Anti-Rassismus-Proteste in Bristol

Sorge vor dem Geist der Rache

06:47 Minuten
Die Statue von Colston wird von Demonstranten in den Fluss Avon in Bristol geworfen.
Edward Colston war ein Sklavenhändler des späten 17. Jahrhunderts. Seine Statue war in Bristol seit Jahren umstritten und wurde jetzt von Demonstranten versenkt. © picture alliance/ NurPhoto/ Giulia Spadafora
Wolfram Eilenberger im Gespräch mit Anke Schaefer  · 08.06.2020
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Die Geschichte des Rassismus sei so lang und so schmerzvoll, dass sich da offenbar ein hohes Maß an Wut und auch an Gegengewalt angestaut habe, sagt der Philosoph Wolfram Eilenberger. Dennoch plädiert er bei den Protesten für Mäßigung.
Bei Anti-Rassismus-Protesten im englischen Bristol haben Demonstranten die Statue eines Sklavenhändlers von einem Sockel geholt und ins Hafenbecken geworfen. Die Menschen zogen eine Schlinge um den Hals der Bronzestatue von Edward Colston und brachten sie zu Fall. Unter Jubelschreien schleppten sie die Bronzestatue zum Hafen, um sie im Fluss Avon zu versenken. Die britische Innenministerin Priti Patel nannte das Vorgehen der Demonstranten in Bristol "zutiefst schändlich" und sprach von "Vandalismus".
Der Philosoph Wolfram Eilenberger 
Der Philosoph Wolfram Eilenberger spricht sich für mehr Vertrauen in demokratische Verfahren aus. © picture-alliance/dpa/Horst Galuschka
Der Vorfall sei sowohl überfällig wie auch Vandalismus gewesen, sagt Philosoph Wolfram Eilenberger. Er spricht deshalb von "überfälligem Vandalismus", um die Vorgänge in Bristol zu beschreiben. In jedem Fall sei es eine Form der Selbstermächtigung einer demonstrierenden Masse, die sich über demokratische Verfahren hinwegsetze. "Es liegt im Wesen solcher Bewegungen, dass sie überschüssig agieren, dass sie teilweise dann eskalierende Handlungen vollziehen."
Bei allem Verständnis dafür, dass eine solche Statue vielleicht nicht mehr dort stehen sollte, findet Eilenberger es problematisch, wenn demonstrierende Gruppen eine "Art mobhaftes Verhalten" an den Tag legten. Das sei auch nicht im Sinne der Wirksamkeit solcher Proteste. Die Bilder aus Bristol würden von anderen Menschen auch als Beispiel dafür genommen, wie aggressiv solche Proteste ausfallen könnten. Etwas mehr Mäßigung wäre da gut. Aber eine Stadt oder ein Land sollte auch darüber nachdenken, welche Denkmäler wo stehen sollten, sagt der Philosoph.

Demokratische Lösungen

Die Geschichte des Rassismus sei so lang und so schmerzvoll, dass sich da offenbar ein hohes Maß an Wut und auch an Gegengewalt angestaut habe, sagt Eilenberger. "Aber gerade wenn wir auf die Zukunft der Demokratie und ihre Selbstheilungskräfte setzen wollen, würde ich immer dazu raten, dass diese Proteste nicht in dieser Weise überschüssig werden, sondern den Weg der Institutionen, der Verfahren gehen, um diese Anliegen demokratisch vorzubringen."
Demonstranten transportieren die Statue gemeinsam durch Bristol.
Demonstranten transportierten die Statue gemeinsam durch Bristol.© picture alliance/ NurPhoto/ Giulia Spadafora
Auf den Bildern aus Bristol habe er auch Aufnahmen gesehen, auf denen ein junger, blonder Mann eine Art Veitstanz aufgeführt habe. "Es liegt eben auch im Wesen dieser Selbstermächtigungsgesten, dass der Geist der Gerechtigkeit von dem Geist der Rache nicht leicht zu unterscheiden ist", so Eilenberger. Dieser Geist der Rache sei etwas, was man im öffentlichen Raum nicht so gerne sehe.

Aktuelle Debatte in der Philosophie

Auch die Statue des früheren Premierministers Winston Churchill sei beschmiert worden, ergänzt Eilenberger. "Er ist ein Rassist", habe darauf gestanden. Daran könne man sehen, dass die Bewegung noch weiter gehe. Für die Philosophie sei das eine sehr aktuelle, brennende Debatte. "Es gibt Autoren wie Voltaire, wie Hegel und Kant, die das N-Wort in ihren Schriften führen." Auch die Philosophin Hannah Arendt habe das getan.
In der Rassismusforschung und in der Anti-Rassismus-Bewegung forderten einige Autoren, dass diese Philosophen deshalb nicht mehr gelehrt werden sollten. Für sie seien die Denker tabu, weil sie sich in gewisser Weise geäußert haben. Dazu Eilenberger: "Wenn wir das Archiv unserer Kultur in dieser Weise anzünden, dann verlieren wir doch vieles, das wir vielleicht nicht verlieren wollen."
(gem)

Wolfram Eilenberger, geboren 1972, hat Philosophie, Psychologie und Romanistik studiert und ist Autor zahlreicher philosophischer Sachbücher. Der Publizist hat an der University of Toronto (Kanada), der Indiana University (USA) und an der Berliner Universität der Künste gelehrt. Eilenberger war Gründungschefredakteur des Philosophie Magazins. Er ist zudem Mitglied der Programmleitung des Philosophie-Festivals phil.cologne und Moderator der Sternstunde Philosophie im Schweizer Fernsehen SRF.

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