Anselm-Kiefer-Retrospektive in Paris

Überraschungen beim Blick zurück

Von Kathrin Hondl · 14.12.2015
Anselm Kiefer hat schon so ziemlich alle Ehrungen bekommen, die bildenden Künstlern zuteil werden können. Nun aber setzt Frankreich noch eins drauf, die Stadt, in der er auch lebt: Das Centre Pompidou in Paris zeigt eine umfassende Retrospektive.
"Madame de Stael – De l'Allemagne", so heisst ein noch junges Werk von Anselm Kiefer. Entstanden erst dieses Jahr, füllt es am Ende der Retrospektive im Centre Pompidou einen ganzen Raum: An der Stirnseite, auf einem grossformatigen, knapp drei mal vier Meter großen Bild, ein düsterer Wald mit Schnee bedecktem Boden, auf dem Pilze wachsen. Die Landschaft wird im Raum fortgeführt.
Heller Sand bedeckt den Museumsboden, auch darauf stehen Pilze. Sie tragen die Namen der Künstler, Dichter und Denker, mit denen Madame de Stael in ihrem Buch "Über Deutschland" damals, Anfang des 19. Jahrhunderts, ihre französischen Leser bekannt machte: Novalis, Eichendorff, Brentano, Johann Gottlieb Fichte, Carl Maria von Weber... Doch anders als Madame de Stael sieht Anselm Kiefer die deutschen Romantiker eben auch als potentiell giftige Pilze mit weitreichenden Sporen: .
"Die hat nicht die Entschlusskraft und die militärische Brisanz erkannt. Die hat gedacht, das ist das Land der Dichter und Denker. Ich sehe das schon 'der Dichter und Denker', das ist ja klar, das kann man nicht abstreiten. Aber es ist auch gleichzeitig natürlich ein gefährliches Land. Weil: Es hat nicht das Selbstbewusstsein wie die Franzosen oder die Engländer. Der Plessner hat mal gesagt 'die verspätete Nation'.Und die Franzosen, die Engländer, jeder hat da sein symbolisches Urereignis, also in Frankreich die Revolution, in England die erste Verfassung, und Deutschland hat das nicht. Es gab da immer Ansätze, also die Paulskirche ist ein Anklang, aber ist noch nicht das grosse Symbol für Deutschland. Insofern ist so eine Nation immer gefährlich auch."
Die Abgründe und Mythen der deutschen Geschichte
In seiner "De l'Allemagne"-Installation zeigt Anselm Kiefer die, wie er sagt, "Nebengleise der deutschen Romantik": Vom "Pilz" Johann Gottlieb Fichte führt da zum Beispiel eine direkte Verbindung zu Wilhelm II.:
"Der war ein Romantiker, aber einer wie ich ihn nicht so goutiere. Man könnte sagen, er ist der Vertreter der eisernen Romantik."
Eine intensive Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte, ihren Abgründen und Mythen prägt Kiefers Werk von Anfang an. Die Pariser Retrospektive zeigt, thematisch angeordnet, zentrale Arbeiten aus allen Phasen. Auf den so genannten "Heroischen Sinnbildern" der Jahre 1969 und 70 malte sich der junge Kiefer selbst, in der Militärkleidung seines Vaters, den Arm zum Hitlergruss ausgestreckt vor europäischen Landschaften. "Was hätte ich damals gemacht?" habe er sich damals gefragt, sagt er über diese provokanten Bilder, die erst 2008 zum ersten Mal in Deutschland gezeigt wurden.
Zu suspekt erschien wohl der eigenwillige Selbstversuch des Künstlers. Auch die späteren grossformatigen Bilder von Kiefer, der seit 1993 in Frankreich lebt, fielen bei manchen deutschen Kritikern als "Gigantomanie" oder "Mythengeraune" in Ungnade. Dabei geht es in den skulpturalen Landschafts- und Materialbildern eigentlich immer um eine Dekonstruktion der Mythen – von Siegfrieds bluttriefendem Schwert Notung bis zur Schlacht im Teutoburger Wald:
"Ja sicher, also ich habe die Mythen befreit, hoffe ich, vom Missbrauch der Nazis. Also ich sage: Die Mythen sind keine Handlungsanweisung, sondern die sind ein Bild für die Welt, ein Gesamtbild, während die Geschichte und die Wissenschaft, die geben ja immer nur Teile. Und die Mythen geben ein Gesamtbild."
Einen ganzen Raum im Centre Pompidou hat Anselm Kiefer wie eine Wunderkammer mit speziell für die Ausstellung gemachten Vitrinen bestückt. Hinter Glas finden sich da Materialien und Objekte, die seine Gedanken- und Bildwelten prägen – Blei, Farne, Fotografien, Zitate der von ihm verehrten Dichter Paul Celan und Ingeborg Bachmann. Andere Räume in dieser umfassenden Retrospektive zeigen Werke, in denen sich Kiefer mit jiddischer Kultur und der Kabbala-Mystik auseinandersetzt.
Bilder mit bösen Blumen
Aber es sind nicht immer allein düstere Melancholie und die Last der deutschen Geschichte, die diese in jeder Hinsicht grossformatige Kunst kommuniziert. Da sind auch Bilder mit "bösen Blumen", die mittels Elektrolyse bunt leuchten:
"Ich mal ja, wenn mich was ergreift, wenn ich überwältigt bin. Also ich bin unheimlich fasziniert von den Blumen, weil das eine Metamorphose ist, die blühen, dann gehen sie wieder unter, dann blühen sie wieder usw. Und dann habe ich viele Blumenbilder gemalt, schöne Blumenbilder. Und dann hatte ich so ein schlechtes Gewissen bekommen, ich dachte, die kann ich nicht zeigen, das geht nicht. Das ist zu affirmativ. Und dann habe ich gedacht: 'Wenn ich jetzt den Morgenthau mit meinen Blumen verbinde dann wird das richtig'. Weil dann kann man sagen: 'Deutschland wär so schön wie auf den Bildern, wenn's den Morgenthauplan gegeben hätte.'"
Mit dem Morgenthauplan wollten die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland in ein Agrarland verwandeln. Kiefers schönes Blumenbild mit der spöttischen Aufschrift "Morgenthauplan" ist in Paris jetzt leider nicht zu sehen. Aber auch ohne diese romantisch-ironische Deutschland-Vision ist die Ausstellung im Centre Pompidou eine spannende und gerade für Deutsche vielleicht auch überraschende Gesamtschau auf das Werk eines deutschen Künstlers, dessen Witz und Humor - ähnlich wie die romantischen Giftpilze - in Deutschland nicht immer verstanden wurden.

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