Annaberg-Buchholz in Finanznot

Mit Investitionen gegen die Corona-Misere

10:58 Minuten
Blick in eine menschenleere Seitengasse in Annaberg-Buchholz in Sachsen.
Annaberg-Buchholz hatte große Pläne, um die Abwanderung zu stoppen. Jetzt schlagen die Folgen der Pandemie ins Kontor der Kreisstadt im Erzgebirge. © picture alliance / dpa / dpa-Zentralbild / Peter Endig
Von Alexandra Gerlach · 02.03.2021
Audio herunterladen
Schon vor der Corona-Krise klagten Kommunen über ihre schlechte Finanzausstattung. Noch ist nicht abzusehen, wie gravierend sich die monatelange Schließung von Handel und Gewerbe auswirkt. Annaberg-Buchholz im Erzgebirge setzt auf seine Reserven.
"Wir gehen jetzt links runter, auf die Wolkensteiner Straße und dort kommen wir zu meinem Haus", sagt die Geschäftsfrau Katrin Frohberg. "Das ist ein Laden für Wohnaccessoires, und oben drüber sind die zwei Ferienwohnungen."
An diesem Tag im Februar ist der Marktplatz von Annaberg-Buchholz wie leer gefegt, nur wenige Passanten sind mit kleinen Einkaufsbeuteln unterwegs. Touristen sind gar keine da. Die vielen kleinen Geschäfte, das Café, das Hotel und das Modekaufhaus an der Ecke, vis-a-vis vom stolzen Rathausbau, sind geschlossen, die Fenster dunkel. Das sah vor der Pandemie ganz anders aus:
"Wenn kein Corona ist, sind sehr, sehr viele Touristen hier in Annaberg, die halt zum Skifahren da sind, ja, sind sehr viele Urlauber da und da ist schon andere Bewegung da."
Katrin Frohberg geht schwungvoll voran, vorbei am Rathaus und Markt von Annaberg-Buchholz. Die 54-Jährige ist gelernte Landschaftsgärtnerin, hat nach dem Mauerfall ein Möbelhaus mit aufgebaut und sich auf Inneneinrichtung spezialisiert. Sie ist verheiratet und hat zwei Söhne. Seit zehn Jahren hat sich mit ihrem Laden für Wohnaccessoires, Geschenke und Feinkost selbständig gemacht. Seit 2019 befindet sich dieser in einem der ältesten Häuser der Stadt. Dieses hat sie gemeinsam mit ihrem Mann aufwändig saniert.
Es seien 100 Quadratmeter reine Verkaufsfläche. "Wir haben in diesen Räumen immer zu dritt gearbeitet." Das Angebot umfasst: "Lampen, Kleinmöbel, Decken, Kissen, Vasen, alles, was das Leben schöner macht, was die Wohnräume schöner macht", erklärt Frohberg. Außerdem bekomme man bei ihr auch Feinkost, unter anderem Weine, Öl, Essige, Gewürze, Pasta.
Seit Monaten sind das Geschäft und die zwei Ferienwohnungen von Katrin Frohberg im Lockdown, wie so vieles andere auch. Das greife die Nerven an, sagt sie und berichtet von quälenden Gedanken:
"Wie geht es weiter? Was machst du jetzt hier? Dir wird ja im Prinzip alles genommen. Deine Einstellungen, deine Finanzen, das, wofür du gekämpft hast zehn Jahre lang, ist jetzt weg! Zu!"

Hilfe durch Stundung, City-Manager und Online-Markt

Mit Sorge sieht der Oberbürgermeister von Annaberg-Buchholz, Rolf Schmidt, auf die aktuelle Lage der Händler und Gastronomen in seiner Stadt, die normalerweise auch tausende Gäste und Touristen aus dem benachbarten Tschechien zählt.
"Was passiert mit dem Handel und mit den Gaststätten, mit den kleinen Geschäften, die jetzt geschlossen sind? Manche gehen jetzt an ihre Substanz, manche müssen die Altersvorsorge auflösen, manche müssen ihr Konto leerräumen. Dort sehe ich riesengroße Probleme auf uns zukommen, was auch die Innenstadt dann natürlich betrifft in der Konsequenz."
Die Stadt kann ihren Gewerbetreibenden nur begrenzt helfen, um das Überleben zu sichern. Je länger der Lockdown und die Schließung der Geschäfte dauern, umso prekärer werde die Lage, sagt Schmidt.
Im Moment könne er nicht abschätzen, was nach dem Ende des Lockdown noch existiert. Die Stadt helfe im Moment "durch Stundung oder durch kleinere Maßnahmen, Aktionen durch unseren City-Manager". Neu sei es ein Online-Markt. "Wir können natürlich keine großen Finanzmittel ausschütten an die Händler oder Gastronomen – aber dort sehe ich mit großer Sorge, gebe ich zu, in diesen Bereich."

1,2 Millionen Euro weniger Gewerbesteuer

Annaberg-Buchholz habe gut gewirtschaftet in den zurückliegenden Jahren, betont die Stadtkämmerin Anke Hanzlik, das biete kleine Spielräume, dennoch reiße die Pandemie jetzt ein großes Loch in der Stadtkasse. Die Aufstellung des aktuellen Doppelhaushalts mit einem Volumen von rund 70 Millionen Euro sei besonders schwierig gewesen:
"Also wir haben gegenüber dem Jahr 2019/2020 – da waren die Auswirkungen ja schon spürbar – 1,2 Millionen weniger an Gewerbesteuereinnahmen zu verzeichnen." Das sei eine erhebliche Größenordnung, wenn man bedenke, "dass wir insgesamt 7,2 Millionen noch im Jahr 2019 hatten und auch für den aktuellen Haushalt 2021/2022 auch von rückläufigen Steuereinnahmen ausgehen müssen." Es sei eine Größenordnung, "wo wir überlegt haben: Wie können wir denn überhaupt den Haushalt aufstellen?"
Schon vor der Pandemie wurde die unzureichende Finanzausstattung der Kommunen bundesweit beklagt. Verschärfend kommt nun hinzu, dass auch die Finanzzuweisungen des Freistaates zurückgehen. Statt acht Millionen Euro pro Jahr werden es jetzt nur noch 6,5 Millionen Euro sein.
"Es fehlt an allen Ecken und Kanten", sagt Bürgermeister Schmidt. "Wir haben das Problem, dass wir ein neues Finanzausgleichsgesetz bekommen, das die kleineren Kommunen besserstellt, was auch nötig war, aber zulasten der mittleren Städte. Und das ist für uns zum Nachteil, das stellt uns vor große Herausforderungen."

Abwanderungstrend gestoppt

Dabei hat der Oberbürgermeister einiges vor mit seiner stolzen Bergstadt. Annaberg-Buchholz war lange Zeit von Abwanderung geprägt. Dieser Trend ist gestoppt, und die Stadtregierung setzt auf Investitionen, um den Standort gerade für junge Familien attraktiv zu machen und dem allgemeinen negativen Demografie-Trend wirksam entgegenzutreten.
Die Geburtsstadt des Rechenmeisters Adam Riese unterhält fünf Schulen und Horte in eigener Trägerschaft, verfügt über ein großes Krankenhaus, zahlreiche Pflegeeinrichtungen, ein großes Schwimmbad, ein Theater und fünf Museen. Sie setzt auf Digitalisierung und Breitbandausbau und weist Baugelände für Eigenheime aus. Im bundesweiten Ranking der Zeitschrift "Kommunal" rangiere Annaberg-Buchholz inzwischen unter den familienfreundlichsten Kommunen ganz vorne, referiert Stadtoberhaupt Schmidt voller Stolz. Nun wird intensiv in die Schaffung neuer Arbeitsplätze für junge Leute investiert:
"Das sind ja gerade die Gründe, warum wir strategisch und entwickeln wollen in Richtung Forschung, Entwicklung und höhere Bildung. Junge Leute hierher zu bekommen. Wenn ich davon ausgehe, wenn unser Campus-Projekt und unser Hochschulprojekt, was das Zweite ist, zum Laufen kommt, dann haben wir Studenten hier. Und Studenten bedeutet eben auch – wie sagt man so schön – Klebe-Effekt, lernen jemanden kennen, lassen sich hier nieder, wir haben Wohngebiete hier ausgewiesen, die sind in letzter Zeit unheimlich schnell verkauft, wir kommen kaum nach."
Rolf Schmidt, Oberbürgermeister von Annaberg-Buchholz in Sachsen, hält einen Ordner mit Papieren in die Höhe. 
Rolf Schmidt, Oberbürgermeister von Annaberg-Buchholz will seine Stadt für Familien attraktiv machen.© picture alliance / Jan Woitas / dpa-Zentralbild /dpa / Jan Woitas
Große Hoffnungen richten sich auf den neuen Forschungscampus zum autonomen Bahnfahren, der gerade vom Bund mit rund 18 Millionen Euro Fördermitteln bezuschusst wurde. Er soll in einem ehemaligen Bahnhof der Stadt entstehen, direkt an der 5G-gestützten Test-Bahnstrecke für autonomes Fahren. Mehrere sächsische Universitäten und rund 150 Unternehmen, darunter Weltfirmen, haben sich hier neben der Stadt bereits eingebracht und arbeiten mit an dem Projekt:
"Wir hatten eine Weltkonferenz zur Mobilität hier, mit Fachleuten aus aller Welt und wir hatten im Zusammenhang damit einen ICE auf unserer Bahnstrecke, die ja sonst bloß mal am Wochenende mit Dampflokomotiven zur touristischen Nutzung befahren wird, und als der ICE kam, da standen mehr Leute an der Bahnstrecke als im Zug waren, von Annaberg bis Schwarzenberg." Er sei selbst unten am Bahnhof gewesen, sagt Schmidt. "Da ging fast kein Apfel mehr zu Erde. Die Leute waren einfach fasziniert. Also ich sehe das als riesengroße Chance für unsere Stadt."

Forderung: Auch 2022 Rettungsschirme

Um den ambitionierten Plänen zum Erfolg zu verhelfen, bedarf es einer guten Infrastruktur und einer guten Straßenanbindung für die Stadt am Kamm des Erzgebirges. Doch genau daran hapert es, und Besserung ist gerade durch die Pandemie nicht in Sicht, klagt der Oberbürgermeister:
"Dort gibt es Riesennachholbedarf, aber überhaupt keine Bewegung, dass sich mal etwas bessert." Es gebe die Grundausstattung Finanzbedarf der Kommunen für die Pflichtaufgaben. Und es würden immer mehr Aufgaben für die Kommunen, stets verbunden mit mehr Aufwand und mehr Personal. "Beispiel: Das Thema Digitalisierung beschert uns momentan nicht unbedingt Personaleinsparungen, aber in der Umsetzung, in der Zuweisung von Mitteln findet das überhaupt keinen Niederschlag, im Gegenteil."
Der Sächsische Städte- und Gemeindetag sieht diese Entwicklung gleichfalls mit Sorge. SSG-Präsident Bert Wendsche fordert daher:
"Wir Kommunen brauchen mindestens in diesem, aber auch in 2022 ähnliche Rettungsschirme wie im vergangenen Jahr. Weil es in keinem Interesse sein kann, wenn die Kommunen gen null fahren, denn das Defizit, das wir dieses Jahr einfahren, heißt: im nächsten Jahr weniger Investitionen und nahezu null Investitionen. Das kann nicht sein, dass die öffentliche Hand sich nach der Krise quasi auch noch totspart. Wir müssen in der Krise weiter investieren."

Werbung und Marketing nach dem Lockdown

Wendsche sieht in Folge der Corona-Pandemie steigende Arbeitslosenzahlen und somit auch steigende Sozialkosten auf die Kommunen zukommen. Zudem müssen nach dem Ende des Lockdowns einiges an Werbung und Marketing investiert werden, um Handel und Gewerbe wieder zu beleben. Mehrausgaben bei sinkenden Einnahmen also. Zugleich zögen sich Land und Bund aus einigen Zusagen zurück, kritisiert Sachsens Städtetags-Präsident. Wendsches Fazit:
"Die öffentliche Hand hat für ein Wiederanfahren des Lebens, der Wirtschaft eine Verantwortung, und da können die Kommunen nicht hängen gelassen werden. Und die Verabredungen, die im vorigen Jahr funktioniert haben, müssen auch dieses Jahr funktionieren."
Eine vage Hoffnung, auf die der Oberbürgermeister von Annaberg-Buchholz nicht setzen möchte. Der frühere Unternehmer Rolf Schmidt setzt auf Innovationskraft und schöpft mit der Unterstützung des Stadtrates aus den Reserven der Stadt:
"Zum einen sind wir so, dass wir optimistische Menschen sind. Dass wir uns überlegen: Was können wir aus der Sache noch am besten machen? Wie können wir investieren oder überhaupt auch unsere Bürgerschaft mitnehmen? Das ist das Thema, das uns hier ständig beschäftigt, dass wir nicht nur den Kopf in den Sand stecken."
Und Geschäftsfrau Katrin Frohberg sagt: "Ich werde, wenn es wieder losgeht, erst einmal alleine an den Start gehen, um die Kosten zu minimieren."
Mehr zum Thema