Anklage gegen die Sparpolitik

12.09.2012
Der Aufschwung ist der richtige Zeitpunkt für Sparmaßnahmen, nicht der Abschwung. Trotz Dauerkrise ignorieren die meisten Politiker diese Erkenntnis von John Maynard Keynes. Pointiert wie immer macht sich der bekennende Keynesianer und Nobelpreisträger Paul Krugman für diese Idee stark. Doch diesmal springt er ein wenig kurz.
Die USA hätten die Krise längst abschütteln können, ruft Paul Krugman dem Leser zu, wenn es nicht an geistiger Klarheit und politischem Willen fehlen würde. Für ihn stellt sich die Frage gar nicht erst, was wichtiger ist: leblose Staatshaushalte zu sanieren oder Millionen Menschen das Leid der Arbeitslosigkeit zu ersparen. Für ihn zählt der Mensch.

Sein Rezept zur Beendigung der amerikanischen Dauerkrise lautet – wie könnte es bei dem momentan wohl einflussreichsten Keynesianer anders sein: Schafft mehr Nachfrage, um die Krise zu beenden! Dabei stützt er sich auf eigene Forschungen und zahlreiche Studien, unter anderem vom Internationalen Währungsfonds.

Die Regierung soll Krugman zufolge ein weiteres Hilfspaket schnüren, um die fehlende private Nachfrage auszugleichen. So könne die Wirtschaft nach vier Jahren endlich wieder auf einen Wachstumskurs schwenken.

Eine Horrorvision für manche Ökonomen. Wer soll das denn bezahlen?, halten sie Krugman entgegen. Der Schuldenberg werde immer größer. Das letzte Hilfsprogramm im Jahr 2009 kostete den Steuerzahler bereits 787 Milliarden Dollar.

"Ja, Schulden, die wir heute machen, um die Folgen der Finanzkrise zu bewältigen, sind eine Belastung für die Zukunft", schreibt Krugman. "Aber diese Belastung ist weit geringer, als es die aufgeregten Mahner an die Wand malen." Am Beispiel der USA demonstriert der Princeton-Ökonom, was er meint: Der reale US-Zinssatz für zehnjährige Anleihen – das sind die üblichen Staatsschuldpapiere – liegt etwas unter null Prozent.

Realistischerweise unterstellt Krugman seiner Berechnung die 2,5 Prozent aus der Zeit vor der Krise. Seit deren Beginn seien zusätzlich fünf Billionen Dollar aufgelaufen; jährlich 124 Milliarden Dollar. Dieser Betrag entspricht weniger als einem Prozent der Wirtschaftsleistung.

Solange sich Politiker an eine einfache Regel halten, blieben diese Schulden unter Kontrolle: Sie dürfen nicht schneller steigen als die Summe aus Wachstum und Inflation.

Zudem würden Schulden in der Regel nicht abgebaut, argumentiert der Nobelpreisträger weiter. Als Beispiel verweist er auf die 241 Mrd. $ Schulden der Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie entsprachen damals 120 Prozent der Wirtschaftsleistung. In den folgenden Jahren legte die Regierung einen halbwegs ausgeglichenen Haushalt vor. Im Jahr 1962 waren die Schulden noch ungefähr genauso hoch wie 1946.

Doch die Wirtschaft war inzwischen kräftig gewachsen, und die Inflation blieb gering. Deshalb konnte der Anteil der Verschuldung an der Wirtschaftsleistung auf 60 Prozent sinken. "Auf unsere heutige Situation übertragen", schreibt Krugman, "bedeutet das, dass wir unsere Schulden nie abbezahlen müssen."

Klingt eigentlich ganz schlüssig. Krugman unterstellt jedoch, dass westliche Volkswirtschaften in der Lage sind, bis zum Sanktnimmerleinstag zu wachsen. Als gebe es weder den Klimawandel noch die jahrzehntelange Debatte um die Grenzen des Wachstums.

Das Problem der gerechten Lastenverteilung zwischen den Generationen blendet er ebenso aus. Obwohl der Schuldenberg über die Jahrzehnte relativ kleiner werden kann, ist es nicht fair, unsere Kinder auf ihm sitzen zu lassen. Krugman sollte Sorgfalt darauf verwenden, auch diese Probleme in seinem leidenschaftlichen Plädoyer angemessen darzustellen.

Besprochen von Uli Müller

Paul Krugman: Vergesst die Krise! Warum wie jetzt Geld ausgeben müssen
Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer,
Campus, Frankfurt, 2012, 270 Seiten, 24,95 Euro