Ankauf von Staatsanleihen ist eine "unausweichliche Lösung"

06.09.2012
Die Europäische Zentralbank muss "den Job übernehmen, den die Politik nicht leistet", sagt der Ökonom Albrecht Ritschl. Nur deshalb könnte sie sich dazu entschließen, Staatsanleihen krisengeschüttelter Staaten aufzukaufen - auch wenn diese Maßnahme nicht ideal sei.
Jan-Christoph Kitzler: Heute tritt der Rat der Europäischen Zentralbank zusammen, also die sechs Mitglieder des Direktoriums und die 17 Chefs der nationalen Notenbanken in den Euro-Staaten. Möglicherweise trifft dieses Gremium heute eine Entscheidung mit gewaltiger Tragweite, möglicherweise wird heute verkündet, dass die EZB plant, Staatsanleihen angeschlagener Euro-Staaten aufzukaufen.

Staaten wie Spanien und Italien hoffen sehr darauf, weil sie dann wieder an billigeres Geld kommen, doch es gibt auch Widerspruch. Da würden alle Dämme brechen, sagen die Kritiker, und vor allem, das ist nicht die Aufgabe der EZB! Doch es gibt historische Beispiele: In der Weimarer Republik zum Beispiel hat die Notenbank Deutschlands massenhaft deutsche Staatsanleihen aufgekauft. Und darüber habe ich mit dem Wirtschaftshistoriker Albrecht Ritschl gesprochen. Er ist Professor an der London School of Economics und auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums.

Zuerst wollte ich von ihm wissen, ob man das, was in der Weimarer Republik passiert ist, eigentlich vergleichen kann mit dem, was die EZB möglicherweise schon bald tut?

Albrecht Ritschl: Nein, das wäre wohl übertrieben. Es ist nur, dass die Technik nicht ganz unähnlich ist. Im Prinzip ist es eine bekannte Sache, dass Zentralbanken Staatsverschuldung kaufen und damit, wie das Fachwort sagt, monetisieren. Das bedeutet im Grunde genommen, um es ganz einfach zu sagen, dass ein Papier durch ein anderes ersetzt wird, nämlich das Staatspapier durch einen Geldschein. Und es ist natürlich klar, dass, wenn man mehr von diesen Geldscheinen in Umlauf setzt und das massenhaft tut, dass es dann Inflationsgefahren gibt.

Kitzler: In der Weimarer Republik gab es ja diese gigantische Geldentwertung durch diese Politik. Diesmal sagen die Politiker und die Notenbanker, wir haben die Inflation irgendwie im Griff. Ist das nur Pfeifen im Walde?

Ritschl: Na ja, das weiß man nachher natürlich besser als vorher. Allerdings ist die Situation vielleicht doch nicht ganz vergleichbar: Die Weimarer Republik war eine äußerst instabile Angelegenheit und ist ja nachher einen gewaltsamen Tod gestorben, und hier ging es einfach darum, dass der Staat Steuern nicht eintreiben konnte oder wollte und einfach seine Ausgaben massiv auf Pump finanziert hat. Und weil das niemand kaufen wollte, diese Anleihen, wurden dann kurzfristige Schatzwechsel gedruckt und eben bei der Reichsbank dann abgesetzt und die Reichsbank hat dafür Geld gedruckt. Und das ist eine Droge, die natürlich dann in immer höherer Dosis genommen werden muss, und das hat zur Hyperinflation geführt. Das ist wohl nicht unbedingt vergleichbar. Man könnte sich mittelfristig nach einem Ankauf von südeuropäischen Papieren durch die EZB einen Inflationsschub schon vorstellen, aber das würde keine Hyperinflation bedeuten, das wohl noch nicht.

Kitzler: Die Weimarer Republik war eine instabile Situation, haben Sie gesagt. Das sagen ja manche auch von der Euro-Zone, dass die eine instabile Situation ist. Kann man nicht das, was die EZB möglicherweise jetzt vorhat, nämlich massenhaft Staatsanleihen zu kaufen, kann man das nicht unter strengen Auflagen tun? Zum Beispiel eben indem diese Staaten unter den Rettungsschirm schlüpfen müssen, sich strengen Kontrollen unterwerfen müssen, wie Draghi das ja offenbar vorhat?

Ritschl: Na ja, das Spiel spielen wir ja schon seit einiger Zeit. Es gibt ja nicht sehr viele Möglichkeiten, mit dem Problem umzugehen: Entweder bringt man die Schulden herunter oder man bringt die Steuereinnahmen rauf. Und alle Dinge, die wir seit zwei Jahren versuchen, bestehen darin, diese beiden Sachen nun in irgendeiner Weise miteinander zu kombinieren. Man kann hoffen, dass das mittelfristig funktioniert. Man muss sich natürlich klarmachen: Das sind Eingriffe in die Souveränität der beteiligten Länder und die Regierungen in Südeuropa sind natürlich dann ganz schnell Diener zweier Herren. Sie haben also einerseits uns internationale Gläubiger und möglicherweise auch noch die EZB am Hals und andererseits ihr eigenes Wahlvolk, das natürlich von solchen Einschnitten überhaupt nicht begeistert ist. Das haben wir jetzt schon gesehen im Falle Griechenlands und das wird in anderen Ländern auch noch problematisch werden. Es gibt eine Grenze sozusagen der demokratischen Legitimation von Sparmaßnahmen.

Kitzler: Man könnte ja aber auch andersrum sagen, das ist eine gute Lösung. Denn die Politik in diesen klammen Staaten müsste ihren Bürgern vielleicht etwas weniger abverlangen, indem sie mehr Zeit bekommen, und gleichzeitig müssten die Geberstaaten nicht ein neues Rettungspaket nach dem anderen durch die Parlamente peitschen.

Ritschl: Ja, die Geschichte mit den Rettungspaketen ist nun in der Tat problematisch, weil wir ja im Grunde das Schuldenproblem damit nicht lösen, sondern nur durch eine Art Schuldenrecycling gutes Geld dem schlechten hinterherschießen und auf die Weise das Problem nur vor uns herschieben, ohne dass es wirklich gelöst wird. Also, wir haben bislang auf Zeit gespielt und natürlich war die verständliche Begründung dafür die, dass man gesagt hat, wir wollen ein Druckmittel in der Hand haben, damit die Länder ihre unbedingt nötigen arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Reformen nun auch wirklich durchführen. Das Ganze ist ein Pokerspiel. Ob es wirklich funktioniert, ist nicht ganz klar.

Kitzler: Die EZB macht ja schon das Ganze genau so, nämlich seit 2010 hat sie schon über 200 Milliarden in Staatsanleihen investiert. Müsste man das nicht langsam mal zur offiziellen Politik machen?

Ritschl: Nicht unbedingt. Denn es ist ja so, dass es genau das Gegenteil der offiziellen Politik ist, denn eigentlich soll die EZB nach ihren Statuten genau das ja nicht tun. Dafür gibt es gute Gründe und diese guten Gründe waren eben, den Euro als stabile Währung zu erhalten. Um es klar zu sagen: An sich ist es natürlich nicht Aufgabe der EZB, das europäische Staatsschuldenproblem zu lösen. Das müssten eigentlich die Fiskalpolitiker tun. Und was man aus der EZB hört, sind natürlich auch Klagen darüber, dass man jetzt, um also den Untergang der Titanic zu verhindern, im Grunde genommen den Job übernehmen müsse, den die Politik nicht leistet.

Also, als Ideallösung wollen wir uns das bitte keineswegs vorstellen! Besser wäre es, wenn man das Schuldenproblem ohne Beteiligung der EZB lösen könnte, unter anderem eben auch ohne eine Verschlechterung des Euro, auf die es ohne Frage hinauslaufen wird. Nur, wenn das nicht geschieht, dann ist eben die Übernahme der Schulden durch die EZB eine im Grunde fast unausweichliche Lösung, wenn wir nicht daran glauben wollen, dass übermorgen die Euro-Zone auseinanderkracht. Aber das hat sie in den vergangenen zwei Jahren nicht getan.

Kitzler: Heißt das, es ist eigentlich alternativlos, um dieses Unwort noch mal zu bemühen?

Ritschl: Das ist nicht ganz richtig. Es gibt mehrere Möglichkeiten, diese Probleme zu lösen. Über alle ist schon gesprochen worden und die einzig saubere Lösung des Problems wäre die, wie im Falle einer Insolvenz einer Firma, nämlich ein ganz weitreichender Schuldenschnitt - das wird nicht gemacht -, verbunden mit massiven Auflagen an Reformen. Das ist nicht gemacht worden. Unter anderem auch, weil man Angst gehabt hat vor einer zweiten Bankenkrise.

Kitzler: Das wird natürlich auch nicht gemacht, weil wir nicht nur noch über Griechenland reden, wo man ja mehr oder weniger offen über Pleite diskutiert, sondern auch über Spanien, über Italien. Da wäre ein Schuldenschnitt natürlich eine ganz andere Dimension!

Ritschl: Das mag natürlich sein. Aber da, sagen wir mal so: Der Umstand, dass man das Problem verleugnet, führt ja nicht dazu, dass das Problem nicht existiert. Das ginge nach dem Motto: "Nicht sein kann, was nicht sein darf." Wir sehen, dass die Länder in unterschiedlichem Maß in einer Schuldenfalle sitzen, und jetzt geht es um die Frage, wie man mit dieser Schuldenfalle umgeht. Und es ist natürlich schon eine Zumutung, die EZB zu bemühen. Jetzt ist sozusagen eine Optik entstanden in der öffentlichen Debatte, als würde sich die EZB um diese Aufgabe reißen. Ich glaube, das ist nicht ganz richtig.

Tatsache ist, dass die Politik in den vergangenen zwei Jahren nicht besonders weit gekommen ist bei dem Versuch, mit diesem Problem umzugehen, was im Wesentlichen damit zu tun hat, dass man eben die Schulden nicht gekürzt hat, sondern sie eben immer nur wieder umgeschuldet hat. Diese Umschuldung kommt jetzt an eine Grenze der Akzeptanz, weil niemand in den Finanzmärkten bereit ist, dieses Spiel noch mitzuspielen. Also fangen wir jetzt an, Geld zu drucken. Ideal ist das nicht!

Kitzler: Was erwarten Sie denn, wie wird sich denn das Direktorium der EZB heute entscheiden?

Ritschl: Ich habe keine Kristallkugel. Ich würde aber mal so sagen: Ich möchte ganz bestimmt nicht in der Situation der EZB-Direktoren sein. Ich kann mir vorstellen, um Ihnen doch eine Antwort zu geben und nicht nur auszuweichen, ich kann mir vorstellen, man wird versuchen, eine Großankündigung zu machen und den Märkten sozusagen zu zeigen, hier sind unsere Folterwerkzeuge, das sind die großen Waffen, die wir einsetzen können, und dann kann man hoffen, aber eben nur hoffen, dass die Glaubwürdigkeit, die die EZB hat - sie kann das tun, wenn sie will -, dass die Glaubwürdigkeit der EZB beim Einsatz dieses Instrumentariums schon reicht, damit es nicht eingesetzt werden muss. Ob das aber geht, ist nicht klar. Das ist eine riskante Operation.

Kitzler: Das war Albrecht Ritschl, Professor für Wirtschaftsgeschichte and der London School of Economics. Vielen Dank für das Gespräch!

Ritschl: Bitte schön!

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