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Thora-Schreiber
Die Hüter der heiligen Schrift

Jede Woche wird in der Synagoge ein Abschnitt aus der Thora gelesen. Geschrieben wird die Thora von sogenannten Sofer Thora - Thora-Schreibern. Und das nicht am PC, sondern mit Feder und Tinte auf Papier. Ein Job, der Fingerfertigkeit erfordert - und vor allem viel Geduld.

Von Lissy Kaufmann | 15.03.2017
    Das Handwerk des Thora-Schreibers ist Jahrtausende alt:Tora-Schreiber Israel Nachmani in seiner Schreibstube
    Das Handwerk des Thora-Schreibers ist Jahrtausende alt. Lissy Kaufmann hat Israel Nachmani (Bild) in seiner Schreibstube besucht. (Lissy Kaufmann/Deutschlandfunk)
    Kaum zu hören ist es, das Kratzen der Feder auf dem Pergament. Israel Nachmani, ein kleiner, grauhaariger Mann mit Bart und Kippa, schreibt behutsam die hebräischen Buchstaben Chet, Tet, Aleph. Das Wort lautet: chatah, übersetzt: Er sündigte. Es sind drei von insgesamt 304.805 Buchstaben, die er schreiben wird, bis die Thora vollendet ist. Israel Nachmani, 65 Jahre alt, ist Thora-Schreiber - wie schon sein Vater und sein Großvater vor ihm. Porträts der beiden hängen an der Wand über dem alten Holztisch in der Schreibstube, die er sich in seinem Haus nahe Jerusalem eingerichtet hat.
    "Ich habe Freude an der Arbeit. Jemand, der nur schreibt, um fertig zu werden, und nur das Nötigste tut, der wird nicht erfolgreich sein. Erfolg wird nur haben, wer die Arbeit mit Freude macht und sich keine Grenzen setzt, Zeit investiert und sich anstrengt. Für Menschen ohne Geduld ist das nichts", sagt Israel Nachmani.
    Ein halbes Jahr, um eine Thora zu schreiben
    Und Geduld, die hat Israel Nachmani. Schließlich braucht er mehr als ein halbes Jahr, um eine Thora zu schreiben. Er muss langsam und äußerst präzise vorgehen, kein Buchstabe darf zu lang oder zu fett sein oder gar zu nah an einem anderen liegen. Das Handwerk ist Jahrtausende alt und hat sich seither kein bisschen verändert. Denn das geben die jüdischen Gebote vor. Die Thora muss von Hand geschrieben werden: mit Feder und Tinte auf Pergament, also auf papierdünnen Lederseiten.
    "Sie stammen von ungeborenen Kälbern. Sie sind weicher, angenehmer zum Schreiben und halten länger. Sie werden auch aus Schafs- oder Ziegenhaut hergestellt. Die sind aber weniger gut."
    Israel Nachmani ist ein sogenannter Sofer Stam. Das heißt, er schreibt nicht nur die Thora, sondern auch die Verse für die Gebetskapseln, die sich gläubige Männer mit Lederriemen um Kopf und Arme binden. Die sogenannten Tefillin. Und er schreibt auch Verse für die Mesusa, die kleine Schriftkapsel, die man an Türen befestigt. Ein Zeichen, dass Gott dieses Haus beschützen möge.
    Der Thora-Schreiber Israel Nachmani bei der Arbeit
    "In allen Ländern wurde in jeder Thora exakt das Gleiche geschrieben", sagt Moshe Ben Moshe, der die Arbeit von Thora-Schreibern wie Israel Nachmani (Bild) kontrolliert. (Lissy Kaufmann/Deutschlandfunk)
    Seit mehr als 40 Jahren schreibt Israel Nachmani bereits. Doch selbst einem Profi wie ihm können Fehler passieren. Deshalb gibt es Prüfer wie Moshe Ben Moshe, der die frisch geschriebene Thora liest, bevor sie einer Gemeinde übergeben wird.
    "Das dauert ein bis zwei Monate", sagt Moshe Ben Moshe. "Danach wird der Text elektronisch gescannt und ein spezielles Computerprogramm zeigt dann an, ob etwas fehlt oder irgendwo ein Fehler ist. Ich bekomme dann einen Report, auf dem steht, auf welcher Seite, in welcher Zeile, in welchem Wort der Fehler steckt."
    Moshe Ben Moshe muss aber zusätzlich mit eigenen Augen die Werke ganz genau lesen, so lautet das Gebot. Und darauf achten, dass alles genau so geschrieben ist wie im Original, also in der Thora, die Moses, so die Tradition, auf dem Berg Sinai empfangen hat.
    "Man darf nichts ändern. Und in der Tat: In allen Ländern, im Westen wie im Osten, ob in Deutschland, Polen, im Jemen oder in Spanien, überall, wo Juden für 2.000 Jahre im Exil gelebt haben, wurde in jeder Thora exakt das Gleiche geschrieben."
    Gleiches gilt für die Verse für die Tefillin und die Mesusa. Doch immer wieder gibt es auch Betrugsversuche: Manch einer hat schon mit Schablonen gearbeitet oder die Seiten einfach gedruckt. Auch Fälschungen aus China hat Moshe Ben Moshe schon entdeckt.
    "Solche Dinge gibt es. Deshalb sollte man nur einem Sofer vertrauen, den man kennt, der die Thora studiert, sich an die Gebote hält, selbst eine Mesusa im Haus anbringt und Tefillin legt. Ein Mann, der keine Tefillin legt, kann auch keine schreiben."
    Neue Aufgaben durch Smartphones
    Im orthodoxen Judentum sind die Tefillin den Männern vorbehalten. Und nur Männer holen die Thora aus ihrem Schrein und lesen daraus vor. So ist der Beruf des Sofer Stam ein reiner Männerberuf. Doch so traditionell und altertümlich das Handwerk ist, ganz entziehen können sich auch die Sofer Stam der Moderne nicht:
    "Heute gibt es WhatsApp", sagt Moshe Ben Moshe. "Die Leute fotografieren die Mesusa und schicken sie und fragen dann alle möglichen Dinge. Hier fragt einer nach diesem Buchstaben, dem Wav, einem senkrechten Strich. Der Schreiber hat den Buchstaben etwas zu lang gezeichnet, jetzt sieht er aus wie der Buchstabe Nun-sofit. Hier haben wir nun ein Problem. Denn bei den Tefillin und bei der Mesusa dürfen Fehler nicht nachträglich korrigiert werden. Warum? Die Buchstaben dürfen nur in der entsprechenden Reihenfolge geschrieben werden. Das Wav steht aber hier mitten im Text - und der Rest ist bereits geschrieben."
    Für den Schreiber heißt es, dass mehrere Stunden Arbeit umsonst waren. Auch Israel Nachmani kennt das. Er sagt, es gehöre eben zu einem guten Sofer Stam, sich nicht zu ärgern, sondern geduldig weiterzumachen:
    "Schau, sobald ich einen Fehler gemacht habe, und mich dann schlecht fühle, habe ich schon zwei Fehler gemacht. Wenn ich nur zurückschaue, komme ich ja nicht vorwärts, also muss ich nach vorne blicken."