Anna Woltz: "Haifischzähne"

Dem Schicksal davon radeln

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Illustration von zwei Fahrrädern zwischen Wellen im Wasser
Anna Woltz erzählt zwar von belastenden Themen. Ein trauriges Buch ist "Haifischzähne" dennoch nicht. © Carlsen / Deutschlandradio
Von Sylvia Schwab  · 23.12.2020
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Eine anstrengende Fahrradtour, damit Atlantas Mutter wieder gesund wird und Finleys Mutter bereut, fies zu ihm gewesen zu sein. Anna Woltz schreibt leidenschaftlich über Freundschaft und Familie.
Fahrräder auf dem Umschlag, Fahrradspuren auf dem Vorsatzblatt, Kilometerangaben anstelle von Kapitelüberschriften – dass es in Anna Woltz neuem Kinderroman ums Fahrradfahren und um Erfahrungen (im wahrsten Sinn des Wortes) geht, wird schon vor den ersten Sätzen klar. Als Atlanta mit dem Fahrrad in den plötzlich bremsenden Finley hineinrast. Sie verletzt sich und ist empört. Er dagegen reagiert freundlich und gelassen.

Beide auf der Flucht

Beide sind elf Jahre alt und beide sind sie auf der Flucht. Atlanta hat ihre Umrundung des IJsselmeers minutiös geplant: die 360 km will sie, ohne zu schlafen, in 21 Stunden zurücklegen. Und Finley will einfach weg von seiner überforderten Mutter, die im Streit zu ihm sagte, am liebsten sei ihr, es gäbe ihn nicht.
Was Atlanta so furchtbar bedrückt ist die Krebskrankheit ihrer Mutter und der bevorstehende Arzttermin, bei dem sich ihre Zukunft entscheiden wird. Atlanta will deshalb "etwas Riesengroßes für Mama tun", etwas Unmögliches schaffen und ihre Mutter mit dieser magischen Tat "retten".

Magisches Denken gegen den Tod

Dass Gegenwind, Hunger, Kälte, Müdigkeit und Erschöpfung stärker sind als ihr unbedingter Wille, ihr Ziel zu erreichen, ist die erste Erfahrung, die Atlanta machen muss. Beglückend allerdings ist für sie die neue Freundschaft mit dem fremden Jungen, der sie spontan begleitet und dem sie schon nach zwei Stunden total vertraut.
Entgegen aller Widerständen entwickeln beide Kinder nicht nur Selbstvertrauen, sondern Finley begreift auch, dass er möglicherweise überreagiert hat.
Trotz der belastenden Themen ist "Haifischzähne" kein trauriges Buch. Atlanta erzählt so frisch und lustig, dass wir ihre Geschichte unmittelbar miterleben.

Kein trauriges Buch

Wie in einer Art innerer Monolog fließen ihre Beobachtungen, Gefühle und Erinnerungen an uns vorbei, manchmal atemlos, dann wieder bedächtig, im Tempo also wechselnd wie eine Fahrradfahrt mit Rücken- oder Gegenwind.
Und wie Finley ist auch das Mädchen reif genug, die Flucht vor der Krankheit der Mutter zu analysieren. Doch auf ernste Gedanken folgt immer wieder flapsiges Geplänkel mit dem sensiblen Jungen.
Es ist interessant, dass hier die Mütter im Focus stehen. Finley ist ohne Vater aufgewachsen, Atlanta ist auf die Krankheit der Mutter fixiert. Und natürlich – es ist ein Kinderbuch – werden beide Mutter-Probleme am Ende gelöst. Atlantas Mutter erhält eine gute Prognose und Finleys Mutter lernt durch die Flucht ihres Sohnes auch etwas.

Haifischzähne bringen Glück

Und die Haifischzähne? Die versteinerten Fossilien sind die Glücksbringer von Finleys Mutter, sie braucht die beiden unbedingt für ihre Führerscheinprüfung. Doch ihr Sohn hat sie weggenommen, aus Rache.
Atlanta bringt sie schließlich zurück und bekommt sie daraufhin geschenkt. Glücksbringer braucht das Mädchen im Augenblick dringender! Und Glück haben schließlich alle, besonders die Kinder mit ihrer neuen Freundschaft.

Anna Woltz: "Haifischzähne"
Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann
Carlsen Verlag, Hamburg 2020
96 Seiten, 10 Euro
ab 10 Jahren

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