in der Versammlung des Völkerbundes, also etwas Ähnlichem wie der Generalversammlung der heutigen Vereinten Nationen, selber erschossen, um auf diese Art und Weise ein Fanal zu setzen und auf den Nationalsozialismus und das Verhängnis, das vom Nationalsozialismus ausging und damit verbunden war, hinzuweisen. Er hat gehofft, auf diese Art und Weise die demokratischen Mächte Europas dazu zu bewegen, gegen Hitler und gegen den Nationalsozialismus einzuschreiten.

Zu Unrecht in Vergessenheit geraten

Weyh: 1936 war ja das Allerschlimmste noch gar nicht passiert. Er war also einer, der sehr früh angefangen hat, Widerstand leisten zu wollen. Hat er deswegen auch kein Gehör gefunden, weil da noch alle abgewiegelt haben?
Strempel: Ja, er hat sicherlich aus verschiedenen Gründen kein Gehör gefunden, wenn man bedenkt, dass er bereits unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg versucht hat, einen Film zu drehen, der sich mit der jüdischen Geschichte beschäftigte und den Titel "Gerechtigkeit" tragen sollte und dann feststellen musste, dass man bereits in der beginnenden Weimarer Republik einen solchen Film gar nicht mehr in die Kinos bringen wollte, dann sieht man, dass das Thema schlicht und einfach nicht gerne aufgegriffen wurde. Er ist dann in die Emigration gegangen, hat von Prag aus auch über entsprechende Emigrantenpublikationen gewarnt, aber man wollte sich mit dem Thema einfach nicht auseinandersetzen, man wollte es auch wohl teilweise einfach nicht wissen.
Weyh: Dieser Film, den beschreiben Sie auch. Da wird dem Leser, mir jedenfalls, nicht ganz klar, gibt es den noch, haben Sie den gesehen? Immerhin spielen da zwei Größen des deutschen Films und des deutschen Theaters mit, nämlich Fritz Kortner und Ernst Deutsch. Haben Sie den gesehen, gibt es den noch?
Strempel: Das ist eine der Spuren, die leider dann ins Leere laufen. Es gibt eine Kritik dieses Films aus einem zeitgenössischen Filmmagazin, und es gibt Hinweise darauf, dass der Film tatsächlich abgedreht worden ist und in die Kinos kommen sollte. Ich habe aber keine Spur des Films mehr finden können. Ob es überhaupt noch irgendwo auf der Welt eine Kopie davon gibt, kann ich nicht beantworten.
Weyh: Was ist das, was Sie da geschrieben haben? Ist das ein Roman – er enthält Fußnoten –, ist es ein Dokumentarroman, ein Sachbuch? Wie gehen Sie mit dieser Quellenlage, die ja eher dürftig ist, um?
Strempel: Ja, das ist genau das Problem. Also, als ich angefangen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen, geschah das zunächst mal eigentlich aufgrund einer Randnotiz, die ich ja an ganz anderer Stelle gefunden habe. In der war nur kurz und knapp zu lesen, dass Stefan Lux sich an diesem Tag im Juli 1936 das Leben genommen hat in der Völkerbundversammlung. Ich bin der Sache dann nachgegangen und habe dabei festgestellt, dass das Thema weitgehend vergessen ist. Dafür gibt es sicherlich verschiedene Gründe, die mangelhafte Quellenlage dürfte eine sein.
Ich war aber der Ansicht, dass diese Geschichte einfach erzählt zu werden verdient und dass Stefan Lux zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist; und habe dann lange überlegt, ob ich aufgrund der mangelhaften Quellenlage davon Abstand nehmen sollte, weil ein absolut stichhaltiges Werk so nicht zustande kommen könnte im wissenschaftlichen Sinn – oder ob ich die Geschichte dennoch erzählen sollte. Ich habe mich dann für Letzteres entschieden, sodass das Buch jetzt sowohl romanhafte Züge hat als auch viele Passagen enthält, die tatsächlich mit Quellen zu untermauern sind.
In welches Genre es jetzt einzuordnen ist, überlasse ich dem Leser. Ich habe auf jeden Fall versucht, so weit ich irgend konnte, die Quellen heranzuziehen und zu nutzen und auch kenntlich zu machen und dann ergänzt. In meiner editorischen Notiz sage ich ja auch, so, dass man annehmen könnte, so hätte es sein können.

Versuch, den Selbstmord herunterzuspielen

Weyh: Da gibt es Quellen, auch da bin ich als Leser so ein bisschen im Schwanken, die sind kursiv gesetzt, nämlich Briefe von Stefan Lux, zum Beispiel ein Brief an den britischen Außenminister Anthony Eden, um genau zu warnen vor Hitler, und das ist ein sehr hellsichtiger Brief. Also da sind zwei Absätze über Hitler und seine Kamarilla drin. Da denkt man, toll ausgedrückt, wirklich auf den Punkt gebracht. Dieser Brief hat Eden nie erreicht, und das ist dann wiederum auch eine ganz tragische Geschichte. Der wurde nämlich einfach den Schweizer Behörden kommentarlos vom Konsulat zurückgegeben. Sind diese Briefe zugänglich? Sind das Originalzitate?
Strempel: Es sind einige Quellen zugänglich, also zum Beispiel der Brief Joseph Avenol, an den damaligen Generalsekretär des Völkerbundes, der ist im Völkerbund-Archiv zugänglich. Andere Texte habe ich zusammengesucht aus Sekundärquellen. Es gibt zum Beispiel eine Monografie beziehungsweise sogar zwei Monografien, eine deutschsprachige, eine spanischsprachige aus dem Jahr 1936, die sich dieser Tat und der Person Stefan Lux widmen, und dort sind diese Briefe entsprechend wiedergegeben. Ob der Brief Eden gar nicht erreicht hat, wissen wir auch nicht wirklich. Zumindest eine Kopie dieses Briefes ist seinerzeit im "Manchester Guardian" abgedruckt worden, sodass er spätestens dort dann eigentlich auch Eden hätte erreichen müssen.
Eine Frau steht vor einer Wand mit verschiedenen Zeitungs-Titelseiten.
Eine Schautafel in einer Propaganda-Ausstellung 1936 zeigt einen "Querschnitt durch die jüdische Presse in Deutschland".© akg-images / Bildarchiv Pisarek
Weyh: Nun ist dieser Termin, an dem Stefan Lux sich umgebracht hat im Völkerbund, ja auch ein historisch bedeutsamer Termin des Völkerbunds gewesen. Da ging es nämlich in einer Debatte um die Annexion Äthiopiens durch Mussolini und entsprechende Folgen oder Sanktionen, die alle dann nicht erfolgten. Wie Sie das beschreiben, diese Debatten, da hat man das Gefühl einer komplett gelähmten Atmosphäre, eigentlich fast so wie heute in internationalen Gremien. Es wird ein bisschen diplomatisch geredet, aber niemand möchte den Diktatoren in die Hand greifen.
Strempel: Ich glaube, das ist genau die Situation, die damals bestand. Das haben Sie vollkommen richtig beschrieben, und wir dürfen auch nicht vergessen, dass jener Generalsekretär des Völkerbundes, Joseph Avinol, eine bekannte Affinität zu den faschistischen Regimen in Europa hatte und deswegen unter anderem auch natürlich versucht hat, den Selbstmord von Stefan Lux herunterzuspielen, damit es möglichst wenig Publizität erlangt hat – was dann sicherlich auch wieder einen Teil der Antwort auf Ihre Frage ist, warum wissen heute so wenige davon. Aber die Situation war in der Tat so, man wollte sich im Grunde genommen nicht in erheblichem Maße engagieren.
Weyh: Nun haben wir gerade diese Woche in Ungarn erlebt, wie ein EU-Mitglied die Demokratie mit einem Ermächtigungsgesetz schlicht abwählt, und der Protest bleibt, gelinde gesagt, verhalten. Irgendwie scheint das niemanden so richtig zu interessieren. Würde jemand wie Stefan Lux, der ja letztlich bloß aufrütteln wollte, also medial wirksam sein wollte, würde so jemand mit einem Selbstopfer heute nicht fast noch deutlicher scheitern? Ist Öffentlichkeit herzustellen noch eine Waffe heute?
Strempel: Das ist eine sehr gute Frage. Es ist ja ohnehin so, dass Versuche, gerade durch Selbstmorde – und davon gibt es in der Geschichte und ja auch in der noch jüngeren Geschichte einige Beispiele – die Öffentlichkeit aufzurütteln, in der Regel nicht überaus erfolgreich sind. Man hat dann eine spontane Reaktion des Bedauerns, der Bestürzung, auch des Mitleids zum Teil und geht dann unter Umständen doch zur Tagesordnung über. Ich denke, das wäre heute wahrscheinlich nicht sehr viel anders. Dennoch bin ich der Auffassung, dass diese Geschichte einfach verdient hat, erzählt zu werden, weil ich finde, dass jedes Aufbegehren gegen rechte Regime und überhaupt gegen totalitäre Regime uns in Erinnerung bleiben sollte und auch entsprechend gewürdigt werden sollte und uns dann auch zur Mahnung dienen sollte. Ich denke, wenn das der Fall ist, wenn der eine oder andere über diese Geschichte nachdenkt und gewisse Schlüsse daraus zieht, dann zumindest war ein solches Opfer nicht ganz sinnlos.

Rüdiger Strempel: Lux. Gegen den Nationalsozialismus und die Lethargie der Welt
Osburg Verlag, Hamburg 2020
200 Seiten, 22 Euro

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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