Annäherungen an Darwin

Rezensiert von Reinhard Kreissl · 01.02.2009
Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, wurde vor 200 Jahren geboren. Jürgen Neffe nimmt den runden Geburtstag zum Anlass, sich in "Darwin - Das Abenteuer des Lebens" in einer Mischung aus biografischer Einfühlung und wissenschaftshistorischem Interesse dem Biologen zu nähern. Philip Kitcher verteidigt in "Mit Darwin Leben" die Evolutionstheorie gegen die Kreationisten.
Darwin teilt das Schicksal anderer Meisterdenker, er wurde zum Opfer seiner Jünger. Die Schultern der Riesen bieten den Platz für allerlei marktschreierisches Gezänk über die von ihnen entwickelten Gedanken und Ideen. Insofern ist das Buch von Jürgen Neffe eine angenehme Ausnahme. Er nähert sich Darwin in einer Mischung aus biografischer Einfühlung und wissenschaftshistorischem Interesse. Hier schreibt ein naturwissenschaftlich gebildeter Autor in der besten Tradition von Reiseschriftstellern wie Bruce Chatwin.

"In diesem Moment habe ich meinen Entschluss gefasst. Als Biologe ist mir Darwins Evolutionslehre vertraut, als Wissenschaftshistoriker auch seine Lebensgeschichte mit der Weltumrundung als frühzeitigem Höhepunkt. Doch was ist auf dieser Reise, der einzigen seines Lebens, mit ihm passiert und was in ihm? Wie hat sich der Amateur unter den Naturkundlern, ein junger Mensch ohne jede formale Ausbildung, während der fünf Jahre in einen Forscher verwandelt, der bald alle übrigen überragen würde? Wie der angehende Priester in einen rationalen Denker."

Diese Frage stellt Neffe an den Anfang seines Buches. Sie hat nicht nur historischen Wert. An Figuren wie Darwin könnten heutige Wissenschaftspolitiker einiges lernen. Nicht jeder muss die Welt neu erfinden, aber wie sich der wissenschaftliche Geist in der Auseinandersetzung mit der Widerständigkeit und Rätselhaftigkeit der Welt bildet, wie einer sein Thema findet und es bearbeitet – darüber lohnt es sich nachzudenken. Und am Beispiel der Großen lässt sich hier einiges studieren. Am jungen Darwin schätzten seine Lehrer in Cambridge, so Neffe, Neugier, Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, in großen Zusammenhängen zu denken. Natürlich findet sich dergleichen nicht in den Elendsquartieren. Darwin stammt aus einer angesehenen und wohlhabenden Familie, wie sie in England mit den Huxleys und anderen Intellektuellenclans im 19. Jahrhundert immer wieder zu finden sind.

Neffe baut sein Buch entlang Darwins berühmter Reise mit dem Segelschiff Beagle auf. Auf dieser Fahrt sammelt Darwin die Daten, mit denen er später seine Theorie der Evolution entwickelt. Jedes der 26 Kapitel ist einem Abschnitt, einer Region entlang der Route gewidmet, die der Autor nachgefahren ist.

Neffe vergleicht dabei die eigenen Eindrücke mit den Schilderungen aus Darwins Tagebüchern. Apropos Vergleich. Gelegentlich gehen Neffe dann doch die naturphilosophischen Gäule durch, wenn er etwa zunächst auf Darwins zentrales methodisches Verfahren des Vergleichs von Dingen und Eindrücken verweist, dann aber fortfährt:

"Damit tut er bewusst genau das, was das Leben, wie wir es kennen, vom Rest der Materie unterscheidet. Die Fähigkeit zu erkennen, zu vergleichen und zu unterscheiden, könnte Leben sogar ausmachen. Jedes Wesen, das Information aus seiner Umgebung aufnehmen kann, setzt sie zu seinem inneren Zustand in Beziehung. Schon eine Amöbe weiß, wohin sie sich bewegen muss, um an Nahrung zu gelangen. .... Selbst Moleküle, die kleinstmöglichen Körpern gleichen, ‚wissen’ aufgrund ihrer Form, welche anderen zu ihnen passen oder nicht. ... Wenn man so will, finden und verbinden sich schon auf molekularer Ebene Partner, die Affinitäten zueinander besitzen. So gesehen steht eine Urform der Partnerschaft am Anfang des Lebens, der Ursprung der Liebe."

Das klingt dann manchmal eher, als wolle unser Autor daran erinnern, dass Darwin eigentlich hätte Pastor werden sollen.

In jedem Kapitel finden sich Exkurse zu den populäreren Aspekten der Darwinschen Überlegungen. So räsoniert Neffe beim Anblick der Jungen und Schönen am Strand von Rio de Janeiro über Darwins Ausführungen zur sexuellen Selektion. Ein Land wie Brasilien liefert deutliches Anschauungsmaterial, wie eine Gesellschaft sich von biologischer auf soziale Selektion umstellen kann: Nachteile bei den Genen, so Neffe, werden durch Vorteile bei den Dukaten mehr als wettgemacht.

Neffe entpuppt sich in den 26 Kapiteln auf 470 Seiten Lesetext als guter Erzähler. Sein populär-salopper Schreibstil geht allerdings manchmal auf Kosten der Genauigkeit, wenn er auf das theoretisch-begriffliche Umfeld von Darwins Überlegungen im engeren Sinne eingeht. Da wird dann der Botaniker Linné in einem Atemzug mit Aristoteles und Plato genannt und alle sind dann irgendwie auch mit Darwins Ideen verwandt.

Da wäre ein feinerer Strich manchmal angemessen. Man muss ja nicht, nur weil man Darwins synthetischen Blick über die Äonen bewundert, gleich alles in einen Topf werfen und mit unscharf gestelltem Blick überall Ähnlichkeiten und Wahlverwandtschaften sehen. Alles in allem aber handelt es sich hier um eine leichtfüßige Lektüre, die Darwin als Person und Autor auch einem Laienpublikum nahe bringt und vor allen Dingen seine Bedeutung für die aktuellen Fragen der Gegenwart durch entsprechende Bezüge hervorhebt.

Ganz anders bei dem Buch von Kitcher. Der ist Wissenschaftsphilosoph und sein kleines Bändchen hinterlässt nach der Lektüre eine gewisse Verwirrung. Was hat man sich beim Suhrkamp Verlag gedacht, als man diese sehr spezifisch auf eine sehr amerikanische Problematik eingehende Abhandlung, in das Programm aufgenommen hat? Ist das die angekündigte neue Ausrichtung des Verlags, der sich jetzt den aktuellen Herausforderungen der Naturwissenschaften stellen will? Hoffentlich nicht. Hier verteidigt ein analytischer Wissenschaftsphilosoph bestimmte Aspekte der Darwinschen Theorie gegen die Anwürfe der hierzulande – man ist versucht zu sagen: Gott sei Dank! – kaum bedeutsamen Kreationisten und Anhänger des sogenannten Intelligent Design. Die haben sich zum Ziel gesetzt, Darwin aus dem Biologieunterricht in den amerikanischen Schulen zu vertreiben. Wissenschaftsphilosophen beackern von haus aus ein schwieriges Terrain. Und Kitcher hatte mit seinem Essay wohl auch keine wissenschaftliche Abhandlung im Sinn. Sein Text ist, wie er im Vorwort anmerkt, in der politischen Auseinandersetzung mit den Kreationisten entstanden. Das mag ein lobenswertes Unterfangen sein:

"Ich wollte nicht nur auf die fehlerhaften Argumente der Verfechter des Intelligent Design reagieren, sondern auch die überzeugende Struktur der Darwinschen Evolutionstheorie darlegen und sie so darstellen, dass auch Menschen ohne große Vorbildung in Naturwissenschaft, Geschichte oder Philosophie sie verstünden. Außerdem wollte ich auf die Bedenken nachdenklicher Menschen eingehen, die sich von der Werbung für das Intelligent Design blenden ließen ... So habe ich dieses Buch denn in der Überzeugung geschrieben, dass wir den Kreislauf der Kontroverse erst dann verlassen werden, wenn vollständig geklärt ist, was wirklich am Grunde dieses Streites liegt."

Für ein deutsches Publikum dürfte es sich bei den Ausführungen von Kitcher über weite Strecken um einen Kampf gegen Windmühlen handeln.

Die Thesen des sogenannten Intelligent Design, die eine göttliche Hand im Spiel der Evolution vermuten, müssen hierzulande nicht – noch dazu im hölzernen Jargon der analytischen Philosophen – widerlegt werden. Zudem ist der Text nicht sehr gut übersetzt, Satzbau und Begrifflichkeit schillern stark anglophon.

Am Ende, nachdem Kitcher sich wortreich über biblische Genesis, die gemeinsame Abstammung der Arten und die Rolle des Zufalls ausgelassen hat, kommt er zu der Einsicht, dass es möglicherweise an den eher bescheidenen Lebensbedingungen vieler seiner amerikanischen Mitbürger liegen könnte, dass sie den Angeboten der diversen evangikalen Sekten auf den kreationistischen Leim gehen. Religion, so stellt er mit Hinweis auf den bekannten Autor dieses Spruchs fest, sei nun mal Opium für das Volk. Warum er dann über knapp zweihundert Seiten sich in gedrechselten Argumenten bemüht hat, eine ohnehin nur im Rahmen einer irrationalen Blickverengung plausibel erscheinende Interpretation der Naturgeschichte zu widerlegen, bleibt das Geheimnis des Autors. Wer sich im Darwinjahr mit passender Lektüre eindecken will, dem seien natürlich zuallererst die nach wie vor lesenswerten Schriften des Jubilars selbst ans Herz gelegt. Bei den sekundärliterarischen Verwertungen des Jubiläums ist man mit dem Buch von Jürgen Neffe in jedem Fall besser bedient.

Jürgen Neffe: Darwin - Das Abenteuer des Lebens
Bertelsmann Verlag, München

Philip Kitcher: Mit Darwin Leben
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009
Jürgen Neffe: Darwin
Jürgen Neffe: Darwin© Bertelsmann Verlag
Philip Kitcher: Mit Darwin Leben
Philip Kitcher: Mit Darwin Leben© Suhrkamp Verlag